Mohammed Ghonim arbeitet als Arzt in der Notaufnahme im Al-Shifa-Spital in Gaza-Stadt. Seit 20 Tagen hat er seinen Arbeitsplatz nicht mehr verlassen. Täglich werde die Situation schlimmer: «So viele Opfer, so viele schwere Verletzungen auf einmal, das habe ich noch nie erlebt», erzählt der erst 28-jährige Mediziner.
Oft müssten Patientinnen und Patienten in den Gängen und am Boden behandelt werden, weil das Spital so überfüllt sei. Neben den Verletzten würden auch viele Zivilisten auf dem Krankenhausareal Schutz suchen.
Wie das israelische Militär am Freitagabend mitteilt, sollen aber auch Hamas-Terroristen im Hauptkrankenhaus des Gazastreifens ein und aus gehen. «Wir haben konkrete Beweise, dass Hunderte von Terroristen nach den Massakern vom 7. Oktober in das Krankenhaus geströmt sind, um sich dort zu verstecken», sagt Konteradmiral Daniel Hagari, Israels oberster Militärsprecher.
Als Reaktion auf den Terrorangriff der Hamas auf Israel, bei dem mindestens 1400 Menschen getötet und über 200 weitere als Geiseln nach Gaza verschleppt wurden, bombardiert Israel Hamas-Ziele fast ununterbrochen. Das Ziel ist gemäss israelischen Angaben die Zerstörung militärischer Infrastruktur und von Waffenlagern der Hamas. Das Problem: «Die Hamas hat Krankenhäuser in Kommando- und Kontrollzentren sowie Verstecke für Hamas-Terroristen und Kommandeure verwandelt», so Hagari weiter.
Insbesondere das Al-Shifa-Krankenhaus werde genutzt, um Kommandoposten und Zugangspunkte zum umfangreichen Tunnelnetz unter dem Gazastreifen zu verstecken. Hagari beschuldigt bei seiner Ansprache die Hamas, das Krankenhaus mit seinen 1500 Betten und rund 4000 Mitarbeitenden als menschlicher Schutzschild zu missbrauchen. Wie viele Zivilisten in Gaza äussert sich auch der junge Arzt nicht zu Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Hamas.
Wie Ghonim sagt, sei das Spital bis jetzt noch nicht von israelischen Raketen angegriffen worden. «Das Gesundheitsdepartement hat uns aber gewarnt, das könne noch kommen.» Israels Militärsprecher bestätigte am Freitagabend:
Seit dem 7. Oktober hat Israel den Gazastreifen weitgehend abgeriegelt. Den über zwei Millionen Personen gehen deshalb Lebensmittel, Wasser und Medikamente aus – das ist auch im Al-Shifa-Spital spürbar. Neben Platz seien vor allem medizinische Ausrüstung, Wasser und Treibstoff für Generatoren knapp, erzählt Arzt Mohammed Ghonim.
Obwohl Hilfsgüter in den vergangenen Tagen den Gazastreifen erreicht haben, blockiert Israel zurzeit die Treibstofflieferungen mit der Begründung, diese könnten gestohlen und von der Hamas für militärische Zwecke missbraucht werden. Weiter horte die Hamas Hunderttausende Liter Diesel und weigere sich, sie zu verteilen.
Ein Ausfall der Generatoren hätte schlimme Folgen: «Dann können wir keine Operationen mehr und keine Sauerstoff-Stationen mehr betreiben», so der junge Arzt. Vor zwei Tagen sei ihm im Spital das Trinkwasser ausgegangen. «Seither waschen wir uns mit salzigem Wasser. Das ist eigentlich nicht für den menschlichen Gebrauch geeignet.»
Ebenfalls knapp seien Schmerzmittel. Es sei in den letzten Tagen schon vorgekommen, dass eine Amputation ohne Schmerzmittel durchgeführt werden musste. «Können Sie sich das vorstellen?», fragt Ghonim.
Das viele Leid, die Überbelastung und das fehlende Material würden ihm oft ein Gefühl von Hilflosigkeit geben, erzählt der Arzt per Audionachricht an CH Media. Zum Beispiel, als ein Sohn vor den Augen seines Vaters gestorben sei. «Er hatte bereits mehrere Amputationen hinter sich. Wir konnten nichts mehr für ihn tun.» Immer wieder würden auch Angehörige von Kolleginnen und Kollegen ins Spital gebracht werden – manchmal schwer verletzt oder tot.
Ghonims ehemaliger Oberstufenlehrer und dessen Tochter seien kürzlich eingewiesen worden. «Beide sind gestorben, ich musste dann die Leichensäcke organisieren», erinnert er sich. Spurlos gingen die Szenen nicht an ihm vorbei: «Ich wollte mir schon mehrmals kurz Zeit nehmen, um zu weinen. Aber dafür habe ich keine Zeit.» (bzbasel.ch)