Nach der Parlamentswahl in Israel führt das oppositionelle Mitte-Bündnis Blau-Weiss hauchdünn vor der Likud-Partei des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.
Allerdings haben weder das rechts-religiöse noch das Links-Mitte-Lager eine Mehrheit zur Regierungsbildung.
Nach Auszählung von rund 90 Prozent der Stimmen kommt Blau-Weiss von Ex-Militärchef Benny Gantz auf 32 Mandate, der Likud auf 31, wie israelische Medien am Mittwoch berichteten.
Die absolute Mehrheit von 61 Prozent erreichte keine Koalition. Nach Medienberichten kommt das Mitte-Links-Lager mit Blau-Weiss, der Arbeitspartei, der Demokratischen Union und der Vereinigten Arabischen Liste auf 56 Mandate.
Der rechts-religiöse Block mit Netanjahus konservativem Likud, dem Jamina-Parteienblock unter Führung von Ex-Justizministerin Ajelet Schaked und den strengreligiösen Parteien erhält 55 Mandate.
Die Vereinigte Arabische Liste wird mit 13 Sitzen drittstärkste Kraft im Parlament.
Das scheint möglich: Wegen der fehlenden Mehrheit in beiden Lagern hatten sich Gantz sowie Netanjahus Rivale Avigdor Lieberman, der bei der Wahl als Königsmacher gilt, noch in der Wahlnacht für die Bildung einer grossen Koalition ausgesprochen. Diese würde aus Likud, Blau-Weiss und Liebermans Israel Beitenu bestehen. Präsident Reuven Rivlin muss nun entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt.
Das könnte noch dauern, denn: Die offizielle Mitteilung der Ergebnisse durch den israelischen Wahlausschuss dauerte wegen besonderer Sorgfalt bei der Auszählung allerdings länger als üblich. Danach kam Blau-Weiss nach der Auszählung von 63.1 Prozent der Stimmen auf 25,7, der Likud auf 25 Prozent.
Der Wahlausschuss teilt die Ergebnisse stets in Prozent mit, während die Medien die Ergebnisse direkt in Mandate umrechnen. Ein Teil der Stimmen, unter anderem die der Soldaten, wird erst am Donnerstag ausgezählt. Ein endgültiges Ergebnis soll aber erst in der kommenden Woche vorliegen.
Lieberman forderte am Mittwoch im Armeeradio als Bedingung für eine Regierungsbeteiligung, dass Fächer wie Mathe und Englisch auch an strengreligiösen jüdischen Schulen als Pflichtfächer unterrichtet werden. An Gantz gerichtet sagte er, es gehe darum, «die Bildung einer liberalen Einheitsregierung» zu sichern.
Gantz sagte noch in der Nacht vor jubelnden Anhängern, man müsse geduldig auf die endgültigen Ergebnisse der Wahl warten. Dennoch werde man umgehend Kontakte zur Bildung einer «breiten Einheitsregierung» aufnehmen.
Aiman Auda, Vorsitzender der Vereinigten Arabischen Liste, sagte dem Armeesender, sie würden möglicherweise Gantz dem Präsidenten für eine Regierungsbildung empfehlen. «Wir wollen Netanjahu auswechseln, aber wir haben grundlegende Bedingungen, und nach denen werden wir entscheiden.» Er betonte, er wolle Oppositionsführer werden. Damit würde Auda auch in nationalen Sicherheitsfragen sensible Informationen erhalten.
Netanjahu hatte sich danach trotz der offensichtlichen Wahlschlappe siegesgewiss gezeigt. Am frühen Mittwochmorgen kündigte er vor Anhängern in Tel Aviv an, er wolle in den kommenden Tagen Verhandlungen über die Bildung einer «starken Regierung» aufnehmen.
Ziel sei es, eine «gefährliche, anti-zionistische Regierung» zu verhindern. Seine geplante Teilnahme an der Uno-Vollversammlung kommende Woche in New York, die er in der Vergangenheit wiederholt für verbale Angriffe gegen Israels Erzfeind Iran genutzt hatte, sagte er nach offiziellen Angaben wegen der schwierigen Lage ab.
Der Regierungschef hatte im Wahlkampf betont, er strebe eine rechts-religiöse Koalition an. Gantz ist nur zu einer grossen Koalition ohne Netanjahu als Regierungschef bereit. Als Grund nennt Gantz die Korruptionsvorwürfe gegen den 69-Jährigen, der seit 2009 Ministerpräsident ist. Nach einer Anhörung im Oktober droht Netanjahu eine Anklage in drei Korruptionsfällen.
Hussein al-Scheich, Mitglied des Zentralkomitees der Fatah-Partei von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, sagte nach der Wahl: «Wir suchen einen wirklichen Partner für Frieden, der die Besatzung beenden wird und an eine Zwei-Staaten-Lösung glaubt, in Übereinstimmung mit Uno-Resolutionen und unterzeichneten Vereinbarungen.»
Unabhängig vom Ausgang der Koalitionsverhandlungen gilt eine Wiederbelebung des Friedensprozesses in absehbarer Zukunft allerdings als unwahrscheinlich. Die linken Parteien, die sich für die Gründung eines Palästinenserstaates neben Israel aussprechen, haben keine Mehrheit.
Bei der Wahl am Dienstag waren 6.4 Millionen Wahlberechtigte dazu aufgerufen, die 120 Mitglieder der 22. Knesset in Jerusalem zu bestimmen.
Die Wahlbeteiligung war höher als vor einem halben Jahr und lag bis 21.00 Uhr Schweizer Zeit nach Angaben des Zentralen Wahlkomitees bei 69.4 Prozent. Das sind 1.5 Prozentpunkte mehr als bei der Wahl im April zur selben Uhrzeit.
Präsident Rivlin holt sich nun von allen Fraktionen Empfehlungen für das Amt des Ministerpräsidenten ein.
Wer danach die grössten Chancen zur Bildung einer Regierungskoalition hat, erhält dafür zunächst vier Wochen Zeit.
Üblicherweise erhält den Auftrag der Vorsitzende der Fraktion mit den meisten Stimmen. Mit einer neuen Regierung wird frühestens Ende Oktober gerechnet.
Dies war bereits die zweite Parlamentswahl innerhalb eines halben Jahres. Nach der Wahl im April war Netanjahu trotz einer Mehrheit im rechts-religiösen Lager bei der Regierungsbildung gescheitert. (jaw/sda/dpa)