Politikchaos in Paris: Das ist Macrons letzte Chance
Das Stück könnte von Molière stammen – wenn es etwas zu lachen gäbe. Aber in Paris ist niemand mehr zum Scherzen aufgelegt. Konsterniert verfolgen die Franzosen, was sich in den Pariser Regierungspalästen abspielt.
Der erste Akt des «Eingebildeten Präsidenten» fand schon vor einer Woche statt, als Emmanuel Macron seinen treuen Verteidigungsminister Sébastien Lecornu zum Premier ernannte. 14 Stunden später trat der 39-jährige Liberalkonservative mit der Aura eines Bonvivants wegen interner Streitereien wieder zurück. Das war der zweite Akt. Der Dritte versank im politischen Chaos. Dann, am späten Freitagabend, nominierte der Präsident einen neuen Premierminister – Sébastien Lecornu.
Jetzt läuft der fünfte und vielleicht letzte Akt. Wohlgemerkt ohne Macron: Der Staatschef fliegt, nachdem er seinem Land einen neuen Premier hinterlassen hatte, nach Ägypten, um das Friedensabkommen im Nahen Osten zu «unterstützen», wie das Präsidialamt verlauten liess.
Jetzt ist das Lustspiel aus, für Lecornu begann der bittere Ernst: Er musste am Sonntag zeitgleich eine Regierung bilden und den Staatshaushalt 2026 für Montag finalisieren. Vermutlich wäre auch er lieber nach Scharm El-Scheich gereist. Zumal Konservativenchef Bruno Retailleau mitteilte, seine Partei werde der Mitte-Regierung keine Minister mehr zur Verfügung stellen. Die kleine Zentrumspartei UDI auch nicht.
Neuer Misstrauensantrag steht bereits
Lecornu wird wohl auch parteilose Spitzenbeamte ernennen müssen – etwa Laurent Nuñez als Innenminister. Das befeuert Gerüchte, Lecornu habe seine neuerliche Berufung nur dem Umstand zu verdanken, dass Macron keinen Besseren gefunden habe. Der durch nichts aus der Ruhe zu bringende Premier erklärte am Wochenende nur, er fühle sich gegenüber dem Präsidenten «loyal», aber auch «frei». Notfalls, so gab er an, «werde ich wieder abtreten».
Oder abgetreten: Das rechte Rassemblement National (RN), die Grünen, die Unbeugsamen (LFI) und die Kommunisten haben bereits einen Misstrauensantrag gegen die – erst embryonal existierende – Regierung angekündigt. Die Radiostation RTL rechnet mit dem Antrag noch in dieser Woche.
Lecornus Team gleicht damit eher einem Himmelfahrtskommando als einer Regierung. Die Atmosphäre in Paris ist äusserst angespannt. Alle wissen, was Frankreich blüht, wenn Macron seinen siebten Premier verliert: Neuwahlen.
Andere Optionen als die Ansetzung vorgezogener Parlamentswahlen hätte Macron kaum mehr. Eine weitere Regierungsbildung käme nicht mehr durch; und dass der Präsident den – bis in sein Lager gehörten – Rufen nach seinem Rücktritt folgen könnte, hat er schon explizit ausgeschlossen.
Neuwahlen wären dann der erste Akt eines Trauerspiels, bei dem der Rechtspopulistin Marine Le Pen die grössten Siegeschancen eingeräumt werden: In Umfragen kommt sie auf 36 Prozent Stimmenanteil, doppelt so viel wie die Konkurrenz. Erhielte sie im zweiten Wahlgang die Sitzmehrheit, müsste Macron sie mit der Regierungsbildung betrauen.
Verhindern könnte dies die Sozialistische Partei. Ihr Vorsitzender Olivier Faure tönte an, seine 69 Abgeordneten könnten sich der Stimme enthalten – falls Lecornu Macrons Rentenreform «suspendiert». Lecornu scheint verhandlungsbereit. Denn er sorgt sich um die bereits spürbaren Wirtschaftsschäden der Regierungskrise. Sie werden auf 15 Milliarden Euro veranschlagt. Zum einen konsumieren die Franzosen aus Angst vor der Zukunft weniger als bisher, zum anderen warten die Unternehmen mit dem Investieren zu. Eine Rezession ist im Anzug.
Lecornu sagte, er könne das ursprüngliche Budgetdefizit von 4,6 Prozent selbst nicht einhalten. Die Linke will noch weniger sparen. Dies führt zu einem doch sehr paradoxen Umstand: Die Staatsschuld und die akute Finanzkrise Frankreichs, die dem Regierungschaos in Paris zugrunde liegen, dürften sich nicht etwa auflösen, sondern im Gegenteil vertiefen. Das bestätigt die Erkenntnis, dass Frankreich, sosehr es sich auch abmüht, schlicht unfähig ist, eine ausgeglichene Jahresrechnung zu präsentieren. (aargauerzeitung.ch)