Der Auftritt von Margaret Thatcher in Brüssel ist bis heute legendär: «Ich will mein Geld zurück», erklärte die damalige britische Premierministerin vor der versammelten Staatsoberhäupter-Runde in Brüssel und untermalte ihre Forderung damit, dass sie mit ihrer Handtasche auf den Tisch haute.
Ähnliche Töne spukt heute Jordan Bardella. «Ich verlange von der EU einen Rabatt», erklärt er in einem Interview mit der «Financial Times». Man nimmt den 28-jährigen Jungpolitiker besser ernst, hat er doch gute Chancen, der nächste Premierminister Frankreichs zu werden. In Umfragen liegt das Rassemblement National (RN) deutlich in Führung, und Marine Le Pen, die Übermutter von Frankreichs rechtsextremer Partei, hat ihren Zögling bereits für diese Rolle auserwählt.
Nach der Klatsche bei den Europa-Wahlen hat Emmanuel Macron – je nach Sichtweise – entweder die Notbremse gezogen oder die Nerven verloren. Der Präsident Frankreichs hat das Parlament aufgelöst und Neuwahlen ausgeschrieben. Am 30. Juni gehen die Französinnen und Franzosen daher vorzeitig zur Urne, am 7. Juli bestimmen sie in den Stichwahlen die definitive Zusammensetzung des Parlaments.
Das rechtsextreme RN kann sich bei diesen Wahlen gute Chancen ausrechnen. 33 Prozent würden ihm derzeit ihre Stimme geben. Das Bündnis der Linken, der Nouveau Front populaire (NFP), kommt in der von Ifog durchgeführten Umfrage auf 28 Prozent der Stimmen. Die Mitte-Allianz von Macron hingegen muss sich mit 18 Prozent begnügen.
Umfragen sind keine Wahlen und das französische Wahlsystem ist komplex. Doch angesichts dieser Zahlen ist es durchaus denkbar geworden, dass das RN eine Mehrheit gewinnt und Bardella zum neuen Premierminister Frankreichs erkoren wird. Macron würde dann zwar weiterhin Präsident Frankreichs bleiben und könnte die Aussenpolitik bestimmen. Doch die Innenpolitik würde in dieser sogenannten «cohabitation» weitgehend in den Händen des RN liegen.
Der Aufstieg Bardellas ist typisch für die neuen Rechten. Er hat keine Vergangenheit in einer Neo-Nazi-Jugendpartei, und er ist kein Rabauke. Stets adrett in Anzug und Krawatte gekleidet, verkörpert er das Ideal eines Wunsch-Schwiegersohns jeder Mutter. Er poltert nicht, sondern ist jederzeit für ein Selfie zu haben. Und er ist ein Star auf TikTok. Rund 1,5 Millionen Teenager folgen ihm auf der Plattform, nur Präsident Macron hat noch mehr.
Dass Bardella dabei ein bisschen schummelt, wird ihm nicht übel genommen. Er stammt von italienischen Immigranten ab und gibt an, mit seiner alleinerziehenden Mutter in einfachsten Verhältnissen aufgewachsen zu sein. Das stimmt nur bedingt. Sein Vater war vermögend und hat ihn auf eine Privatschule geschickt. Das Geologie-Studium an der prestigereichen Universität Sorbonne hat er jedoch geschmissen.
Bardella verkörpert die neue Strategie von Marine Le Pen perfekt. Diese will weg vom «Neo-Nazi-Holocaust-verniedlichen»-Image ihres Vaters. Das ist ihr weitgehend gelungen, das RN ist salonfähig geworden. Dabei hat es geholfen, dass Le Pen nicht mehr von einem «Frexit» spricht, von einem Austritt Frankreichs aus der EU. Das katastrophale Ergebnis des Brexits dürfte bei diesem Gesinnungswandel geholfen haben.
