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Nach den Paris-Attacken macht ein Begriff die Runde – «Daesh». watson hat einen Sprachwissenschaftler der Universität Zürich befragt, warum westliche Staatschefs diese Bezeichnung im Propagandakrieg pushen, welche Wirkung ein Wort oder die Sprache in der Politik haben kann und wieso sich die Welt an «Daesh» gewöhnen sollte.
«Daesh» klingt nicht nur wie ein hingespucktes Schimpfwort, sondern kann
auch inhaltlich als Beleidigung eingesetzt werden, es hat im arabischen
Sprachgebrauch eine stark abwertende Note. Je nach Verwendung kann es
sinngemäss unter anderem «jemandem fanatisch seine Sicht aufzwingen wollen»,
«jemanden niedertrampeln» oder auch «bigott» bedeuten.
«Daesh» ist im Grunde nichts anderes als das Akronym, das ist ein Wort aus den
Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter, der Bezeichnung «Islamischer Staat im
Irak und in Syrien» auf Arabisch: «Ad-Dawla al-Islamiya fi l-Iraq
wa-sh-Sham».
Das Wort «Daesh» ist Teil des Propagandakrieges geworden, ein abwertender Ausdruck für «ISIS». Was geschieht da aus linguistischer Sicht?
David Eugster: Der Begriff wird von westlichen Politikern als Teil eines Propagandakrieges verwendet, der militärische Angriffe begleitet. Was interessant ist, ist, dass hier eine Begrifflichkeit aus dem arabischen Raum aufgenommen wird. Hollande zum Beispiel sagt, er wolle die Bezeichnung «IS» ganz bewusst nicht verwenden, weil diese die Grenzen zwischen dem [sogenannten] «Islamischen Staat», dem Islam und den Muslimen auflöst. Er will diese Gleichstellung, die derzeit auch in Europa oft gemacht wird, verhindern. Der Begriff eignet sich zudem auch sehr gut, den «IS» lächerlich zu machen und den Respekt zu verweigern, ihn beim selbst gewählten Namen zu nennen, und ihn somit als Staat zu akzeptieren.
Das Monster «IS» wird dadurch realer in unseren Köpfen?
Man möchte eine Einheit, gegen die man Krieg führt, behaupten.
Dann empfiehlt der Linguist, den Begriff «Daesh» zu verwenden, wenn man sich engagieren will?
Es werden momentan mehrere Möglichkeiten gewählt, sich symbolisch an diesem Konflikt zu beteiligen. Ich spreche beispielsweise die Frankreichflaggen auf Profilbildern an. Doch oft verhärtet es auch bestehende Fronten und stärkt fragwürdige Identitäten, wie jene «des aufgeklärten Westens» und schliesst die arabische Welt und Muslime aus. Das Wort «Daesh» hätte auf Grund seiner Herkunft zumindest das Potential, die arabische Welt als aktiven Teil dieser Abgrenzungen gegenüber dem Terror zu verstehen – nicht zuletzt sind dort die meisten Opfer des «IS» zu beklagen.
Hollande und auch andere Staatschefs beleidigen die Terrormiliz mit diesem Begriff?
Die Führer des «IS» haben angeblich damit gedroht, allen, welche diese Bezeichnung benutzen, die Zunge rauszuschneiden. Das wird sich auf den militärischen Erfolg des «IS» aber nicht auswirken. Die Wirkung dieses Wortes ist eher gegen innen: In seiner arabischen Doppeldeutigkeit vermag «Daesh» im Verlachen einen Zusammenhalt unter den Kritikern des «IS» erzeugen.
Mit Sprache wird auch Krieg geführt, wie erklärt das der Sprachwissenschaftler?
Krieg wird in dem Sinne nie mit Worten allein geführt, sie begleiten ihn jedoch immer: Sie ermöglichen eine Legitimation für Angriffe, Verteidigungen, aber auch Vernichtungen. Genereller gesprochen dienen beleidigende Bezeichnungen im Krieg immer dazu, sprachlich zu erniedrigen, herabzusetzen. Man macht dieses Wort aber auch zum Vokabular einer Gruppe, die eigentlich erst durch den Sprachgebrauch entsteht und zusammengeschweisst wird. Beleidigungen des Gegners dienen primär der Truppenmobilisierung. Mit der Verwendung des Wortes «Daesh» wollen Hollande oder andere Politiker wohl auch signalisieren, dass der militärische Kampf gegen den «IS» kein rein westliches Projekt ist.
Ist Sprache auch eine Möglichkeit, mit einer Bedrohung umzugehen?
Semantisch passiert in der nicht-arabischsprachigen Welt nicht viel, der Begriff ist hier nicht geläufig. In der arabischsprachigen Welt aber wird dieser Begriff auch als humoristische Reaktion auf den «IS» verstanden, das Gespött signalisiert und eine andere Haltung erzeugt. Die Gestalt eines Monsters ist für die Gegner des «IS» auch in der arabischsprachigen Welt überdeutlich da.
Mit Sprache wird Macht ausgeübt. Was ist das für ein Mechanismus, kann ich das auch? Und wenn ja, wie?
