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«Als ich elf Jahre alt war, hörte ich im Haus eines Cousins das erste Mal Black Sabbath – und verliebte mich in die Band. Mit ihnen lernte ich andere Heavy-Metal–Gruppen kennen», erklärt Gisele Marie. Die heute 42-Jährige, die selbst E-Gitarre spielt, wird wegen ihrer Leidenschaft manchmal schräg angesehen. Der «Grund»: Die Brasilianerin mit deutschen Wurzeln ist Burka-Trägerin.
«Ich komme aus einer Familie, die ganz allgemein schon immer enge Bindungen zu Kultur hatte, besonders zur Musik. Ich begann mich mit acht Jahren dafür zu interessieren.» Und wie kam sie zur E-Gitarre? «Es ist lustig: Ich habe an der Musikschule Klavierspielen gelernt, und als mein Lehrer eines Tages spät dran war, sah ich diese Gitarre und entschied mich sie auszuprobieren. Als der Lehrer dann kam, sagte ich ihm, ich wolle nur noch Gitarre spielen. Zur E-Gitarre wechselte ich, nachdem ich Black Sabbath kennengelernt hatte.»
Ihr Grossvater väterlicherseits war Deutscher. «Er kam vor dem Zweiten Weltkrieg, in den 30ern nach Brasilien.» Tatsächlich wanderten um die Jahrhundertwende einige Deutsche (und Schweizer) in das südamerikanische Land aus, wie alte Karten zeigen.
Auch wenn Gisele ihren Opa nie getroffen hat, weil er Brasilien verliess, als Giseles Vater noch ein Kind war, sei das «deutsche Erbe» in ihrer Familie gepflegt worden. «Meine Brüder und ich waren an einer deutschen Schule in São Paulo, die heute noch existiert. Ich bin in der Stadt geboren und aufgewachsen, aber in unserem Haus waren wir recht deutsch. Wir sprachen Deutsch und haben die typisch deutsche Bildung genossen.»
2009, als ihr Grossvater starb konvertierte sie zum Islam. Ein Zufall? «Eigentlich tendiere ich dazu, nicht an Zufälle zu glauben, aber in diesem Fall war es so. Dennoch gibt es einen familiären Einfluss: Vom Islam und seinen grossen Gelehrten und Wissenschaftlern habe ich von meinem Vater erfahren. Er war übrigens kein Muslim. Aber er war ein intelligenter Mann und kulturell bewandert. Er bewunderte die weisen Männer aus der Ära der islamischen Expansion und hat gern Arabisch gegessen.»
Dank ihres Papas habe sie ihre Liebe zur Literatur entdeckt. «Und den Koran entdeckte ich im gleichen Jahr im Internet, als mein Vater starb. Ich glaube, er hätte es gemocht, mich als Muslima zu sehen.» Sie habe zuvor niemanden aus dieser Religionsgruppe gekannt, sagt Gisele Marie. Der Koran habe sie einfach überzeugt: «Er hat mein Leben für immer verändert.»
Und wie hat das Publikum die Muslima mit Burka aufgenommen, wenn sie bei Konzerten ihrer Ex-Band Spectrus auf der E-Gitarre Riffs angestimmt hat? «Die Reaktionen auf mich waren immer die bestmöglichen – wenn ich gespielt habe, aber auch, wenn ich über die Strasse spaziert bin.» Es käme aber auch auf jeden selber an, weiss Gisele. «Ich komme immer klar, ich rede gern mit Menschen und bin stets freundlich und hilfsbereit.» Der Charakter mache den Unterschied aus, glaubt sie. Das gelte natürlich auch für die Bühne.
Nach «professionellen Differenzen» mit ihrem Bruder hat sie dessen Band Spectrus im August verlassen. Und zwar im Guten, betont die Gitarristin. «Ich wünsche ihnen alles Glück der Welt und bin dankbar, dass ich wieder auf der Bühne Gitarre spielen konnte, aber es war Zeit zu gehen. Ich bin sehr glücklich in meiner neuen Band, die 2016 offiziell herauskommen wird.»
Dass sich jemand wundern kann, dass eine Muslima Spass an Heavy Metal hat, kann Gisele nicht nachvollziehen. «Ich denke, wir leben in einer Gesellschaft, die abhängig von Stereotypen ist. Einer Gesellschaft, die Extremismus in verschiedene Richtungen ausstrahlt. Meiner Meinung nach ist es Zeit, dass wir begreifen, dass wir alle gleich sind. Die Unterschiedlichkeiten in uns Menschen ist es doch, die unsere Kultur bereichert – und selbst in unserer Verschiedenheit sind wir gleich.»
Sie bekräftigt: «Ich bin gegen Stereotypen. Ich bin gegen Schubladendenken. Sei du selbst.» Extremismus sei ein Phänomen der gesamten Gesellschaft, fährt sie fort. «Es befremdet mich wirklich, dass einige Leute denken, diese Krankheit existiere nur in einigen Gruppen, die behaupten, sie hätten etwas mit meiner Religion zu tun.» Deshalb kann sie auch der Schweizer Burka-Initiative nichts abgewinnen. «Für mich ist das einfach eine Form von Unterdrückung, Vorurteilen und sozialer Ausgrenzung.»
Derartige Reaktionen sind ihr nicht neu. «Manchmal werde ich wegen des Niqabs gefragt, ob ich unterdrückt werde. Aber ich bin frei genug, mir auszuwählen, den Niqab zu tragen.»