Sie geben nicht auf, die Iranerinnen und Iraner, die aus Entrüstung über den Tod von Mahsa Amini auf die Strasse gehen.
Amini wurde mutmasslich von der Sittenpolizei in Teheran misshandelt. Sie starb am 16. September nach drei Tagen Koma in einem Spital der iranischen Hauptstadt. Ihr Vergehen: Ihre Kleidung war nicht Scharia-konform.
Sie sind laut und sie sind viele – all diejenigen, die in Iran dafür sorgen, dass Aminis Name nicht vergessen geht. Und so sieht ihr Protest aus:
Am 17. September trägt Aminis Familie die junge Frau zu Grabe. Sie wird fortan in ihrer Heimatstadt Saqqez ruhen – einer vorwiegend von Kurden bewohnten Stadt im Nordwesten Irans.
Ihre Beerdigung löst nicht nur Trauer, sondern vor allem Wut aus bei vielen Iranerinnen und Iranern. Die ersten Proteste formieren sich: Frauen nehmen ihre Hijabs ab und schwenken sie in der Luft – sie riskieren so Gefängnisstrafen und Peitschenhiebe. Gemeinsam mit Männern skandieren sie:
Women of Iran-Saghez removed their headscarves in protest against the murder of Mahsa Amini 22 Yr old woman by hijab police and chanting:
— Masih Alinejad 🏳️ (@AlinejadMasih) September 17, 2022
death to dictator!
Removing hijab is a punishable crime in Iran. We call on women and men around the world to show solidarity. #مهسا_امینی pic.twitter.com/ActEYqOr1Q
In den sozialen Medien wird berichtet, dass Sicherheitskräfte mit roher Gewalt versuchten, die Proteste niederzuknüppeln.
Am Sonntag ist Aminis Gesicht überall in Iran, denn eine Zeitung druckt ihr Porträt fast Seiten-füllend.
Der Protest schwappt von Saqqez in die grossen Städte im ganzen Land. An der Universität von Teheran formieren sich Gruppen aus Frauen und Männern, die skandierend durch die Stadt ziehen:
This is Tehran University, students joined the protest against the murdering of #MahsaAmini by hijab police and chanting:
— Masih Alinejad 🏳️ (@AlinejadMasih) September 18, 2022
Woman, life, Freedom
Iranians are outraged. Yesterday the security forces opened fire at protesters in Saghez city but now Tehran joined the protest. pic.twitter.com/Bf9jcwWICB
Spätestens jetzt ist Amini nicht mehr nur bloss eine Frau, die von der Sittenpolizei getötet wurde. In dem Land, in dem an jeder Ecke der Märtyrer des Krieges gegen den Irak (1980–1988) gedacht wird, wird Amini nun selbst zu einer Art Märtyrerin. Sie wird ein Symbol des Widerstands gegen die Islamische Republik, die Frauen schikaniert, auspeitscht und tötet – wegen ihrer Haare.
These brave women stormed into the streets on day 2 after #Mahsa_Amini was murdered by hijab police.
— Masih Alinejad 🏳️ (@AlinejadMasih) September 18, 2022
They chant:
“Don’t be afraid, we are all united.”
Yesterday the security forces opened fire at protesters and injured some of them. People won’t give up. #مهسا_امینی pic.twitter.com/8RtpMlwSN2
Immer mehr Menschen demonstrieren – es sind Tausende. Kopftücher brennen landauf, landab.
This is Iran today. A woman proudly burning the most visible symbol of religious dictatorship; compulsory hijab.
— Masih Alinejad 🏳️ (@AlinejadMasih) September 19, 2022
Hijab police killed #MahsaAmini but now there are millions of Mahsa in Iran who are shouting NO to Forced hijab NO to gender apartheid regime.#مهسا_امینی pic.twitter.com/9tzd9IRwgB
Es ist das erste Mal seit 1979, dass Frauen in so grosser Zahl auf die Strasse gehen, um gegen die Hijab-Pflicht zu protestieren.
This video brought tears to my eyes.
— Masih Alinejad 🏳️ (@AlinejadMasih) September 19, 2022
Women & men burning compulsory hijab in the streets of Tehran where #MahsaAmini was beaten up to death by hijab police.
The woman who took the video says; our dream comes true Finally we are burning the symbol of our oppression in the street. pic.twitter.com/P9WYBixKw4
Mancherorts wird sogar die iranische Fahne angezündet, als Protest gegen das Regime.
The Islamic Republic and it’s clerics burned the American & Israel flags for more than 40 years. But young people are burning the Iranian flag in protest of the murder of #MahsaAmini at the hands of the government.pic.twitter.com/fntbpuytAo
— Sardar Pashaei (@sardar_pashaei) September 19, 2022
Gleichzeitig gibt es Berichte und nicht eindeutig verifizierbare Videos über Sicherheitskräfte, die Wasserwerfer einsetzen, auf Protestierende einprügeln oder scharf schiessen.
Die ersten Videos und Bilder von schwer verletzten und toten Menschen tauchen in den sozialen Medien auf – darunter auch das Video eines zehnjährigen Kindes, dem in den Kopf geschossen wurde.
Do you know why Iranian regime savagely crackdown the peaceful protests ofter the brutal death of #MahsaAmini?
