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So gefährlich ist die «Achse des Bösen»

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Bild: keystone/ watson

So gefährlich ist die «Achse des Bösen»

Der Westen muss der neuen Gefahr aus China, Russland und dem Iran endlich in die Augen sehen.
29.05.2024, 14:0129.05.2024, 14:36
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Analoges TV mag für Boomer sein, doch für einmal hätte es sich diese Woche auch für Millennials und die Generation Z gelohnt, bei Arte vorbeizuschauen und sich den Dokumentarfilm «Russland, China, Iran: Front gegen den Westen» zu Gemüte zu führen. Wer ihn verpasst hat – und das dürften die meisten sein –, dem rate ich dringend, den Film aus der Arte-Mediathek, auf YouTube oder wo auch immer auszugraben und anzugucken. Denn er zeigt erschreckend, wie weit die Zusammenarbeit zwischen den drei erwähnten Ländern schon fortgeschritten ist und wie entschlossen diese neue «Achse des Bösen» ist, ihre Ziele auch durchzusetzen.

Rache und Vergeltung ist das treibende Motiv all dieser Länder. Werfen wir deshalb zunächst einen kurzen Blick darauf, weshalb sie mit dem Westen abrechnen wollen.

Russland

Die Russen sind die ewig Beleidigten. Sie fühlen sich vom Westen nicht ernst genommen und wähnen sich als diejenigen, die bei internationalen Konferenzen stets den schlechtesten direkt neben der Toilettentür stehenden Tisch zugewiesen erhalten. Diesen Minderwertigkeitskomplex kompensieren sie mit Grossmachts-Fantasien.

Wie die Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch in ihrem Nobelpreis-gekrönten Werk «Secondhand Zeit» schildert, wünscht sich nicht nur die russische Elite, sondern auch der sprichwörtliche kleine Mann, dass sein Land nicht nur mächtig ist, sondern auch gefürchtet wird. Deshalb erhält Wladimir Putin trotz seines katastrophalen Ukraine-Krieges nach wie vor die Unterstützung der Mehrheit, und deshalb halten mehr als die Hälfte der Russen Josef Stalin immer noch für den grössten Staatsmann aller Zeiten.

An elderly woman holds a portrait of aSoviet leader Josef Stalin as other people gather to march with flowers and portraits of those who were killed during the 1993 bloody clashes between government f ...
Wird immer noch verehrt: Josef Stalin.Bild: keystone

Gleichzeitig sehen sich die Russen als Vorbild für den Rest der Welt. Der «Homo sovieticus» der kommunistischen Ära hat zwar ausgedient. Heute greifen die Russen zur Mystik, zu den von Putin empfohlenen Schriften von Iwan Iljin beispielsweise. Dieser 1953 in der Schweiz verstorbene Philosoph vertrat eine krude Mischung aus Christentum, Faschismus und eurasischem Geschwurbel. Das gleiche Gedankengut verbreitet auch der noch lebende Demagoge Aleksandr Dugin. Er plädiert leidenschaftlich dafür, dass die «Landmacht» Russland endlich die angelsächsischen «Seemächte» in die Schranken weist.

Die russische Zivilisation ist jung. Sie begann mit Peter dem Grossen, dem Vorbild Putins. Dieser herrschte um die Jahrhundertwende des 17. zum 18. Jahrhundert. Gerade die «Jugend» ihrer Zivilisation ist für die Russen jedoch ein Grund, die Weltherrschaft anzustreben und den in ihren Augen dekadenten Westen vom Thron zu stossen.

China

Anderes als die russische ist die chinesische Zivilisation sehr alt und misst sich seit Jahrtausenden mit den westlichen. Mitte des 19. Jahrhunderts brachen für die Chinesen jedoch die 150 Jahre der Erniedrigung an. Sie verloren die Opiumkriege gegen die Briten und mussten zulassen, dass die Kaufleute der damaligen Weltmacht mit diesem Rauschgift grosse Gewinne im Reich der Mitte erzielten.

Das chinesische Kaiserreich zerbrach in der Folge, das Land versank in grauenhafte Kriege zwischen einzelnen Warlords. Im Zweiten Weltkrieg verübten die Japaner unsägliche Gräueltaten in China, danach lieferten sich Kommunisten und Nationalisten einen blutigen Bürgerkrieg, bis Mao Zedong schliesslich das Land wieder vereinte.

Shenzhen
Skyline von Shenzhen, einer der modernsten Städte der Welt.

