Der verstorbene siebenfache, legendäre Ministerpräsident Giulio Andreotti hat einmal gesagt, dass man von Regierungskrisen immer wisse, wie sie beginnen, aber nie, wie sie ausgehen werden. Der Satz trifft auch auf die gegenwärtige politische Krise in Italien zu.
Man weiss zwar, dass Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini vor eineinhalb Wochen einen Misstrauensantrag gegen Ministerpräsident Giuseppe Conte angekündigt und schnelle Neuwahlen verlangt hat. Das war der Anfang der Krise. Doch über das Ende herrscht völlige Unklarheit. Inzwischen weiss man nicht einmal mehr, ob es heute im Senat zu einer Vertrauensabstimmung kommen wird.
Die Rede Contes und seine Entscheide werden deshalb mit grosser Spannung erwartet. In Rom geht man davon aus, dass der Premierminister mit seinem Vize und Innenminister Salvini, den er in den vergangenen Tagen bereits mehrfach scharf kritisiert hatte, abrechnen wird.
Möglicherweise wird Conte danach über seine Rede abstimmen lassen und das Votum mit der Vertrauensfrage verbinden. Der Premier würde die Abstimmung ziemlich sicher überstehen: Die Lega von Salvini verfügt im Senat über weniger als einen Fünftel der Sitze – und die meisten anderen Parteien würden Conte unterstützen, weil sie kein Interesse an Neuwahlen haben.
Es könnte aber auch sein, dass kein Vertrauensvotum stattfindet und der Premier stattdessen gleich nach seiner Rede bei Staatspräsident Sergio Mattarella vorspricht, um seinen Rücktritt anzubieten. Denn auch das ist klar: Die Regierung hat nach Salvinis Misstrauensantrag gegen Conte in der aktuellen Zusammensetzung keine Zukunft mehr – unabhängig davon, ob der Premier ein Vertrauensvotum überstehen würde oder nicht.
Im Fall einer Demission Contes sind mehrere Szenarien möglich. Das unwahrscheinlichste ist, dass das Staatsoberhaupt das Parlament auflöst und Neuwahlen ausschreibt. Denn Mattarella wird zunächst testen wollen, ob die Legislatur, die offiziell immerhin noch dreieinhalb Jahre dauern würde, noch zu retten ist.
Mattarella könnte deshalb den Rücktritt Contes ablehnen und den Premier zurück ins Parlament schicken mit dem Auftrag, sich eine neue Mehrheit zu suchen. Tatsächlich laufen hinter den Kulissen die Bestrebungen auf Hochtouren, eine Koalition aus der Fünf-Sterne-Bewegung und dem sozialdemokratischen Partito Democratico zu schmieden. Die Mehrheit der Fünf-Sterne-Parlamentarier wünscht sich nichts sehnlicher, als sich endlich aus der tödlichen Umarmung Salvinis zu lösen. Und auch bei den Sozialdemokraten hat eine Koalition mit den «Grillini» zahlreiche Fürsprecher, allen voran die früheren Regierungschefs Matteo Renzi, Enrico Letta und Romano Prodi.
Mattarella könnte aber auch Contes Rücktritt annehmen und in Eigenregie Konsultationen mit den Parteispitzen durchführen, um die Chancen für die Bildung einer anderen Regierung auszuloten. Sollte das Staatsoberhaupt zum Schluss kommen, dass dies möglich sei, könnte er eine neue Persönlichkeit mit der Regierungsbildung beauftragen. Im Grunde steht Italien heute am gleichen Punkt wie am 5. März 2018, dem Tag nach den Parlamentswahlen, bei denen die Fünf-Sterne-Bewegung mit 32 Prozent der Stimmen stärkste Partei geworden ist. Auch damals hatten die «Grillini» mehrere Koalitionsoptionen – ein Regierungspakt der Fünf Sterne mit dem PD scheiterte damals ausgerechnet am Veto Renzis, der heute eben diesen Pakt als einzige mögliche Rettung des Vaterlandes anpreist.
Grundsätzlich ist aber nicht einmal eine Neuauflage der bisherigen Koalition ausgeschlossen – wenn auch in anderer personeller Zusammensetzung. Salvini hat inzwischen gemerkt, dass er sich mit dem Versuch, die eigene Regierung zu stürzen, schwer verkalkuliert hat und dass er schnelle Neuwahlen kaum erhalten wird. Er hat deshalb mehrfach Signale an die Fünf Sterne ausgesendet, dass er sich eine Weiterführung der Zusammenarbeit vorstellen könnte. Die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios ist indes eher gering: Die Spitzen der Fünf Sterne waren sich nach einem Treffen mit dem Gründer und Guru der Bewegung, Beppe Grillo, am Sonntag einig, dass man Salvini nicht vertrauen könne. Der Lega-Chef, dem sie sich in 14 Monaten gemeinsamer Regierungszeit völlig untergeordnet hatten, ist in den Augen der «Grillini» nur noch ein Verräter.