Viel geschlafen hat Christine Schraner Burgener in der Nacht auf Montag nicht. Seit dem Militärputsch versucht die UNO-Sondergesandte für Myanmar alles, um zwischen Armee und gestürzter Regierung zu vermitteln. Die erfahrene Diplomatin, bis 2018 Schweizer Botschafterin in Berlin und seither bei den Vereinten Nationen für Myanmar zuständig, ist äusserst besorgt über die Lage im Land. Viel Zeit habe sie denn auch nicht, sagt Schraner Burgener am Telefon. Sie müsse heute noch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Angelegenheit unterrichten.
Wie schätzen Sie die Situation in Myanmar aktuell ein?
Christine Schraner Burgener: Es ist sehr unsicher, wie es nach dem Putsch nun weitergeht. Ich bin sehr enttäuscht. Für den Demokratisierungsprozess im Land ist das ein herber Rückschlag. Ich mache mir auch Sorgen um Aung San Suu Kyi, um den verhafteten Präsidenten und um seine Minister.
Sie haben sich persönlich sehr für die Demokratisierung des Landes eingesetzt. Wie schwer wiegt die Aktion des Militärs?
Es ist eine Katastrophe. Alles was wir in den letzten drei Jahren auf den Weg gebracht haben ist wie auf einen Schlag verschwunden. Es geht zurück auf Feld 1, zurück zur Militärdiktatur. Das ist extrem betrüblich.
Die Armee spricht von Wahlfälschung und will Neuwahlen durchführen. Was ist davon zu halten?
Der Armeechef Min Aung Hlaing, der den Putsch angeführt hat, hat mir ein Statement zukommen lassen, das er später auch veröffentlicht hat. Er wolle das Wahlresultat überprüfen lassen und Neuwahlen ansetzen. Dabei war die Wahl am 8. November transparent, Suu Kyis NLD-Partei hat gewonnen. Ich sehe nicht, was sich bei Neuwahlen ändern würde.
Hatten Sie seit dem Putsch Kontakt zu Aung San Suu Kyi?
Ich habe sie bislang noch nicht erreicht. Das Militär hat das Internet in der Hauptstadt Naypyidaw gekappt. Ich hatte in der Nacht Kontakt mit mehreren Leuten in Yangon, die uns bestätigten, was vorgefallen war.
Hat Sie der Zeitpunkt des Putsches überrascht?
Anzeichen gab es bereits nach der Wahl im November, da haben bereits die Alarmglocken geläutet. Zwar hat der Armeechef das Wahlergebnis akzeptiert, was uns sehr gefreut hat. Allerdings war er enttäuscht vom Ergebnis und hat Bedingungen an Aung San Suu Kyi und ihre Regierung gestellt. Zu deren Erfüllung gab es ein Ultimatum bis letzten Freitag. Aung San Suu Kyi ging nicht darauf ein.
Daraufhin wurde sie festgesetzt.
Ich habe seit Freitag zwischen beiden Seiten Brücken bauen wollen und habe mehrfach direkt mit der Armee gesprochen. Der Armeechef versicherte, dass es nicht zu einem Putsch kommen würde. Deshalb hat es mich letztlich doch überrascht. Derzeit versuche ich das Militär davon zu überzeugen, dass sie mit mir sprechen. Bislang kam es aber noch zu keinem direkten Austausch.
Wie geht es nun weiter, für Aung San Suu Kyi und für Myanmar?
Ich hoffe, dass Aung San Suu Kyi und die Minister bald freigelassen werden. Darauf konzentriere ich mich. Die Frage ist auch, ob sich das Land nun wieder isoliert, und wie die internationalen Reaktionen ausfallen. Das Thema wird im Sicherheitsrat diskutiert. Insgesamt bin ich allerdings sehr beunruhigt. Noch in diesem Jahr soll es zu Neuwahlen kommen, aber auch das ist ungewiss. Wir werden sehen, ob es im versprochenen Friedensprozess vorangeht. Unklar ist auch, wie sich die Lage der Rohingya entwickelt. Auch hier konnten wir zuletzt grosse Fortschritte erzielen. Die Aussichten sind nun jedoch betrüblich.