Angesichts der schwersten sozialen Unruhen seit Jahrzehnten spricht Chiles Präsident Sebastián Piñera von einem «Krieg». Die konservative Regierung des südamerikanischen Landes weitete am Sonntag den Ausnahmezustand aus.
Der zunächst nur für die Hauptstadt Santiago de Chile geltende Notstand wurde in mehr als der Hälfte der Regionen des Landes verhängt. Die Zahl der Todesopfer stieg auf zehn, rund 1500 Menschen wurden festgenommen.
«Wir befinden uns im Krieg gegen einen mächtigen, unversöhnlichen Feind», sagte Piñera am Sonntagabend nach einer Krisensitzung mit General Javier Iturriaga, der mit der Wiederherstellung der Sicherheit in der Hauptstadt Santiago de Chile beauftragt wurde. Der Gegner sei bereit, grenzenlos Gewalt und Kriminalität einzusetzen, sagte Piñera. Alle Chilenen müssten sich jetzt zusammenschliessen.
An uprising is happening in Santiago, Chile because people are fed up with the inequality.
— Benjamin Young Savage (ᐱᓐᒋᐱᓐ) (@benjancewicz) October 19, 2019
They set fire to the Enel Chile power company building. pic.twitter.com/pv8S6GmTFp
Der Ausnahmezustand wurde von Innenminister Andrés Chadwick auf neun der 16 Regionen Chiles ausgeweitet. Die Gewalteskalation werde organisiert, um Chile zu schaden, sagte Chadwick. Eine nächtliche Ausgangssperre in Santiago de Chile wurde verlängert. Am Flughafen der Hauptstadt fielen hunderte Flüge aus, tausende Passagiere strandeten.
Die Proteste waren durch eine Erhöhung der Ticketpreise für den öffentlichen Nahverkehr in der Sieben-Millionen-Stadt Santiago de Chile ausgelöst worden. Nach ersten Zusammenstössen am Freitag hatte der konservative Präsident Piñera die Fahrpreiserhöhung am Samstag ausgesetzt. Die Unruhen hielten aber an.
Am Wochenende kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Dutzende Supermärkte und Tankstellen wurden geplündert, die Zentrale eines grossen Energieunternehmens sowie ein Redaktionsgebäude von Chiles ältester Zeitung in Brand gesetzt. 78 U-Bahn-Stationen in Santiago wurden beschädigt.
Rund 9400 Soldaten kamen nach Angaben des Verteidigungsministeriums im Einsatz. Am Sonntag wurden 17 Polizisten verletzt. Insgesamt gab es bisher nach Angaben der Staatsanwaltschaft 1554 Festnahmen. Mehr als 60 Supermärkte wurden in verschiedenen Städten geplündert und mindestens sechs in Brand gesetzt.
Chile. pic.twitter.com/TjFqyZMAlq
— JPD Juan Pablo Dolhagaray (@JuenferA) October 21, 2019
Am Rande der Proteste kamen mindestens zehn Menschen ums Leben. Die Leichen wurden nach verschiedenen Plünderungen in der Hauptstadt Santiago gefunden, unter anderem in ausgebrannten Supermärkten, einer Baumarktkette und einer Textilfabrik, wie die Behörden am Sonntag (Ortszeit) berichteten.
Angesichts der Proteste in anderen Ländern Lateinamerikas wie etwa Ecuador hatte Piñera noch vor kurzem gesagt, Chile sei wie eine «wahre Oase, eine stabile Demokratie, eine wachsende Wirtschaft». Doch unter der Oberfläche schwelt nach Einschätzung von Beobachtern seit Jahren Unmut über eine wachsende soziale Schieflage.
THIS IS CHILE RIGHT NOW.
— 🎀♡ babygirl ♡🎀 (@pinkitsvne) October 20, 2019
The government set the military on the streets just because people were demanding rights. Salaries aren’t enough.
WE ARE A DISARMED COUNTRY. They fight us with guns and we have bare hands.
Media is censoring this, please RT. MAKE THE WORLD SEE.🇨🇱🇨🇱 pic.twitter.com/jLrPwW7G75
Die spanische Zeitung «El Mundo» kommentierte: «Eine Art Stabilisator in einer von Populismen dominierten Region. Heute steht die Oase mit mehr als 700 Inhaftierten und 100 Verletzten in Flammen.» Die Zeitung «La Nación» sprach von der schwersten Krise seit Beginn der Demokratie vor fast 30 Jahren. Chile war von 1974 bis 1990 unter Augusto Pinochet eine Diktatur gewesen. (aeg/sda/afp/dpa)