Dank eines historischen Wirtschaftswunders in den letzten 40 Jahren verfügt China heute über die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt und mischt auch technologisch an der Spitze mit. Deshalb fühlen sich die Chinesen in der Lage, die Schmach von einst zu rächen und wieder zu einer Macht zur werden, die vom Rest der Welt geachtet wird und Tribut einfordern kann.

Iran

Der Iran hat ebenfalls eine lange und glorreiche Geschichte. In der Antike war Persien eine Grossmacht. Auch die Iraner wurden im Laufe ihrer Geschichte vom Westen gedemütigt. Die Briten betrachteten die Ölfelder mehr oder weniger als ihr Rohstofflager. Vor dem Ersten Weltkrieg rüstete Winston Churchill dank dieses Lagers seine Flotte von Kohle auf Öl um.

Soraya Esfandiari Bakhtiari, links, und Schah Mohamed Reza Pahlavi, rechts, am 8. Aug. 1953, in Paris. Ihr Name bedeutet Siebengestirn, und sieben Jahre war die junge, schoene Soraya Kaiserin von Pers ...
Wurde vom Westen unterstützt: Schah Reza Pahlavi mit Frau.Bild: AP

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die USA zur Schutzmacht des in der Bevölkerung verhassten Schahs. Weil er die Erdölindustrie verstaatlichen wollte, wurde 1953 der legitime Ministerpräsident Mohammed Mossadegh mithilfe der CIA gestürzt. Der Schah und seine Schergen des berüchtigten Geheimdienstes Savak konnten sich fortan auf die Unterstützung der Amerikaner verlassen, auch auf die Unterstützung des israelischen Geheimdienstes Mossad. Bis heute sind die USA deswegen «der Grosse Satan» und Israel «der Kleine Satan».

Die Chinesen geben den Ton an

Leithammel der «Achse des Bösen» sind die Chinesen. Bezüglich Wirtschaftskraft und technischem Know-how sind sie den beiden anderen Partnern weit überlegen. Sie brauchen Russland und den Iran jedoch, wenn sie die westliche Weltordnung in die Knie zwingen wollen. Gleichzeitig werden grosse Bemühungen unternommen, andere Staaten, vor allem solche aus dem Globalen Süden, an sich zu binden. Das geschieht beispielsweise, indem neue Länder dem BRICS-Verbund – eine Abkürzung von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – beitreten dürfen. Dieser Ausdruck ist ursprünglich vom damaligen Chefökonomen der Investmentbank Goldman Sachs geprägt worden. Heute steht er immer mehr für eine Allianz gegen den Westen und für den Kampf gegen die Übermacht des Dollars.

Auch die Shanghai Cooperation Organisation gewinnt zunehmend an Einfluss. Bei diesem unter chinesischer Ägide stehenden Verbund ist nicht ganz klar, ob es eine militärische Allianz oder ein wirtschaftlicher Interessenverein ist. Klar ist auf jeden Fall, dass sie gegen den Westen gerichtet ist.

China unternimmt noch eine ganze Reihe weiterer Bemühungen, seinen geopolitischen Einfluss auszudehnen. Die bekannteste davon ist die Belt and Road Initiative, ein Infrastruktur-Programm, das China wirtschaftlich mit der ganzen Welt verbinden wird. Dazu gesellt sich die Global Development Initiative, eine Art Konkurrenz zur Weltbank, und seit 2022 auch die Global Security Initiative (GSI). Die «GSI ist so konzipiert, dass sie das amerikanische Allianzsystem unterwandern soll», stellt dazu die Politologin Elizabeth Economy in «Foreign Affairs» fest.

Diese Bemühungen tragen bereits Früchte. Dank chinesischer Bemühungen hat eine erstaunlich hohe Anzahl der UN-Staaten Russland wegen seines Aggressionskrieges gegen die Ukraine nicht verurteilt. Länder wie Brasilien oder Südafrika geben sich gar ausgesprochen Putin-freundlich. Selbst innerhalb der westlich dominierten Allianzen mehren sich die Zweifel. So geht etwa die Türkei betont auf Distanz zu ihren NATO-Partnern. Das EU-Mitglied Ungarn unternimmt alles, um die Hilfe an die Ukraine zu sabotieren.

Die Zusammenarbeit wird verstärkt

Derweil verstärken die Mitglieder der «Achse des Bösen» ihre Zusammenarbeit. China bezieht billiges Öl und Gas aus Russland und liefert im Gegenzug Chips und andere Technologie. Die iranischen Ayatollahs können dank eines mit Künstlicher Intelligenz ausgestatteten chinesischen Überwachungssystems ihre Bevölkerung noch wirksamer unterdrücken. Gemeinsam koordinieren sie ihre Propaganda und wie sie die Wahlen in den demokratischen Staaten beeinflussen können.

