Waren nicht erst gerade Wahlen in Italien? Man könnte es denken. Bei den letzten Wahlen ging es aber um das Amt des Staatspräsidenten. Sie fanden im Februar 2022 statt. Da wurde Sergio Mattarella wiedergewählt.
Bei den jetzigen Wahlen hingegen geht es um das italienische Parlament. Sie finden am 25. September statt. Beide Kammern, also Senat und Abgeordnete, müssen neu gewählt werden. Eigentlich wäre die fünfjährige Legislaturperiode erst im Frühling 2023 ausgelaufen. Doch Ende Juli dieses Jahres löste Staatspräsident Mattarella beide Parlamentskammern auf, weshalb die Wahlen nun vorzeitig stattfinden.
Das hat eine etwas längere Vorgeschichte. Möglichst einfach zusammengefasst, geht es um Folgendes: Nach den letzten Parlamentswahlen 2018 gab es eine Pattsituation zwischen dem Mitte-rechts-Lager und dem Movimento 5 Stelle (M5S), zu Deutsch Fünf-Sterne-Bewegung. Es kam zu langwierigen Verhandlungen zwischen der ultrarechten Lega und dem M5S, wie denn nun die Regierung gebildet werden soll. Schliesslich wurde der (damals noch) parteilose Giuseppe Conte als Ministerpräsident vereidigt und die Ministerien zwischen Lega- und M5S-Politikern aufgeteilt.
Es dauerte nicht lange, bis es zu Spannungen kam. Im August 2019 stellte der rechte Lega-Politiker und damalige Innenminister Matteo Salvini einen Misstrauensantrag gegen Conte. Auch, weil er hoffte, dadurch das Amt des Ministerpräsidenten selbst ergattern zu können. Doch die Rechnung ging nicht auf. Die Fünf-Sterne-Bewegung koalierte neu mit der Partito Democratico, schmiss Salvini mit seiner Lega aus der Regierung und Conte blieb Präsident.
Wie schon die erste war auch die zweite Regierung von Conte instabil und von Grabenkämpfen zwischen den Demokraten und dem M5S geprägt. Im Januar 2021 verlor Conte die Mehrheit im Parlament. Um seine zerbröckelte Koalition wieder zu stärken, musste er sich einem Vertrauensvotum in beiden Kammern stellen. In der Abgeordnetenkammer gelang es Conte zwar noch, eine Mehrheit zu finden, doch der Senat liess ihn auflaufen. Conte entschied sich zur Flucht nach vorne und trat zurück.
Staatspräsident Mattarella entschied sich gegen Neuwahlen angesichts der schwierigen Lage, in der Italien wegen der Coronapandemie steckte. Er strebte eine parteiübergreifende Technokraten-Regierung an, mit Mario Draghi, dem ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank, als Ministerpräsidenten. In der neuen Regierung vertreten waren insbesondere die Parteien M5S, Partito Democratico, Lega und Forza Italia. Sie wurde im Februar 2021 vereidigt.
Im Juli 2022 geriet die Regierung von Draghi ins Wanken. Er zerstritt sich wegen eines 23 Milliarden Euro schweren Antikrisenpakets mit der Fünf-Sterne-Bewegung, woraufhin eine Vertrauensabstimmung stattfand. Diese gewann er zwar, doch die Lega, die Fünf-Sterne-Bewegung und Forza Italia boykottierten die Abstimmung und blieben ihr fern. Draghi reichte daraufhin seinen Rücktritt ein, weil er seine Einheitsregierung ohne seine wichtigsten Partner nicht weiter führen wollte.
Aufgelistet nach der Zustimmung in den aktuellen Umfrageergebnissen treten folgende Parteien an:
Weitere Parteien sind Alleanza Verdi e Sinistra, Noi moderati, Italexit, Più Europa und Impegno Civico.
Das italienische Wahlsystem ist extrem kompliziert. Es gibt in beiden Kammern eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht. Mit halb offenen und halb geschlossenen Listen. Dieses allgemein unbeliebte Wahlsystem begünstigt Allianzen und bestraft Alleingänge, weshalb es für die Parteien Sinn ergibt, sich in Bündnissen zusammenzuschliessen.
Entstanden sind insbesondere zwei grosse Bündnisse: das Mitte-Links-Bündnis mit dem Partito Democratico, der Alleanza Verdi e Sinistra, Più Europa und Impegno Civico. Und das Mitte-Rechts-Bündnis mit den Fratelli d'Italia, der Lega, Forza Italia und Noi Moderati.
Die postfaschistische Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni und die Partito Democratico von Enrico Letta sind aktuellen Umfragen zufolge die stärksten Einzelparteien und liegen ungefähr gleichauf. Allerdings sind die zusammengerechneten Prozentwerte des Mitte-rechts-Lagers viel höher als jene von Mitte-links. Gemeinsam kommen sie auf Werte von 45 bis 49 Prozent der Stimmen.
100 Jahre nach der Machtergreifung der Faschisten unter Benito Mussolini hat die rechtsextreme Giorgia Meloni nun also gute Chancen, die erste Ministerpräsidentin Italiens zu werden. Die 45-Jährige macht keinen Hehl aus ihren nationalistischen Überzeugungen. Sie wettert gegen Migranten, gegen die LGBTIQ-Community oder die «Islamisierung der christlichen Identität». Viele ihrer Anhänger zeigen gerne den faschistischen Gruss. Ihre Fratelli d'Italia scheut sich auch nicht, mit militanten rechtsextremen Organisationen zusammenzuarbeiten.
Zum einen gelten die italienischen Wahlen in Europa als besonders wichtig. Als drittgrösste Volkswirtschaft der EU und fünftgrösster Truppensteller der Nato kommt Italien eine tragende Rolle in Zeiten von Ukrainekrieg und Energiekrise zu. Weil das Mitte-rechts-Bündnis Fratelli d'Italia gute Aussichten hat, die Regierung zu stellen, könnte dies bedeuten, dass in Italien bald eine russland- und putinfreundliche Gruppe an die Macht kommt. Denn Meloni, aber auch Salvini, arbeitet auf europäischer Ebene bisher gerne mit den rechtskonservativen Regierungsparteien in Polen und Ungarn zusammen, die sich EU-kritisch und moskaufreundlich positionieren.
Auch speziell ist, dass nach einer Verfassungsänderung die Zahl der Mitglieder im Parlament bei den jetzigen Wahlen deutlich reduziert wird. In der Abgeordnetenkammer von 630 auf 400 Personen und im Senat von 315 auf 200 Mitglieder.