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Empörung nach Tod von junger Frau im Iran – landesweite Proteste

Empörung nach Tod von junger Frau im Iran – Frauen verbrennen Hijab aus Protest

Mahsa Amini reiste mit ihrem Bruder nach Teheran, um dort Verwandte zu besuchen. Dort kam sie allerdings nie an. Sie wurde von der Sittenpolizei festgenommen, drei Tage später war sie tot. Die Empörung im Iran ist gross.
19.09.2022, 09:5519.09.2022, 17:04
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Am 13. September wurde Mahsa Amini von der Sitten- und Religionspolizei in deren Van gezerrt. Sie war mit ihrem Bruder aus den kurdischen Gebieten nach Teheran unterwegs. In der iranischen Hauptstadt wollten sie Verwandte besuchen. Doch ihr Erscheinungsbild war der iranischen Sittenpolizei ein Dorn im Auge.

Was genau nicht stimmte an ihrem Outfit, ist unklar. Sie habe «ein unislamisches Outfit» oder den Hijab nicht korrekt getragen, sodass einige Haarsträhnen herausschauten – wird vermutet. Während der Verhaftung sei ihrem Bruder gesagt worden, dass die junge Frau nach einer «Umerziehungssitzung» wieder freigelassen würde.

Im Polizei-Van sei sie dann von der Sittenpolizei geschlagen worden, wie Augenzeugen gegenüber RadioFreeEurope berichteten. Zu diesem Zeitpunkt sei sie noch bei Bewusstsein gewesen. Nur wenige Stunden später wird ihrer Familie mitgeteilt, dass sie ins Spital eingeliefert worden sei. Drei Tage später, am Freitag, dem 16. September, wird sie für tot erklärt.

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Ihr Tod sorgte in den iranischen Medien für Schlagzeilen.Bild: keystone

Bilder, die Amini im Spital angeschlossen an Maschinen zeigen, verbreiten sich wie ein Lauffeuer durchs Internet. Kaum jemand glaubt der offiziellen Todesursache. Nach Polizeiangaben soll Amini auf der Polizeiwache nämlich wegen Herzversagens zunächst in Ohnmacht und danach ins Koma gefallen sein.

Mahsa Amini soll gemäss offiziellen Aussagen an einem Herzversagen gestorben sein.
Mahsa Amini soll gemäss offiziellen Aussagen an einem Herzversagen gestorben sein.twitter

Die Familie bestreitet allerdings, dass Amini irgendwelche Herzprobleme gehabt haben soll. Zudem soll Amini bei ihrer Einlieferung ins Spital schon hirntot gewesen sein, wie das Krankenhauspersonal der Familie gemäss eigenen Aussagen mitteilte. So kursiert im Internet eine andere Theorie ihrer Todesursache: Nach der Verhaftung sei ihr auf den Kopf geschlagen worden, was zu einer Hirnblutung, dem Koma und letztendlich schon am Dienstag zu ihrem Hirntod geführt habe. Die Polizei wies diese Darstellung vehement zurück.

Frauen verbrennen aus Protest ihren Hijab

Die Empörung im Iran ist gross. So gross, dass iranische Frauen aus Protest ihre Haare abschneiden oder ihren Hijab verbrennen und Videos davon ins Netz stellen.

In mehreren Städten sind ausserdem Menschen auf die Strasse gegangen. Bei der Beerdigung der 22-Jährigen in ihrer Heimatstadt Saghes, im kurdisch bevölkerten Gebiet Irans, demonstrierten Tausende vor dem Gouverneursamt. Die Frauen nahmen aus Protest ihre Kopftücher ab, wie Videos auf Twitter zeigen:

Nach Angaben der Nachrichtenagentur Fars kam es dabei auch zu Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Menge auseinanderzutreiben.

Menschen protestieren auf der Strasse

In Sanandadsch, der Hauptstadt der Provinz Kurdistan, schritten am Sonntagabend Sicherheitskräfte bei Demonstrationen ein. Dabei sollen auch Warnschüsse gefallen sein. Mehrere Menschen seien verletzt worden, hiess es aus der Provinz. Aus Solidarität kündigten Händler in Kurdistan an, ihre Geschäfte am Montag zu schliessen.