In dieser Propaganda geht es vor allem darum, die Schandtaten der Amerikaner der Vergangenheit an den Pranger zu stellen. Kein Zweifel, die hat es gegeben. Die Liste ist lang, angefangen von der Sklaverei über einen Genozid auf den Philippinen bis hin zum Vietnamkrieg oder der Unterstützung des chilenischen Diktators Pinochet.

Trotzdem bleibt die Softpower der USA und des Westens ungebrochen. Es gibt wenig Emigranten, die ihr Heil in Russland oder China suchen – nicht nur, weil sie gar keine Chance haben, überhaupt dorthin zu gelangen. Selbst diejenigen, welche lauthals «Death to America» schreien und die Dekadenz des Westens beklagen, träumen nicht von Russland und China, sondern von Nordamerika und Europa. Und wer will schon in den Iran?

Chinese President Xi Jinping, right, and Russian President Vladimir Putin look toward each other as they shake hands prior to their talks in Beijing, China, Thursday, May 16, 2024. (Sergei Bobylev, Sp ...
Seelenverwandt: Wladimir Putin und Xi Jinping.Bild: keystone

Wir nehmen Rechtsstaat und Demokratie gerne als gegeben hin. Man muss jedoch mit Blindheit geschlagen sein, um nicht zu erkennen, dass beides in Gefahr ist. «Die Welt verändert sich, wie wir es seit 100 Jahren nicht mehr erlebt haben. Lasst uns diese Veränderungen gemeinsam vorantreiben», hat Xi Jinping seinem Kumpel Wladimir Putin im März 2023 mit auf die Heimreise gegeben.

Sollte Donald Trump die Wahlen gewinnen, wird sich die Welt noch schneller verändern. Die USA werden sich ins Schneckenhaus eines neues Isolationismus zurückziehen, und sie können es sich leisten. «Die Vereinigten Staaten könnte eine Zersplitterung der Weltwirtschaft weit besser verkraften als die meisten anderen Länder», stellt Hal Brands in «Foreign Affairs» fest.

Ein Rückzug der Amerikaner hätte vor allem für uns Europäer dramatische Folgen, denn «es ist eine sichere Wette, dass ein von den Amerikanern hinterlassenes Vakuum sehr schnell von den aggressivsten Staaten der Welt ausgefüllt werden wird», so Brands.

Deshalb: Die von den USA dominierte Weltordnung war und ist alles andere als perfekt. Doch glaubt irgendjemand ernsthaft, dass die Welt gerechter wird und es uns besser geht, wenn Chinesen, Russen, Iraner und Nordkoreaner das Sagen haben?

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271 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rogan Eizur
29.05.2024 14:10registriert August 2020
und mittendrin die Schweiz. Die tatsächlich glaubt die Stabilität der letzten 80 Jahre sei ihrer eigenen Politik geschuldet.
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Matte Lonkel
29.05.2024 14:02registriert Februar 2024
2)
Wenn V. Putin das weiter ausbauen will, hat das die gleichen Folgen wie in der Sowjetunion. Das BIP lässt sich damit steigern, aber Raketen, Granaten, Panzer zerfallen in der Ukraine zu Staub. Anders als Investitionen in Bildung, Gesundheitswesen und Infrastruktur generieren Ausgaben für das Militär keine höhere Produktivität, keinen Wohlstand.
Schlechte ist: Bis Russland auf diese Weise kollabiert, werden 10, eher 20 Jahre vergehen. In der Zwischenzeit kann Russland enormen Schaden anrichten. Der Westen braucht deshalb eine angepasste Strategie.
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Matte Lonkel
29.05.2024 14:00registriert Februar 2024
1)
Es ist faszinierend, wie V. Putin die Fehler der Sowjetunion wiederholt. Die Sowjetunion ist nicht kollabiert und zerbrochen, weil die Menschen ihre Freiheit erkämpft haben. Sie ist zerbrochen, weil sie wirtschaftlich völlig am Ende war und nicht mehr die finanziellen Möglichkeiten hatte, um den Ostblock zusammen zu halten. Und wirtschaftlich ist sie daran zerbrochen, dass sie im Wettrüsten mit dem Westen 12-17 Prozent des BIP für das Militär ausgab.
Der Anteil der Militärausgaben am russischen BIP 2024 liegt bei 7-8 Prozent.
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