Sie nennen ihn den Rasputin von Rom. Aus dem Verborgenen regierte er seit Jahren das korrupte Rom. Er schloss Immobiliendeals mit einem zwielichtigen Baulöwen, zog die Strippen der Politik im Hintergrund. Er heisst Raffaele Marra und sitzt seit Dezember wegen Korruptionsvorwürfen im berüchtigten Gefängnis Regina Coeli am Tiber.
Dies könnte eigentlich als eine von vielen Geschichten über Korruption, Mafia und Misswirtschaft in der italienischen Hauptstadt untergehen, hätte sich nicht Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi ausgerechnet Marra als engsten Berater und Personalchef ausgesucht.
Die Lage für die 38-jährige Politikerin der europakritischen Fünf-Sterne-Partei, die vor sieben Monaten mit dem Versprechen von Transparenz und Ehrlichkeit angetreten ist, könnte nicht brenzliger sein. Denn mittlerweile wird auch gegen die Bürgermeisterin selbst ermittelt.
Am Montag sollte sie von der Staatsanwaltschaft verhört werden, doch ihr Anwalt beantragte einen Aufschub. Die Vorwürfe: Amtsmissbrauch und Falschaussage. Raggi soll Marras Bruder Renato einen Job als Chef des Tourismussektors beschafft haben und vor der Antikorruptionsbehörde zu dem Fall falsche Angaben gemacht haben.
Sie sei «unbesorgt», sagte Raggi. Doch ganz so sorgenfrei wird sie nicht sein: Hinter den Kulissen werden Szenarien für einen Rücktritt oder eine vorübergehende Amtsniederlegung durchgespielt.
Ein Desaster nicht nur für sie, sondern auch für ihre Partei, die sich auf nationaler Ebene gute Chancen ausrechnet. Schon in diesem Frühsommer könnte es nach dem Rücktritt von Ex-Regierungschef Matteo Renzi Parlamentswahlen in Italien geben. Noch liegen die Fünf Sterne in Umfragen bei rund 30 Prozent. Der römische Skandal hilft da nicht.
Raggi sei vergangenen Juni wegen ihres Versprechens gewählt worden, dass sie 20 Jahre Polit- und Mafiaskandale in Rom beenden werde, sagte Politikprofessor Massimiliano Panarari von der römischen Universität LUISS. «Nun sagt sie, dass man in so kurzer Zeit nicht alle Probleme lösen kann. Das ist ein Widerspruch.»
Die Fünf-Sterne-Partei von Komiker Beppe Grillo wurde als Anti-Bewegung gegen die politische Elite in Italien gegründet. Nachdem sie nun in einigen Städten, darunter in Turin und Rom, die Bürgermeister stellt, muss sie beweisen, dass sie nicht nur protestieren, sondern auch regieren kann.
Rom ist ein Beispiel dafür, dass es nicht klappt: Der Müllnotstand ist nicht gelöst, der Verkehr tobt immer noch und ständig neue Enthüllungen über Korruption rauben den Bewohnern endgültig den Glauben an das Gute. «Rom ist in einem ständigen Ausnahmezustand», sagt Panarari.
Die Fünf-Sterne-Partei ist in Erklärungsnot. Vor allem, weil der bisherige «Ehrenkodex» der Partei eigentlich vorsah, dass Politiker, gegen die ermittelt wird, ihr Amt aufgeben müssen.
Es ist kein Zufall, dass Grillo diesen Kodex Anfang des Jahres änderte: Die Mitglieder müssen nun nicht mehr umgehend zurücktreten, sondern lediglich ihre Verfehlungen der Partei melden. Bei der Opposition löste das Hohn und Spott aus.
Raggi sieht sich als Sündenbock für die jahrelangen Verfehlungen ihrer Vorgänger. «Ich kann mir vorstellen, dass mir bald auch vorgeworfen wird, dass ich jemanden umgebracht habe», beschwerte sie sich. Doch ein besseres Händchen bei der Personalwahl hatten sich viele Römer doch erhofft. Denn Marra ist nicht der erste ihrer Truppe, gegen den ermittelt wird.
Noch stellt sich der mächtige Parteiführer Grillo hinter Raggi. «Ein Rücktritt würde bedeuteten, das Scheitern einzugestehen», sagt Politexperte Panarari. Und das wollten die Fünf Sterne um alles in der Welt vermeiden. Doch man könne nie wissen, ob Grillo Raggi von heute auf morgen fallen lasse. Die erste Frau an der Spitze Roms nach mehr als 2700 Jahren könnte dann schnell wieder Vergangenheit sein. (sda/dpa)