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Die 7 Tage des Protests: Iran kommt nicht zur Ruhe

Die 7 Tage des Protests: Iran kommt nicht zur Ruhe – trotz der rohen Gewalt des Regimes

23.09.2022, 17:2523.09.2022, 18:44
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Sie geben nicht auf, die Iranerinnen und Iraner, die aus Entrüstung über den Tod von Mahsa Amini auf die Strasse gehen.

Amini wurde mutmasslich von der Sittenpolizei in Teheran misshandelt. Sie starb am 16. September nach drei Tagen Koma in einem Spital der iranischen Hauptstadt. Ihr Vergehen: Ihre Kleidung war nicht Scharia-konform.

>> Mehr dazu hier: Der Kopftuch-Funke wird im Iran zum Flächenbrand – und hat auch den Präsidenten erreicht

Sie sind laut und sie sind viele – all diejenigen, die in Iran dafür sorgen, dass Aminis Name nicht vergessen geht. Und so sieht ihr Protest aus:

Samstag, 17. September

Am 17. September trägt Aminis Familie die junge Frau zu Grabe. Sie wird fortan in ihrer Heimatstadt Saqqez ruhen – einer vorwiegend von Kurden bewohnten Stadt im Nordwesten Irans.

Ihre Beerdigung löst nicht nur Trauer, sondern vor allem Wut aus bei vielen Iranerinnen und Iranern. Die ersten Proteste formieren sich: Frauen nehmen ihre Hijabs ab und schwenken sie in der Luft – sie riskieren so Gefängnisstrafen und Peitschenhiebe. Gemeinsam mit Männern skandieren sie:

«Tod dem Diktator!»

In den sozialen Medien wird berichtet, dass Sicherheitskräfte mit roher Gewalt versuchten, die Proteste niederzuknüppeln.

Sonntag, 18. September

Am Sonntag ist Aminis Gesicht überall in Iran, denn eine Zeitung druckt ihr Porträt fast Seiten-füllend.

epa10191411 Iranian daily newspapers reporting Mahsa Amini���s death, in Tehran, Iran, 18 September 2022. Mahsa Amini, a 22 year old girl, was detained on 13 September by the police unit responsible f ...
Mahsa Amini auf der Titelseite.Bild: keystone

Der Protest schwappt von Saqqez in die grossen Städte im ganzen Land. An der Universität von Teheran formieren sich Gruppen aus Frauen und Männern, die skandierend durch die Stadt ziehen:

«Frau! Leben! Freiheit!»

Spätestens jetzt ist Amini nicht mehr nur bloss eine Frau, die von der Sittenpolizei getötet wurde. In dem Land, in dem an jeder Ecke der Märtyrer des Krieges gegen den Irak (1980–1988) gedacht wird, wird Amini nun selbst zu einer Art Märtyrerin. Sie wird ein Symbol des Widerstands gegen die Islamische Republik, die Frauen schikaniert, auspeitscht und tötet – wegen ihrer Haare.

Montag, 19. September

Immer mehr Menschen demonstrieren – es sind Tausende. Kopftücher brennen landauf, landab.

Es ist das erste Mal seit 1979, dass Frauen in so grosser Zahl auf die Strasse gehen, um gegen die Hijab-Pflicht zu protestieren.

Mancherorts wird sogar die iranische Fahne angezündet, als Protest gegen das Regime.

Gleichzeitig gibt es Berichte und nicht eindeutig verifizierbare Videos über Sicherheitskräfte, die Wasserwerfer einsetzen, auf Protestierende einprügeln oder scharf schiessen.

Die ersten Videos und Bilder von schwer verletzten und toten Menschen tauchen in den sozialen Medien auf – darunter auch das Video eines zehnjährigen Kindes, dem in den Kopf geschossen wurde.

