Am 22. September 1938 wurde an der Godesberger Konferenz in München Adolf Hitler gestattet, Gebiete in der Tschechoslowakei, in der mehrheitlich Deutsche lebten, zu annektieren. Der damalige britische Premierminister Neville Chamberlain erklärte danach, damit sei «Frieden in unserer Zeit» gesichert worden. Ein monumentaler Irrtum. Es sollte sich bald als Auftakt zum Zweiten Weltkrieg erweisen.
Das Münchner-Abkommen ist zum Musterbeispiel geworden für das, was «Appeasement» genannt wird, dafür, dass man einem Diktator seinen Willen lässt im Irrglauben, ihn damit von seinen diabolischen Plänen abhalten zu können. Wie Winston Churchill sagte: «Ein Appeaser ist einer, der ein Krokodil füttert – in der Hoffnung, dass es ihn zuletzt frisst.» Es besteht jetzt der begründete Verdacht, dass Donald Trump die Ukraine wie einst Chamberlain «unter den Bus wirft», wie die Amerikaner den Verrat an einem Verbündeten bezeichnen.
«Sollte Trump die Bedingungen von Putin akzeptieren, dann wäre das eine Wiederholung des Münchner Abkommens», stellt denn auch Max Boot, Historiker und Kolumnist in der «Washington Post», fest.
Tatsächlich gibt es unheimliche Parallelen für diesen Vergleich. Die Motivation der beiden Diktatoren ist die gleiche: Hitler wollte seinerzeit die Schmach des Friedens von Versailles rächen und Deutschland wieder zur führenden Macht in Europa machen. Putin seinerseits will die Schmach der sowjetischen Niederlage im Kalten Krieg aus der Welt schaffen und Russland wieder zu einer Grossmacht erheben.
Es gibt Anzeichen, dass Putin wie einst Hitler zum Ziel kommen könnte. Allein die Tatsache, dass das Treffen der beiden Präsidenten in Alaska stattfindet, kann als Erfolg für Putin gewertet werden. Alaska gehörte einst zum Russischen Reich und wurde im 19. Jahrhundert von Zar Alexander II. an die Amerikaner verkauft. In Moskau ist man daher schon im Vorfeld hocherfreut.
Sam Greene, Professor für russische Politik am King’s College in London, erklärt gegenüber der «Washington Post»: «Der Symbolismus – die Tatsache, dass Trump das Treffen in Alaska abhält – ist schrecklich. Es scheint, als ob damit demonstriert werden soll, dass Grenzen verändert und Land verschachert werden kann.»
Tatsächlich hat Trump bei der Ankündigung des Treffens erklärt, es werde «einen Landtausch zum Vorteil beider Seiten» geben. Zudem haben sich die vom US-Präsidenten angedrohten Sanktionsmassnahmen gegen Russland bisher einmal mehr als heisse Luft erwiesen. Und vergessen wir nicht: Putin ist ein vom Internationalen Gerichtshof gesuchter Kriegsverbrecher, der jetzt mit allen Ehren von einem amerikanischen Amtskollegen empfangen wird.
Auch die Tatsache, dass Wolodymyr Selenskyj, der Präsident der Ukraine, vermutlich nicht dabei sein wird, verheisst wenig Gutes. Denn wie ein amerikanisches Sprichwort es treffend auf den Punkt bringt: «Wer nicht am Tisch sitzt, der befindet sich auf der Speisekarte.»
Schliesslich ist auch Steve Witkoff, Trumps Unterhändler, alles andere als eine vertrauenswürdige Person. Der Immobilien-Tycoon ist zwar einer der wenigen echten Freunde, die der US-Präsident hat, doch er hat keinerlei Erfahrung im diplomatischen Geschäft und scheint sich mehr als naiv zu verhalten. In einem dreistündigen Treffen hat Witkoff Putin offenbar in Aussicht gestellt, dass Russland bei einem Friedensschluss wieder in die Weltwirtschaft eingegliedert und die Sanktionen aufgehoben werden. Doch weil er keinen eigenen Übersetzer mitgenommen, sondern auf einen Vertreter des Kremls zurückgegriffen habe, soll er den russischen Präsidenten missverstanden habe.
Witkoff soll deshalb Trump berichtet haben, Putin sei bereit auf die Oblaste Cherson und Saporischschja zu verzichten, wenn er im Gegenzug den Donbas erhalte – was völliger Blödsinn ist.
Kurz: «Putin hatte eine sehr gute Woche», stellt Sam Green in der «New York Times» fest. «Es ist ihm gelungen, sich aus einer sehr prekären Situation zu befreien. Er hat sich in diesem Prozess so positionieren können, wie er es sich gewünscht hat.»
Hat die Ukraine damit bereits verloren? Zum Glück nicht. «Die Gefahr eines zweiten Münchens wird abgeschwächt durch die Tatsache, dass die Ukrainer, anders als einst die Tschechen, sich keinem unwürdigen und destruktiven Handel beugen werden», stellt Max Boot fest.
Zudem wird Trump seiner «Madman-Theorie» einmal mehr gerecht. So ist unklar, ob Selenskyj nicht doch noch nach Alaska eingeladen wird. Der US-Präsident hat sich in den letzten Wochen auch erstmals negativ über seinen russischen Amtskollegen geäussert. Er hat ausserdem gegenüber Indien einen Strafzoll von 50 Prozent verhängt, weil es im grossen Stil russisches Öl importiert.
Vor allem ist auch wenig wahrscheinlich, dass es zu einem Waffenstillstand, oder gar einem Frieden, kommen wird. Putin hat seine Ziele nie zurückgenommen. Er will die Kontrolle über die Ukraine und wird dem erwähnten Landtausch wie auch Selenskyj unter keinen Umständen zustimmen. «Putin hat keinen Anreiz, den Krieg herunterzufahren», stellt Alexandra Prokopenko von Carnegie Russia Eurasia Centre in der «Financial Times» fest. «Für ihn zählt einzig, dass er jetzt die Aufmerksamkeit von Trump erhält.»
Der russische Präsident hofft vielmehr, dass es ihm gelingen wird, einen Keil zwischen Trump auf der einen und Selenskyj und den Europäern auf der anderen zu treiben. Sein Verhalten erinnert an einen der schlimmsten Schlächter der Geschichte, an Joseph Stalin. Diesem ist es gelungen, an der Konferenz von Jalta im Februar 1945 den amerikanischen Präsidenten Franklin Roosevelt über den Tisch zu ziehen.
In Moskau werden neuerdings wieder Stalin-Statuen enthüllt. Das ist kein Zufall. Andrej Kolesnikow, ein in Moskau lebender Polit-Analyst, erklärt in der «Financial Times»: «Putin strebt eine Welt an, die Trump, Xi und er unter sich aufteilen. Ein neues Jalta und ein Kalter Krieg – das ist genau, was er will. Er will Stalins Lorbeeren auch für sich in Anspruch nehmen.»
Das tat er schon die ganze Zeit. Warum soll sich das jetzt ändern. Trump ist kein Verbündeter von irgendwem.
Dazu müsste er erstmal seinen Kopf aus Putins Hintern ziehen.