Ermordung der Grossmutter im Livestream – die neue Terror-Taktik der Hamas
«Ich fühlte mich für eine Sekunde hoffnungsvoll, dann verwirrt - dann folgte nur noch Terror», erzählt Keren de Vita der amerikanischen «New York Times». In einem Facebook-Livestream sah sie, wie ihre Freunde, die Familie Idans, am 7. Oktober im Kibbutz Nahal Otz von der Hamas gefangen genommen wurde.
Weinende Kinder, die in der Gewalt der Terroristen waren und ihre Eltern umarmten, der siebenjährige Sohn, der nach seiner Schwester fragte, der live übertragene Horror dauerte 43 Minuten, bis die Angreifer schliesslich das Haus verliessen und den Familienvater nach Gaza entführten. Den Rest der Familie liessen sie zurück. Die vermisste Tochter wurde später tot aufgefunden.
Mor Bayder broke down in tears during a live TV interview, recalling the moment when she saw her slain Israeli grandmother in a video posted to the woman's Facebook page by the Hamas militant who killed her. https://t.co/zlz5Lv2utx pic.twitter.com/sALLQ0QmoZ
— ABC News (@ABC) October 11, 2023
Ähnliche Gräuel sind auch von anderen Familien bekannt. «Um 7 Uhr morgens erlebte ich den Albtraum meines Lebens», schrieb die junge Israelin Mor Bayder auf Instagram. Ein Terrorist sei in das Haus ihrer Grossmutter eingebrochen, habe sie ermordet. Danach habe er sie mit ihrem Telefon gefilmt und die Aufnahme auf dem Facebook-Account der Dame publiziert. «So haben wir es erfahren», schrieb Bayder weiter.
Eine Waffe, «wie wir sie noch nie gesehen haben»
Die Vorgänge zeugen von einer ungekannten Brutalität. «Wir sind psychologisch nicht darauf vorbereitet», sagt Thomas Rid, Professor für strategische Studien an der Johns Hopkins Universität, zur «New York Times». Die neue Taktik der Hamas verwandelt die sozialen Medien in eine Waffe, «wie wir sie noch nie gesehen haben».
Manche Israeli sind gegen die Löschung der Accounts
Die grossen Social-Media-Konzerne stecken bei dieser Art der psychologischen Kriegsführung in einem Dilemma. Einerseits wollen sie die gekaperten Accounts nicht löschen, weil sie für Angehörige der einzige Weg sind, um an Informationen oder Lebenszeichen von den Entführten zu kommen. Andererseits müssen sie das Verbreiten der Gewalt verhindern. Im oben erwähnten Fall der Familie Idan entschloss sich Facebook etwa, den Account auf privat umzustellen und nur das Livestream-Video zu löschen.
Wie im Internet üblich, sind Teile davon aber bereits kopiert worden und lassen sich immer noch relativ einfach wiederfinden. Israelische und amerikanische Schulen rieten Eltern deshalb, Social-Media-Apps auf den Handys ihrer Kinder vorläufig zu löschen.
Meta, der Mutterkonzern von Facebook und Instagram, hat nun auf die Kontroverse reagiert - auch auf Druck aus der EU. In einem Blog-Post schrieb das Unternehmen, dass die Schwelle für Algorithmen gesenkt werde, um Gewaltvideos automatisch zu sperren. Auch werden gewisse Hashtags komplett gesperrt und die Kommentarfunktion für Nutzerinnen und Nutzer im Nahen Osten vorübergehend eingeschränkt.
Nicht alle Angehörigen der entführten Israeli heissen die neuen Regeln gut. Auf der Suche nach Lebenszeichen von Familienmitgliedern durchforsten viele von ihnen das Netz. Es ist für sie oft die letzte Möglichkeit, um noch an Informationen zu kommen. Manche haben sich zu Gruppen zusammengeschlossen, gemeinsam nach Lebenszeichen zu suchen und Neuigkeiten über den Verbleib der Vermissten auszutauschen. Knapp 200 Personen wurden gemäss Angaben der israelischen Regierung durch die Hamas nach Gaza entführt. (bzbasel.ch)
