Widerwillig und ohne Unterschrift hat Boris Johnson auf Druck des Unterhauses bei der EU eine erneute Verschiebung des Brexit beantragt. Der britische Premier machte gleichzeitig klar, dass er keine Verlängerung will und beabsichtigt, den mit der EU vereinbarten Austrittsvertrag bis Ende Oktober durch das Parlament zu bringen.
Fragen und Antworten, wie die EU auf die Lage reagiert und welche Optionen sie hat:
Nein, heisst es von EU-Seite. Der Austrittsartikel 50 im EU-Vertrag mache keine Vorgaben für die Form. Zudem habe der britische EU-Botschafter in einem beigefügten Schreiben keine Zweifel am Status des Verlängerungsantrags gelassen. Er bittet wie durch das Unterhaus vorgegeben um eine Brexit-Verschiebung auf den 31. Januar 2020.
Die EU spielt auf Zeit. EU-Ratspräsident Donald Tusk führt dazu in den nächsten Tagen Konsultationen mit den Mitgliedstaaten. Die EU-Botschafter nahmen am Sonntag den Austrittsantrag lediglich «zur Kenntnis», wie ein EU-Diplomat sagte. Gleichzeitig hätten sie «den Ratifizierungsprozess für das Austrittsabkommen auf EU-Seite formal angestossen». Damit halte sich die EU beim Brexit «alle Optionen offen», bis Klarheit auf britischer Seite herrsche.
Dies entscheidet sich ab Montag. Dann beginnt die Plenartagung in Strassburg. Bisher war als möglicher Termin für eine Abstimmung der Donnerstag vorgesehen gewesen. Diesen dürfte das EU-Parlament aber nur aufrecht erhalten, wenn das Unterhaus dem Abkommen zuvor zugestimmt hat. Möglich wäre eine Abstimmung des EU-Parlaments auch bei einer Sondersitzung vor dem 31. Oktober.
Gelingt Johnson dies vor dem 31. Oktober, wäre der Verlängerungsantrag hinfällig. Denn er soll nur einen Austritt ohne Abkommen verhindern. In Brüssel wird aber nicht ausgeschlossen, dass die britischen Abgeordneten mehr Zeit brauchen. Dann könne eine «technische Verlängerung um einige Wochen» erwogen werden, sagt ein weiterer EU-Diplomat. Über jegliche Verschiebung müssen die anderen 27 EU-Staaten einstimmig entscheiden.
Dann droht am 31. Oktober ein Chaos-Brexit: Von einem Tag auf den anderen wäre Grossbritannien nicht mehr Teil des europäischen Binnenmarktes und der Zollunion. Dies hätte dramatische Folgen für den Reiseverkehr und die Wirtschaftsbeziehungen. Die EU muss dann entscheiden, ob sie nochmals eine Verschiebung des Austrittsdatums gewährt, um einen No-Deal-Brexit zu verhindern.
Nein. Die Entscheidung könne grundsätzlich auch «im schriftlichen Verfahren» getroffen werden, sagt ein EU-Diplomat, vor allem wenn es um eine blosse «technische Verlängerung» gehe. Bei einer Ablehnung des Austrittsabkommens sei aber ein Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs wahrscheinlich. Die Entscheidung über die Verlängerung hänge dann davon davon ab, ob es dafür einen guten Grund wie Neuwahlen gebe.
EU-Vertreter verweisen schon seit Wochen auf wachsende Frustration, dass der Kurs Grossbritanniens drei Jahre nach dem Brexit-Referendum noch immer nicht klar ist. Nach der letzten Verlängerung hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärt, der 31. Oktober sei «die allerletzte Frist». Der Franzose befürchtete eine Lähmung der EU, wenn die Briten noch länger bleiben.
Ähnlich wie Deutschland würde aber auch Frankreich wegen seiner engen Wirtschaftsbeziehungen zu Grossbritannien besonders hart durch einen No-Deal-Brexit getroffen. Begründet London die Verlängerung mit Neuwahlen, dürften viele EU-Staats- und Regierungschefs für eine erneute Verschiebung plädieren. Dabei dürfte es auch darum gehen, in den Geschichtsbüchern nicht dafür verantwortlich gemacht zu werden, dass Grossbritannien mit einem grossen Knall aus der EU gekracht ist. (sda/afp)