Sprache ordnet die Wirklichkeit: Sie versieht Dinge mit Konnotationen, Zusatzbedeutungen, und sie ermöglicht auch das Herstellen von Hierarchien. Mit Sprache kann man Wirklichkeit generieren und Dinge mit Konnotationen versehen, die sie vorher nicht hatten. Ein radikales Beispiel ist, wenn man von politischen Gegnern als Ratten spricht, dann ist das ein klarer Hinweis, wie diese Gegner zu lesen sind. Das beleidigt die Adressaten, aber es verstärkt aber auch eine Haltung bei Menschen, welche etwas bereits problematisch finden, es festigt eine Gruppenidentität.
Das ist eine Diskriminierung über Sprache. Das ist auch ideologisches Vokabular. «Daesh» funktioniert wie der Begriff «Nigger»?
Erniedrigende Bezeichnungen stärken die Kampfbereitschaft. Wenn man die Deutschen beispielsweise als Hunnen bezeichnet, wie das in der Propaganda Grossbritanniens getan wurde, hat man die deutschen Soldaten mit Barbaren gleichgestellt, die man bekämpfen muss – was wohl damals auch nicht ganz falsch war. Eine ähnliche Legitimation der Vernichtung entstand aber auch, indem man Juden als Ungeziefer bezeichnete. Solche Begriffe bedeuten immer, dass derjenige, der sie verwendet, den Respekt vor den Bezeichneten verliert, ja verlieren darf. Bei rassistischem Sprachgebrauch kommt das Gefühl der Erhabenheit bei einer Mehrheitsgesellschaft hinzu. Man erlaubt sich, einen herablassenden, beleidigenden Begriff für Individuen zu verwenden.
Ratten, Ungeziefer – gibt es Beispiele aus der Schweiz?
Nun, die Ratten sind ein Beispiel aus der Schweiz. Dieser Sprachgebrauch kam erst kürzlich wieder auf. Auch in der Schweiz kennen wir einige politische Plakate, welche die ganze Zoologie rauf und runter deklinieren, um politische Gegner darzustellen: Die Plakate der SVP sind ein Paradebeispiel dafür, wie Metaphern dazu verwendet werden, um politischen Kampfgeist durch Herabsetzung zu festigen.
Die Linke nutzt die Sprache aber auch ...
Sicher, in der Geschichte der radikalen Linken gibt es auch das Bild der überfressenen Kapitalistensau. Auch Polizisten wurden als Schweine dargestellt, das gab es auch. Das ist mittlerweile aber historischer Natur. Auf dem parlamentarischen Parkett aber ist da bei der Linken heute eher eine Zurückhaltung zu beobachten.
Wir haben die Beleidigung, die Abgrenzung genannt – gibt es weitere Funktionen, welche die Sprache in der Politik hat?
Die Aufmerksamkeit. Die Bezeichnung eines politischen Gegners als Schädling kann diesbezüglich auch zu einer Radikalisierung führen, im Sinne von: «Es ist jetzt ganz wichtig, dass wir sofort reagieren». Im Kalten Krieg wurden linke Kräfte auch als Wühlmäuse bezeichnet. Oder als Maulwürfe. Diese Benennungen hatten immer auch die Implikation, dass etwas passiert, was aber nicht unmittelbar sichtbar ist, es passiert unter der Erde und das bedroht alle. Das ist auch eine Notstandrhetorik.
Sprache wird in der Politik auch viel subtiler genutzt. Die SVP spricht von der «Masseneinwanderungs-Initiative», die Gegner etwas neutraler von der «Zuwanderungs-Initiative». Wird Sprache grundsätzlich unterschätzt, vor allem von den Journalisten?
In Bezug auf die Aufnahme der Begriffe, ja. Die «Masseneinwanderung» ist ein Beispiel, ein weiteres ist der Begriff «Dichtestress», den man in den politischen Diskurs aufgenommen hat. Das sind Strategien, um eine Situation herzustellen. «Dichtestress» beispielsweise ist ursprünglich ein biologischer Begriff. Es gibt aber auch weitere sprachliche Elemente, die zu hinterfragen wären, da sie unweigerlich politisch werden: So zum Beispiel, dass man mittlerweile bei jedem Bericht über einen Straftäter mitteilt, welche Nationalität er hat oder mal hatte. Allgemein: Wie wichtig es doch geworden ist, Herkunft zu benennen, während viele Zeitungen es gleichzeitig nicht für nötig halten, beide Geschlechter in Texten zu erwähnen.
Taugt der Begriff «Daesh» irgendwann als Mahnmal für die Thematisierung von früherem Unrecht?
Ja, das glaube ich schon. Siehe analog die Bezeichnung «Hunnen» für die Deutschen. Das sind Mahnmale, die in 50 Jahren zeigen, welche Mentalität geherrscht hat oder welche Mentalität man gerne gehabt hätte, die herrsche. Solche Begriffe haben eine archäologische Wichtigkeit.
Boston5
Benutzt Watson nun auch "Daesh"??
Zeit_Genosse
Mir scheint noch fast wichtiger zu sein was man nicht sagt. Wenn man auf "IS" oder "Islamischer Staat" verzichtet, stellt man klar, dass die Terrorgruppierung weder als Staat noch als islamisch angesehen wird. Dadurch entzieht mann der Terrorgruppierung jegliche Legitimität (für eine Sache zu kämpfen, z.B. den Islam und ein Kalifat).
Louie König