Ihr Zögling Bardella geht gar zumindest ein bisschen auf Distanz zu Putin. Früher hegte das RN grosse Sympathien für Russland, Le Pen liess sich einst gar ihren Wahlkampf von einer russischen Bank bezahlen. Nach dem brutalen Überfall auf die Ukraine spricht sich Bardella nun für militärische Hilfe an Kiew aus. Einen Beitritt der Ukraine zur EU und zur NATO lehnt er allerdings entschieden ab.
Der Schwerpunkt des RNs liegt auf der Zuwanderung. Die «islamistische Ideologie» soll bekämpft und die Immigration unterbunden werden. In diesem Punkten unterscheiden sich die Rechtspopulisten aller europäischen Länder nicht. In der Sozialpolitik gibt es jedoch markante Unterschiede.
Die deutsche AfD ist bekanntlich als eine Anti-Euro-Partei entstanden. Diese neoliberalen Wurzeln hat sie bis heute behalten und plädiert – ähnlich wie die SVP bei uns – für tiefe Steuern und weniger Regulierung. Ganz anders das RN. Bardella hat versprochen, die Mehrwertsteuer auf Benzin und Heizöl von 20 Prozent auf 5 Prozent zu reduzieren. Gleichzeitig will er die Mindestlöhne um mindestens 10 Prozent anheben. Die von Macron durchgedrückte Erhöhung des Rentenalters will er teilweise wieder rückgängig machen. In einer Studie kommt die Denkfabrik Institute Montaigne zum Schluss, dass die Pläne des RN Zusatzkosten in der Höhe von rund 100 Milliarden Euro verursachen würden.
Olivier Blanchard, der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, bezeichnet das Wirtschaftsprogramm des RN daher als eine «Ansammlung von Geschenken». «Geschenke kosten aber Geld», so Blanchard. «Und das Geld ist nicht vorhanden.»
Frankreichs Finanzen stehen tatsächlich nicht zum Besten. Derzeit liegt die jährliche Neuverschuldung bei 5,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP), deutlich über der in den Maastricht-Verträgen festgehaltenen Obergrenze von 3 Prozent. Die EU will daher ein Verfahren gegen Frankreich in die Wege leiten. Sollte das RN seine Pläne verwirklichen können, würde das Defizit wahrscheinlich gar über 6 Prozent des BIP ansteigen.
Bereits reagiert haben deshalb die Finanzmärkte. Die Kurse an der Pariser Börse sind nach Macrons Ankündigung für Neuwahlen um 6 Prozent eingebrochen. Die Zinsdifferenz – der sogenannte Spread – der französischen Staatsanleihen zu den deutschen hat sich ausgeweitet.
Das Urteil der Ökonomen zu den Plänen des RN ist wenig schmeichelhaft. So erklärt etwa Sophie de Menthon von der Business-Lobby-Gruppe Ethic gegenüber der «Financial Times»: «Die Wirtschaftspolitik des RN ist dramatisch schlecht. Einen nationalen Rückzug zu fordern ist nicht extremistisch, es ist nicht gefährlich, es ist nicht besonders rassistisch. Ökonomisch gesehen ist es jedoch schlicht eine schlechte Idee.»
Mittelfristig könne der kometenhafte Aufstieg des TikTok-Königs Bardella auch zu Ärger innerhalb des RN führen. Wie lange wird er sich der Übermutter Le Pen unterordnen? Wird er versuchen, sich selbst auf den RN-Thron zu schwingen? Bisher gibt es dafür keine Anzeichen. «Ich verdanke ihr fast alles, was ich heute bin, und wir arbeiten harmonisch zusammen», erklärt Bardella artig. «Wir werden den anderen das Spektakel eines Streits zwischen uns nicht gönnen. Nur wer uns nicht kennt, kann darauf hoffen.»
Defintion: Rechtsextremismus https://g.co/kgs/e11kcb9
Ich persönlich bin Vorsichtig mit solchen Schlagwörtern, nur schon um eine Verwaschung zu verhindern.
Genau wie man mittlerweile alles als Nazi diffarmiert, gibt eine neue, gut gemachte Doku auf Netflix zu den Nazis, solche Gräueltaten haben eine ganz andere Qualität als (zurecht?) Gegen unkontrollierte Immigration zu sein