Südkorea hat trotz seiner Nähe zum Ursprungsland China die Coronakrise bisher gut gemeistert. Ein früher Peak von Neuinfektionen Ende Februar/Anfangs März konnte schnell unter Kontrolle gebracht werden und als die Fallzahlen Ende August stiegen und sich eine zweite Welle abzeichnete, reagierte man erneut rigoros und bremste den Anstieg schnell, Seit einigen Wochen übersteigen die Neuinfektionen im Land mit rund 52 Millionen Einwohnern die 100er-Grenze praktisch nie mehr.
Gerechnet auf 100'000 Einwohner meldete das asiatische Land in den letzten 14 Tagen damit zwei Neuinfektionen. Zum Vergleich: Die Schweiz stand am Freitag (23.10.) bei 495.
Insgesamt steckten sich im Land bisher 25'000 Personen mit dem Virus an, 453 Personen starben gemäss der WHO.
Wie hat Südkorea das gemacht? Wir haben mit Hoseop gesprochen, ein 30-jähriger Südkoreaner, der in Seoul wohnt und mit einer Schweizerin zusammen ist. Die Schweiz besuchte er schon mehrfach, zuletzt vom 22. Juli bis 10. August in diesem Jahr.
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Hoseop, du lebst in Seoul und damit in einem Land, welches das Coronavirus weitestgehend unter Kontrolle hat. Wie hat sich dein Leben seit Auftauchen des neuen Virus verändert?
Hoseop: Ehrlich gesagt: Für mich praktisch nicht. Ich gehe arbeiten, kann auswärts Essen gehen, ins Kino und Freunde treffen.
Geht das allen so?
Nein. Es gibt in Südkorea schon auch viele Leute, die ihre Jobs verloren haben. Kleine, aber auch grössere Firmen mussten Entlassungen aussprechen, da sie in finanzielle Schwierigkeiten gerieten.
Trotzdem meisterte Südkorea die Pandemie bisher gut. Woran liegt das?
Erstens: Wir tragen überall eine Maske. Die Regierung musste das nicht entscheiden. Wir sind uns Masken auch sonst gewohnt, beispielsweise gegen die schlechte Luft.
Zweitens glaube ich, es hat auch mit unserer Kultur zu tun. Wenn wir ein Problem haben, dann versuchen wir dieses zusammen zu lösen. Das war schon während der IWF-Krise zur Jahrtausendwende so. Jeder versucht seinen Teil beizutragen. Sehr vereinfacht gesagt: Aus unseren rund 50 Millionen Einwohnern werden wir zu einem. Ich glaube, diese Haltung macht einen grossen Unterschied zu anderen (europäischen) Ländern.
Du warst im Sommer in der Schweiz. Bei deiner Rückkehr musstest du in Quarantäne.
Genau. Wer aktuell nach Südkorea fliegt, muss für 14 Tage in Quarantäne.
Wie lief das ab?
Das fängt schon vor dem Zoll an. Dir wird die Temperatur gemessen und du musst einige Fragen zu deiner Reise und den Aufenthaltsorten beantworten. Dann wirst du aufgefordert, die «Selbstquarantäne-App» herunterzuladen. Da musst du erst einige Informationen wie Adresse und Kontakte eingeben. Ob beispielsweise die Telefonnummer stimmt, wird sofort mit einem Testanruf überprüft. Zum Schluss musst du eine Erklärung für die Quarantäne unterschreiben.
Und dann geht es zum Zoll?
Genau. Aber sobald du da durch bist, musst du zum Spital beim Flughafen und dort einen Corona-Test machen, der für alle gratis ist.
Das gilt für Ausländer und Südkoreaner?
Falls du Ausländer bist, erfolgt der Test am Flughafen und die Regierung bezahlt dir danach die Unterkunft in Quarantäne bis zum Resultat. Danach musst du für den Rest der 14 Tage für die Unterkunft der Regierung bezahlen. Südkoreaner werden von einem Fahrer abgeholt, für den Test zum Spital gebracht und danach nach Hause gefahren (oder auch in ein AirBnB oder ähnliches) für die Quarantäne.
Und wie läuft die Quarantäne ab?
Du erhältst Handdesinfektionsmittel und einen Fiebermesser, mit dem du täglich zweimal messen und das Resultat in die App eingeben musst. Falls du das nicht machst, erinnert dich die App daran. Dazu musst du dein allgemeines Befinden in der App updaten. Du darfst die Wohnung nicht verlassen. Essen musst du dir also liefern lassen (online oder von Nachbarn). Die Türe darfst du erst öffnen, wenn der Lieferant weg ist. Wenn du Symptome verspürst, rufst du das Spital an und sie holen dich ab.
Wie wirst du kontrolliert?
Die App überwacht mit GPS deinen Standort. Wenn sich der Standort zu lange nicht ändert, du dein Telefon also irgendwo hinlegst, rufen sie dich an und fragen, was los ist. Zusätzlich gibt's unangekündigte Kontrollbesuche der Behörden.
Was, wenn du die Quarantäne-Regeln brichst?
Dann gibt's eine saftige Busse. Umgerechnet wohl etwa 10'000 Dollar. Je nachdem musst du auch ins Gefängnis. Und für Ausländer: Du erhältst eine lebenslange
Einreisesperre nach Südkorea.
Das lohnt sich also eher nicht. Du hast die Quarantäne überstanden. Erzähl noch ein wenig, was in Seoul aktuell möglich ist. Wie sieht es mit den Restaurants aus, was gilt dort?
Sie kontrollieren deine Temperatur und du musst die Telefonnummer und Adresse angeben, aber nicht mehr den Namen. Der Grund dafür ist etwas speziell. Es gab einen Fall, als ein Mann einer Frau, dessen Angaben er auf der Kontaktliste sah, eine Message schrieb. Seither müssen wir den Namen nicht mehr angeben. Das gilt auch für (Karaoke-)Bars.
Was gilt für Schulen?
Man muss schon Zuhause die Temperatur messen, über 37 Grad darfst du nicht in die Schule. Beim Eingang zur Schule wird nochmals gemessen. Die Maskenpflicht gilt für alle auch während dem Unterricht.
Sind grosse Versammlungen und Events erlaubt?
Die Behörden arbeiten mit einem Level-System: Level 1, Level 2, Level 3. Aktuell sind wir im Level 1. Das bedeutet: Es gibt keine Einschränkungen, solange wir die Maske tragen und Abstand halten. Level 2 wäre dann: Drinnen keine Veranstaltungen über 50 Personen, draussen über 100.
Und bewegen im Land kann man sich frei?
Ja, da gibt es gar keine Einschränkungen. Du kannst überall hin. Allerdings empfiehlt die Regierung, auch im Inland auf nicht wichtige Reisen zu verzichten.
Wie hast du den Umgang mit der Pandemie hier in der Schweiz erlebt?
Als ich das in Südkorea erlebte, dachte ich mir: ‹Wow, wieso machte die Schweiz nicht auch sowas?› Es zeigte grosse Unterschiede wie Südkorea und die Schweiz mit dem Virus umgehen.
Südkorea kann mit starken Quarantänemassnahmen das Virus sehr tief halten. Es müssen lediglich die Flughafen und alle Häfen kontrolliert werden. Fertig.
Dies ist in einem Land wie der Schweiz mit durchgängigen und ungeschützten Landgrenzen und mit extrem grossen, täglichen Austausch von Grenzgängern nicht möglich. Erst recht nicht, da viele davon in systemrelevanten Jobs wie der Pflege arbeiten.