— Masih Alinejad 🏳️ (@AlinejadMasih) September 19, 2022
Because they know that, compulsory hijab is the main pillar of Islamic Republic, It’s like the Berlin wall. If we tear this wall down, the Islamic republic won’t exist. pic.twitter.com/lUjnu7XpYP
Mittlerweile demonstrieren nicht nur die Frauen und Männer in Iran. Weltweit zerschneiden Mädchen und Frauen ihre Hijabs vor laufender Kamera oder säbeln sich die Haare ab. Die Videos verbreiten sich vor allem auf TikTok und Instagram rasant:
Spätestens am Dienstag wird unter den iranischen Medienschaffenden die Angst gross, dass das Regime das Internet abstellen könnte. So reagierten die Mullahs bereits bei früheren Protestwellen, um zu verhindern, dass sich die Leute vernetzen, informieren oder die Bilder der Gräueltaten der Sicherheitskräfte in die ganze Welt verbreiten.
Islamic Republic is killing protesters on streets, there is a high possibility that they block access to the internet any moment to prevent news of massacre being disseminated as they did before. Its a matter of urgency for Iranians, when do you think we might hear about this?
— Saman Rasoulpour (@SamRasoulpour) September 19, 2022
Währenddessen halten die Proteste an:
Iranian protesters are chanting "down with the dictator." #MahsaAmin pic.twitter.com/cKmsC7Q5Ab
— Masih Alinejad 🏳️ (@AlinejadMasih) September 20, 2022
Während die gewalttätigen Strassenschlachten weitergehen, beginnen Frauen, den Namen von Mahsa Amini im öffentlichen Raum an Oberflächen zu kleben oder zu sprayen:
Iranian students are writing #Mahsa_Amini's name on the walls and putting up posters to invite people to protests.
— Masih Alinejad 🏳️ (@AlinejadMasih) September 21, 2022
I am proud of this new brave generation. pic.twitter.com/IE1BahJlwF
Auch die Kopftücher werden weiterhin ausgezogen und geschwenkt:
The real news of Iran is this not nuclear deal or Ebrahim Raisi’s speech at the UN.
— Masih Alinejad 🏳️ (@AlinejadMasih) September 21, 2022
Iranian women removing their hijab, facing guns and bullets alongside men and chanting against Islamic Republic.
Regime os cutting the internet in some cities. Be voice voiceless. #مهسا_امینی pic.twitter.com/l1zAZgEfoP
Am Donnerstag ordnet der Justizchef Irans, Gholam-Hossein Mohseni-Eje'i, ein hartes Durchgreifen der Sicherheitskräfte bei den landesweiten Protesten an. Das Internet scheint mittlerweile stark eingeschränkt. Viele iranische Medien sind von der Schweiz aus nicht mehr erreichbar. Instagram, eines der letzten freien Netzwerke, wird anscheinend abgestellt.
I received this video from Saghez the city that #Mahsa_Amini was born. The woman says: I am also 22 years old, like (Jina) Mahsa. The government filtered Instagram, restricting internet & killing people in the streets but they cannot kill our hope and our dreams.#زن_زندگی_آزادی pic.twitter.com/A3TRVVsENK
— Masih Alinejad 🏳️ (@AlinejadMasih) September 22, 2022
Doch die Frauen und Männer lassen sich nicht davon abbringen, weiter zu protestieren. Das staatliche Fernsehen bestätigt 17 Tote. Aktivisten sprechen von mehr Toten und hunderten Verletzten. Bekannte Aktivisten und Lehrer werden inhaftiert, wie im Ausland stationierte iranische Medien berichten.
Gleichzeitig bekommen die Toten in den sozialen Medien Namen und Gesichter. Auffällig viele davon sind junge Frauen. Ihr Tod ist noch nicht unabhängig verifizierbar.
In einer Mitteilung des Generalstabs der Streitkräfte heisst es am frühen Morgen:
Doch die Menschen kümmert diese Drohung anscheinend nicht. Sie gehen weiter auf die Strasse. Auch Männer und inhaftierte Politiker rasieren sich mittlerweile die Haare öffentlichkeitswirksam ab. «Iran Independent» meldet, dass das Internet in ganz Iran seit 16 Uhr abgestellt ist.
Derweilen angeln die Sittenwächter und Sittenwächterinnen weiterhin nach «Sünderinnen», die gegen die Kleiderpflichten verstossen. Die junge Frau riskiert, dass sie inhaftiert und ausgepeitscht wird:
«Vous ne pouvez pas m'arrêter, je suis ici parce que vous avez tué Mahsa Amini». Elle risque sa vie #MahsaAmini #مهسا_امینی pic.twitter.com/3l4FDLdRmu
— Masih Alinejad 🏳️ (@AlinejadMasih) September 23, 2022
Die Frage ist noch offen: Markiert der Tod von Mahsa Amini einen Wendepunkt in der Islamischen Republik und für die Iranerinnen und Iraner? Einen Wendepunkt hin zu einer Freiheit, die Wahl zu haben.
Die nächsten Tage werden es zeigen. (yam)
Es ist zu hoffen, dass es reicht um was zu erreichen.
Viel Kraft den Iranerinnen und Iranern die auf die Strasse gehen.