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Tausende bei Bauernprotesten in Den Haag

Tausende bei Bauernprotesten in Den Haag – auch Extinction Rebellion protestierte

11.03.2023, 15:2111.03.2023, 22:54
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Mehrere tausend Menschen haben in Den Haag gegen geplante Umweltauflagen der Regierung für die Landwirtschaft protestiert. Mit Flaggen, Ballons und Spruchbändern waren viele Bauern am Samstag in den Zuiderpark gezogen. «Keine Bauern, kein Essen» oder «Stolz auf die Bauern» stand auf den Spruchbändern. Die radikale Bauernorganisation «Farmers Defence Force» hatte zur «grössten Demo aller Zeiten» aufgerufen, rechte Organisationen und populistische Politiker hatten ebenfalls ihre Anhänger mobilisiert.

Nur wenige Kilometer Luftlinie von der Bauern-Demonstration entfernt demonstrierten dagegen rund 3000 Klimaschützer der Aktionsgruppe «Extinction Rebellion» für deutlich strengere Massnahmen beim Klima- und Umweltschutz. Für kurze Zeit besetzten sie einen Autobahnzubringer, sie ketteten sich an und klebten sich am Asphalt fest. Die Polizei räumte die Strasse.

Die Proteste fanden vier Tage vor den Provinzialwahlen am Mittwoch statt. Dann wird nicht nur über die Parlamente der Provinzen entschieden, sondern indirekt auch über die Zusammenstellung der Ersten Kammer des nationalen Parlaments (vergleichbar dem Bundesrat). Nach den Umfragen wird ein starker Rechtsruck erwartet. Der Koalition werden hohe Verluste vorhergesagt.

Bei der Bauern-Kundgebung ging es nicht nur um Umweltauflagen. Rechte Parteien riefen zum Widerstand gegen die Regierung auf. Der Rechtspopulist Geert Wilders rief dazu auf, am Mittwoch die Koalition «abzuwählen».

epa10113946 A farmer plows his parched fields in Landelijk, the Netherlands, 10 August 2022. The ongoing drought and heatwave across much of Europe is causing low water levels and water shortages. EPA ...
Ein Bauer pflügt ein Feld in Landelijk.Bild: keystone

Trotz des Verbotes hatten sich Dutzende von Bauern am frühen Morgen mit Treckern auf den Weg gemacht. Sie wurden von der Polizei gestoppt, denn aus Sorge vor Ausschreitungen hatte die Stadt Trecker verboten und Zufahrtsstrassen und wichtige Kreuzungen mit Militärlastwagen versperrt. Am Demonstrationsgelände aber war dann doch ein Bagger durch die Blockade gebrochen, und es konnten mehrere Lastwagen trotz des Verbots auf den Platz fahren. Eine Person wurde festgenommen.

Die Sorge bei den Behörden vor Gewalt war gross, nachdem im vergangenen Jahr Bauern wochenlang auch mit Gewalt protestiert hatten.

Anlass für die Bauern-Proteste sind die angekündigten Auflagen zum Schutz der Naturgebiete. Die Mitte-Rechts-Koalition von Premier Mark Rutte will den Stickstoff-Eintrag bis 2030 drastisch reduzieren. Auslöser für diese Entscheidung war ein Urteil des höchsten Gerichts im Jahr 2019. Die Massnahmen könnten das Ende für etwa 30 Prozent der Viehbetriebe bedeuten, schätzt die Regierung.

Die Eigentümer von rund 3000 Höfen, die in der Nähe von bedrohten Naturgebieten am meisten Stickstoff ausstossen, sollen zum Verkauf bewegt werden oder zumindest zur drastischen Reduzierung des Viehbestandes. Aber auch Enteignungen werden nicht ausgeschlossen. «Wir haben keine Wahl», sagte die zuständige Ministerin für Natur und Stickstoff, Christianne van der Wal. «Die Natur kann nicht warten.»

Seit Jahren wird bei den europäisch geschützten Natura 2000-Gebieten in den Niederlanden viel zu viel reaktiver Stickstoff in die Luft ausgestossen. Hauptverursacher ist die intensive Viehzucht, in der viel Ammoniak entsteht. Dies hat dramatische Folgen für die Biodiversität. Der Boden wird sauer, Pflanzen und Bäume sterben ab, sie werden von Brombeeren oder Brennnesseln überwuchert. Insekten, Vögel und andere Tiere verschwinden.

Der Agrar-Sektor ist riesig und einer der grössten Exporteure der Welt. Im vergangenen Jahr exportierten die rund 52 000 landwirtschaftlichen Betriebe für 122 Milliarden Euro Waren ins Ausland, fast ein Viertel davon ging nach Deutschland.

Jahrelang wurden die Umweltbelastungen geduldet oder mit Ausnahmeregeln legalisiert, obwohl Grenzwerte überschritten wurden. Immer wieder wurden Schlupflöcher gefunden, um nur nicht die landwirtschaftliche Produktion einzuschränken. Dass dies ein Fehler war, räumt inzwischen auch die Regierung ein.

Das Urteil von 2019 hatte grosse Folgen: Projekte nahe von Naturgebieten, bei denen Stickstoff freikommt, dürfen nicht genehmigt werden. Das heisst, der Bau von Wohnungen und Strassen stockt, die Industrie kann nicht expandieren, und sogar die Energiewende kommt in Gefahr. «Der grosse Umbau der Landwirtschaft ist unvermeidlich», sagte Ministerin van der Wal.

Die Bauern aber fordern eine Zukunftsperspektive, und sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Ausserdem zweifeln sie die Notwendigkeit der Massnahmen an. (sda/dpa)

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37 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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__nick
11.03.2023 09:14registriert August 2022
Wenn Klimaaktivist*innen die Autobahn blockieren, ist es überall in den Nachrichten.
Aber wenn Bauer*innen die Autobahn blockieren, wird es toleriert.
Zwei verschiedene Massstäbe.
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Magnum
11.03.2023 12:12registriert Februar 2015
Die einen protestieren, damit seitens der Politik die vom Klimawandel ausgehende Gefahr endlich ernst genommen wird. Und wer weiss, dass ein Grossteil der Niederlande akut von einem steigenden Meeresspiegel bedroht ist, kann diese Gefahr in etwa einschätzen.
Die anderen protestieren für ein Gewohnheitsrechten zur Verpestung der Umwelt. Denn die Düngerbilanz der Niederlande ist schon seit Jahren komplett aus der Balance und der Viehbestand komplett aus dem Ruder.

Für die eine Demo habe ich vollstes Verständnis, für die andere gar keines.
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Händlmair
11.03.2023 09:33registriert Oktober 2017
Die Menschheit ist am Arsch.

Bevor die Menschheit die Massnahmen gegen die Umweltverschmutzung einführen kann, wird die verschmutzte Umwelt den Menschen umbringen.
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