Mittlerweile demonstrieren nicht nur die Frauen und Männer in Iran. Weltweit zerschneiden Mädchen und Frauen ihre Hijabs vor laufender Kamera oder säbeln sich die Haare ab. Die Videos verbreiten sich vor allem auf TikTok und Instagram rasant:

Dienstag, 20. September

Spätestens am Dienstag wird unter den iranischen Medienschaffenden die Angst gross, dass das Regime das Internet abstellen könnte. So reagierten die Mullahs bereits bei früheren Protestwellen, um zu verhindern, dass sich die Leute vernetzen, informieren oder die Bilder der Gräueltaten der Sicherheitskräfte in die ganze Welt verbreiten.

Währenddessen halten die Proteste an:

«Tod dem Diktator.»

Mittwoch, 21. September

Während die gewalttätigen Strassenschlachten weitergehen, beginnen Frauen, den Namen von Mahsa Amini im öffentlichen Raum an Oberflächen zu kleben oder zu sprayen:

Auch die Kopftücher werden weiterhin ausgezogen und geschwenkt:

Donnerstag, 22. September

Am Donnerstag ordnet der Justizchef Irans, Gholam-Hossein Mohseni-Eje'i, ein hartes Durchgreifen der Sicherheitskräfte bei den landesweiten Protesten an. Das Internet scheint mittlerweile stark eingeschränkt. Viele iranische Medien sind von der Schweiz aus nicht mehr erreichbar. Instagram, eines der letzten freien Netzwerke, wird anscheinend abgestellt.

Doch die Frauen und Männer lassen sich nicht davon abbringen, weiter zu protestieren. Das staatliche Fernsehen bestätigt 17 Tote. Aktivisten sprechen von mehr Toten und hunderten Verletzten. Bekannte Aktivisten und Lehrer werden inhaftiert, wie im Ausland stationierte iranische Medien berichten.

Gleichzeitig bekommen die Toten in den sozialen Medien Namen und Gesichter. Auffällig viele davon sind junge Frauen. Ihr Tod ist noch nicht unabhängig verifizierbar.

Freitag, 23. September

In einer Mitteilung des Generalstabs der Streitkräfte heisst es am frühen Morgen:

«Bei den Ereignissen der vergangenen Tage haben die Zurückhaltungen der Polizeikräfte gegenüber den Randalierern zu der Illusion geführt, dass sie die Autorität der Polizei und der Sicherheit herausfordern können. Wir warnen davor, dass wir keine Aggression und Unsicherheit tolerieren werden. Wir werden den Feinden nicht erlauben, die Situation auszunutzen.»

Doch die Menschen kümmert diese Drohung anscheinend nicht. Sie gehen weiter auf die Strasse. Auch Männer und inhaftierte Politiker rasieren sich mittlerweile die Haare öffentlichkeitswirksam ab. «Iran Independent» meldet, dass das Internet in ganz Iran seit 16 Uhr abgestellt ist.

Derweilen angeln die Sittenwächter und Sittenwächterinnen weiterhin nach «Sünderinnen», die gegen die Kleiderpflichten verstossen. Die junge Frau riskiert, dass sie inhaftiert und ausgepeitscht wird:

Die Frage ist noch offen: Markiert der Tod von Mahsa Amini einen Wendepunkt in der Islamischen Republik und für die Iranerinnen und Iraner? Einen Wendepunkt hin zu einer Freiheit, die Wahl zu haben.

Die nächsten Tage werden es zeigen. (yam)

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29 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schlaf
23.09.2022 17:55registriert Oktober 2019
Jahrelange Unterdrückung, da muss viel Dampf abgelassen werden.
Es ist zu hoffen, dass es reicht um was zu erreichen.
Viel Kraft den Iranerinnen und Iranern die auf die Strasse gehen.
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mrmikech
23.09.2022 17:55registriert Juni 2016
Iran, Russland, jetzt muss China noch. Grosse chance die welt demokratischer zu machen.
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Baba1234
23.09.2022 17:43registriert Dezember 2021
Ich hoffe die iranischen Bürger schaffen diese Wende und das Regime wird in die Wüste gejagt.
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