Wie sehr stehen die Menschen im Gazastreifen hinter der Hamas? Kann die Terrororganisation tatsächlich auf die breite Unterstützung der palästinensischen Bevölkerung bauen? Das ist es zumindest, was die Führer des Harakat al-Muqawama al-Islamiya, der selbsternannten islamischen Widerstandsbewegung Hamas gern für sich in Anspruch nehmen. Neue Daten lassen jedoch Zweifel an diesem Selbstverständnis zu.
Seit den blutigen Terrorattacken auf israelische Streitkräfte und Zivilisten am Wochenende des 7. Oktobers, bei denen mehr als 1400 Israelis getötet und über 200 weitere verschleppt wurden, steht die islamistische Terrororganisation erneut im Fokus der Weltöffentlichkeit. Seit ihrer Gründung in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre, spätestens aber seit den gewonnenen Wahlen in den Palästinensergebieten im Jahr 2006, versteht sie sich als Sprachrohr der immerhin zwei Millionen Menschen, die im Gazastreifen leben.
Auch hochrangige israelische Politiker erweckten in der Vergangenheit bisweilen den Eindruck, die Bewohner des Gazastreifens würden mit den Hamas-Extremisten gemeinsame Sache machen und seien daher als Teil der terroristischen Infrastruktur zu betrachten. Die Palästinenser selbst jedoch stehen laut einer Erhebung des Arab Barometer, eines Meinungsforschungsinstituts mit Fokus auf den arabischen Raum, keineswegs geschlossen hinter der Hamas.
Laut der Zahlen des Instituts hat fast zwei Drittel der Palästinenser (67 Prozent) wenig bis gar kein Vertrauen in die Vertreter der Hamas. Die überwiegende Mehrheit ist unzufrieden damit, wie die Hamas den Gazastreifen regiert und macht zuerst deren Führung für die schlechten Lebensverhältnisse in dem Gebiet verantwortlich – erst dann die israelische Blockade. 72 Prozent der Palästinenser kritisieren zudem die Korruption innerhalb der Hamas-Institutionen.
Die Lebenssituation für die Menschen im Gazastreifen erscheint ohnehin bedrückend. 75 der Bewohner geben in der Umfrage an, dass ihnen im vergangenen Monat die Lebensmittel ausgegangen seien und sie kein Geld gehabt hätten, neue zu kaufen. 69 Prozent der Befragten sagten zudem, sie würden ihre Mahlzeiten bereits rationieren, um sich ernähren zu können.
Hätten die Menschen im Gazastreifen und im Westjordanland die Wahl, würden sie laut Arab Barometer nicht etwa den politischen Führer der Hamas, Ismail Haniyye, zum Regierungschef wählen, sondern Marwan Barghuthi, einen derzeit in Israel inhaftierten Politiker der Fatah-Organisation. Das dürfte Haniyye, der seit Jahren aus dem sicheren Öl-Emirat Katar die Geschäfte der Terroristen im Gazastreifen führt, nicht gefallen, schliesslich gilt die gemässigtere Fatah-Partei als Erzfeind der Hamas und streitet mit dieser seit Jahrzehnten um Macht und Einfluss in den Palästinensergebieten.
Die Hamas, in den 1980er-Jahren als politisches Gegengewicht zur Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) von Jassir Arafat gegründet, regiert den Gazastreifen de facto seit 2006. Im Westjordanland regiert hingegen deren Nachfolgeorganisation Fatah unter dem Präsidenten Mahmud Abbas. Dieser distanzierte sich nach den verheerenden Attentaten vom 7. Oktober zunächst von der Hamas. Deren Handlungen würden «nicht den Willen des palästinensischen Volkes repräsentieren», so der 87-jährige Politiker. Später wurde das Statement von den offiziellen Regierungsseiten jedoch wieder entfernt.
Sowohl im Westjordanland als auch im Gazastreifen wächst derzeit der Unmut über das Vorgehen der israelischen Regierung. Diese hatte als Reaktion auf die Terrorattacken mit der Vernichtung der Hamas gedroht und fliegt seit Wochen beinahe täglich Vergeltungsangriffe auf den Gazastreifen. Laut palästinensischen Behördenangaben sollen dabei bislang 7000 Menschen ums Leben gekommen sein, darunter mehr als 2000 Kinder.
Der Unmut über Israel wächst also in der Region. Das dürfte auch der Hamas zugutekommen. Dazu kommt: Die Erhebungen des Arab Barometers wurden zwischen Ende September und Anfang Oktober durchgeführt, die Terrorattacken der Hamas und Israels Reaktion darauf konnten also nicht in das Stimmungsbild einfliessen.
Stellt sich nur die Frage, ob der aktuelle Weg Israel der richtige ist, und ob es Pläne gibt was mit dem entstehenden Machtvakuum passiert, falls sie erfolgreich sind.