In der italienischen Rechtsregierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gibt es grossen Unmut über die Personalentscheidungen des EU-Gipfels.
Meloni selbst rechtfertigte ihre Enthaltung vor dem Abflug aus Brüssel in der Nacht zum Freitag damit, dass die Nominierungen dem Wählerwillen nicht entsprächen. Vize-Regierungschef Matteo Salvini sprach sogar von einem «Staatsstreich», was Italien nicht hinnehmen werde.
Zuvor hatten sich die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten mit grosser Mehrheit darauf geeinigt, die bisherige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit zu nominieren. Neuer Ratspräsident soll der frühere portugiesische Regierungschef António Costa werden, neue EU-Aussenbeauftragte die estnische Regierungschefin Kaja Kallas. Das EU-Parlament muss noch zustimmen.
Meloni bezeichnete die Entscheidung auf der Plattform X unmittelbar danach bereits als «methodisch und inhaltlich falsch». Vor Journalisten fügte die Vorsitzende der Rechtspartei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) später hinzu:
Ihr Land müsse endlich das Gewicht bekommen, das ihm in Europa zustehe.
La proposta formulata da popolari, socialisti e liberali per i nuovi vertici europei è sbagliata nel metodo e nel merito. Ho deciso di non sostenerla per rispetto dei cittadini e delle indicazioni che da quei cittadini sono arrivate con le elezioni. Continuiamo a lavorare per…
— Giorgia Meloni (@GiorgiaMeloni) June 27, 2024
Vize-Ministerpräsident Salvini fand noch deutlichere Worte. Der Chef der kleineren Rechtspartei Lega sagte im italienischen Fernsehen:
Die Regierung in Rom setzt nun darauf, in der neuen Kommission einen Vizepräsidenten-Posten mit grossem Einfluss zu bekommen. Zu den Namen, die dafür gehandelt werden, gehört Europaminister Raffaele Fitto von den Fratelli. Die Meloni-Partei hatte sich bei der Europawahl in Italien auf 28,8 Prozent steigern können. Salvinis Lega gehörte dagegen mit nur noch neun Prozent zu den grossen Verlierern.
Bevor von der Leyen ihre zweite Amtszeit antreten kann, muss sie noch eine Mehrheit des Europäischen Parlaments hinter sich bringen. Die Abstimmung in Strassburg könnte schon Mitte Juli stattfinden. Von der Leyen kündigte in der Nacht zum Freitag an, in den nächsten Wochen mit unterschiedlichen Parteien und Gruppen reden zu wollen. Wichtig für sie sei, dass diese pro-europäisch, pro-ukrainisch und pro Rechtsstaatlichkeit seien.
Gestützt wird die CDU-Politikerin auf jeden Fall von einem informellen Bündnis mit dem Mitte-Rechts-Bündnis EVP, den Sozialdemokraten und den Liberalen, das theoretisch eine komfortable Mehrheit von etwa 400 der 720 Stimmen hat. Es gilt aber als möglich, dass eine Reihe von Abgeordneten der Deutschen in der geheimen Wahl die Stimme verweigert.
Von der Leyen ist bereits seit 2019 Kommissionspräsidentin und damit Chefin von rund 32'000 Mitarbeitern, die unter anderem Vorschläge für neue EU-Gesetze machen und die Einhaltung der Europäischen Verträge überwachen. Zudem sitzt die aus Niedersachsen stammende Politikerin bei fast allen grossen internationalen Gipfeltreffen wie G7 oder G20 als EU-Repräsentantin mit am Tisch.
Nicht einfach werden die Gespräche für von der Leyen vor allem deswegen, weil sie und ihre Parteienfamilie EVP im Wahlkampf auch eine Zusammenarbeit mit der rechten italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und deren Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) nicht ausgeschlossen hatten. Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen Grünen im Europäischen Parlament, äusserte sich deswegen am Freitag zurückhaltend zu einer möglichen Unterstützung. «Es liegt in den Händen von Ursula von der Leyen, eine pro-europäische und stabile Mehrheit für ihre Wiederwahl im Parlament zu bilden», sagte er.
Andresens Kollege Michael Bloss erklärte, die Grünen stünden bereit, Verantwortung für Europa zu übernehmen, da eine Mehrheit mit «Anti-Europäern» eine Eiszeit für ein starkes Europa bedeuten würde. Von der Leyen müsse sich aber klarer zum sogenannten Green Deal bekennen, der das Erreichen der EU-Klimaschutzziele sicherstellen soll.
(rbu/sda/dpa)
Der Rechtsrutsch ist leider Tatsache und von den etablierten Parteien verursacht. Es ist aber (noch) nicht so, dass die Mehrheit der Europäer eine faschistische Regierung wünscht.