Auch die örtlichen Behörden bestätigten die Proteste, gaben die Zahl der Teilnehmer jedoch geringer an. In den sozialen Medien war die Rede von mehreren Verhaftungen und sogar zwei Toten, was bislang aber nicht bestätigt ist.

Präsident Raisi unter Kritik

Erst am 15. August unterzeichnete Präsident Ebrahim Raisi ein Dekret, welches die Kleidung von Frauen strenger regelt. Verstösse gegen den strengen Kodex sollen sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Internet härter bestraft werden.

Iranian President Ebrahim Raisi speaks prior to leave Tehran's Mehrabad airport to New York to attend annual UN General Assembly meeting, Monday, Sept. 19, 2022. Raisi headed to New York on Monda ...
Raisi am 19. September, kurz bevor er sich auf die Reise nach New York macht, wo er an der jährlichen UN-Generalversammlung teilnehmen wird. Bild: keystone

Nun befinden sich die Polizei und auch die Regierung von Raisi seit dem Tod der Frau und der landesweiten Kritik in Erklärungsnot. Die Polizei versuchte, mit nicht verifizierbaren Videoaufnahmen ihre Unschuld zu beweisen. Die konservative Zeitung «Keyhan», die als Stimme der Hardliner gilt, stützte die Darstellung. Diese sei ausreichend, um «die Lügen und Geschichten der Revolutionsgegner und ihrer Gefährten» zu entlarven. Damit dürften etwa bekannte Schauspielerinnen im Land gemeint sein, die in den vergangenen Tagen aus Protest auf Instagram ihre Haare ohne Kopfbedeckung zeigten.

Raisi wies unterdessen das Innenministerium an, die Hintergründe zu durchleuchten. Ein Spezialteam von erfahrenen Polizisten und Gerichtsmedizinern soll umgehend die Ermittlungen aufnehmen. Kritik an der Sittenpolizei gab es auch im Parlament sowie seitens führender Kleriker, unter anderem von Ex-Präsident Mohammad Chatami. Ihrer Ansicht nach habe der Vorfall nicht nur das Ansehen des Landes, sondern auch das des Islams stark geschädigt.

Der Aufschrei richtete sich nach Worten der Kritiker nicht nur gegen das Vorgehen der Sittenpolizei, sondern auch gegen die islamischen Vorschriften im Land. Viele Iraner waren empört darüber, dass eine junge Frau wegen «ein paar Haarsträhnen» sterben musste. Sie kritisierten die strengen Kleidungsvorschriften als unzeitgemäss.

Seit der Islamischen Revolution von 1979 gelten im Iran strenge Kleidungsvorschriften für Frauen. Genauso lange werden diese jedoch von Frauen, insbesondere in den Metropolen, ignoriert – sehr zum Ärger erzkonservativer Politiker. Die Regierung in Teheran und die Hardliner im Parlament versuchen seit Monaten, die islamischen Gesetze strenger umzusetzen. (saw)

Mit Material der Nachrichtenagentur sda.

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49 Kommentare
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BG1984
19.09.2022 10:37registriert August 2021
"Ihrer Ansicht nach habe der Vorfall nicht nur das Ansehen des Landes, sondern auch das des Islams stark geschädigt."
(Ex-Präsident Chatami)

Der Islam schadet sich fortlaufend, zum einen wegen den religiösen Fanatiker, aber auch wegen des Korans und der Scharia. Auch die Terroristen, die den schlechten Ruf des Islams in alle Welt tragen, sind Schuld an der Ausgrenzung und dem Untergang des Islams.
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Overton Window
19.09.2022 10:10registriert August 2022
Ich finde, wir sollten endlich den Mond besiedeln. Für religiöse Fanatiker hat es dort ganz viel Platz. Sie wären dort auch unter sich und müssen sich nicht an andersdenkende stören.
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MarGo
19.09.2022 13:12registriert Juni 2015
Der Iran - in den 1970er eines der fortschrittlichsten muslimischen Länder überhaupt... Was Chomeini mit seiner islamischen Revolution 1979 verbrochen hat, ist für uns unverständlich...
Schaut mal, wie es im Iran in den 70er aussah!
Und heute wieder Steinzeit!! Zum kotzen!
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