Nach dem Bruch der Regierungskoalition in Italien hat Staatspräsident Sergio Mattaralla dem früheren Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi das Mandat zur Bildung eines Expertenkabinetts erteilt. «Ich danke dem Präsidenten für das Vertrauen», sagte der 73 Jahre alte Ökonom am Mittwoch in Rom nach einem Treffen mit Mattarella. Draghi hat Krisenerfahrung aus seiner Zeit bei der EZB. Er muss nun versuchen, in kürzester Zeit ein Kabinett zu bilden, das das Vertrauen im Parlament erreichen kann.
«Ich bin zuversichtlich, dass im Aufeinandertreffen mit den Parteien und Parlamentsgruppen und im Gespräch mit den gesellschaftlichen Kräften eine Einheit entsteht», sagte er in seiner Ansprache. Von Beobachtern und Politikern wie dem früheren Regierungschef Matteo Renzi von der Italia Viva, die die bisherige Regierung zu Fall gebracht hatte, wurde Mattarellas Handeln als klug erachtet. EU-Kommissar Margaritis Schinas bescheinigte, dass Draghi nicht nur in Brüssel respektiert werde.
Matteo Salvini von der rechten Lega betonte dagegen, dass für seine Partei vorgezogene Wahlen der «Königsweg» seien. Der Interimschef der bis zuletzt mitregierenden Fünf-Sterne-Bewegung, Vito Crimi, kritisierte, eine Expertenregierung täte dem Land nicht gut. Die stärkste Kraft im Parlament werde «nicht für die Schaffung einer Fachleute-Regierung unter dem Vorsitz von Mario Draghi stimmen», schrieb er bereits in der Nacht zum Mittwoch. Andere Sterne-Politiker mahnten jedoch, eine solche Lösung nicht vorschnell abzulehnen.
Draghi gilt als europanaher Wirtschafts- und Finanzexperte mit politischem Gespür und Mut. Ein möglicher Grund, weshalb die Wahl auf ihn fiel, könnte der Zeitdruck für die Erstellung eines Investitionsplans sein. Italien muss diesen in einigen Wochen bei der EU-Kommission in Brüssel vorlegen, um milliardenschwere Hilfsgelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds zu bekommen. Diese Chance auf «aussergewöhnliche Mittel der EU», wie Draghi sie beschrieb, will sich das Land mit rund 60 Millionen Einwohnern nicht entgehen lassen. Mattarella betonte zudem in seiner Ansprache am Dienstagabend, dass dies eine dringende Aufgabe der neuen Regierung sein werde.
Als Präsident der EZB hatte Draghi von November 2011 bis Ende Oktober 2019 in Frankfurt am Main die Geschicke der europäischen Geldpolitik gelenkt. Der gebürtige Römer führte die Notenbank in dieser Zeit durch eine der schwersten Krisen der Eurozone. «Die EZB wird alles tun, um den Euro zu retten», hatte er 2012 auf einer Konferenz gesagt. Sein englisches «Whatever it takes» (Was immer nötig ist), galt danach als zentrale Äusserung Draghis in dieser Krise.
Vor Draghis Berufung waren Sondierungsgespräche für eine Neuauflage des bisherigen Regierungsbündnisses gescheitert. Medien und Politiker in Italien hatten den Ex-Bankmanager zwar seit Wochen als mögliche Option für die Spitze einer Expertenregierung gehandelt. Zeitweise war diese Lösung jedoch in den Hintergrund gerückt. Denn für eine Weile gab es bei vielen die Hoffnung, das alte Mitte-Links-Regierungsbündnis unter Giuseppe Conte könnte sich doch noch einmal zusammenraufen.
Die politische Krise in Italien war durch den Auszug der Kleinpartei Italia Viva aus der Koalition Contes Mitte Januar ausgelöst worden. Die Partei hatte sich dazu entschieden, weil sie unter anderem mit der Verwendung der EU-Hilfsgelder nicht einverstanden war. Dadurch verlor das Rest-Bündnis aus der Fünf-Sterne-Bewegung, den Sozialdemokraten (PD) und den Liberi e Uguali (Die Freien und Gleichen) seine parlamentarische Mehrheit. Eine Vertrauensfrage im Parlament konnte Conte zwar noch knapp für sich entscheiden. Die Basis zum Weiterregieren war jedoch wackelig. Der parteilose Anwalt reichte daraufhin am Dienstag vergangener Woche seinen Rücktritt ein. (sda/dpa)