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Ukraine-Krieg: TV-Talkgäste fordern Politiker zu mehr Ehrlichkeit auf

Die Talkrunde bei Maybrit Illner mit der zugeschalteten Marina Weisband.
Talkrunde bei Maybrit Illner mit der zugeschalteten Marina Weisband: Die deutsch-ukrainische Politikerin sieht den Westen nur auf Putin reagieren, statt eine Strategie zu haben.Bild: Screenshot: zdf.de

«Mehr Waffen können Frieden schaffen» – TV-Talkgäste fordern Politiker zu Ehrlichkeit auf

Deutsche Politiker – allen voran Olaf Scholz – müssen ehrlicher sein – zur Ukraine und zu den Bürgerinnen und Bürgern. Das forderten fast alle Gäste bei Maybrit Illner.
01.03.2024, 23:0202.03.2024, 07:15
Charlotte Zink / t-online
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Ein Artikel von
t-online

Kämpft die Ukraine auf verlorenem Posten? Diese Frage hat Maybrit Illner am Donnerstagabend mit ihren Gästen diskutiert. Ein Thema rückte dabei immer wieder in den Fokus: Die Ehrlichkeit der deutschen Regierung hinsichtlich der Unterstützung, die sie zu leisten bereit ist.

Die Gäste

  • Marina Weisband, gebürtige Ukrainerin, deutsche Publizistin und Grünen-Politikerin
  • Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München
  • Michael Roth, deutscher Politiker (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages
  • Wolfgang Ischinger, ehemaliger deutscher Botschafter in den USA
  • Nicole Deitelhoff, Professorin für Internationale Beziehungen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
  • Schanna Borissowna Nemzowa, Tochter des 2015 ermordeten Politikers Boris Nemzow
«Putin ist schon lange in einem Krieg mit uns und wir wollen uns dem nicht stellen.»
Marina Weisband

Welche Strategie hat der Westen?

Zuerst angesprochen hatte den Aspekt der fragwürdigen Kommunikation die gebürtige Ukrainerin, Publizistin Marina Weisband. Sie kritisierte: «Der Westen hat keine wirkliche Strategie», sondern reagiere lediglich auf Putin.

Das Wichtigste aus ihrer Sicht sei deswegen, dass die Bundesregierung «kommunikative Ehrlichkeit» an den Tag lege. Bereits im Frühling 2022 habe die Möglichkeit bestanden, dem ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj zu erklären, dass man «zwar im Herzen» bei der Ukraine sei, aber nur «bis Putin wütend wird» und dass man deswegen «ein bisschen auf Distanz» bleibe. Selenskyj hätte mit diesem Wissen eventuell andere Entscheidungen getroffen, so Weisband.

Roth will mutige Forderungen

Unterstützt wurde ihre Forderung nach offener Kommunikation von SPD-Politiker Michael Roth: «Ich finde, jetzt ist der Zeitpunkt, wo wir uns ehrlich machen müssen und die Ukraine nicht länger vertrösten dürfen», so der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Es gehe nun darum, die Frage zu beantworten, ob der Westen es wirklich schaffe, dass die Ukraine siegt.

Vor diesem Hintergrund appellierte er an die Politik mit Blick auf Waffenlieferungen, «realistische, mutige, entschlossene Forderungen» zu stellen. Kampfgerät brauche die Ukraine derzeit am dringendsten, betonte der SPD-Mann.

Expertin warnt vor Folgen eines Russlandsiegs

Weiteren Zuspruch bekam Weisbands Ansinnen nach Ehrlichkeit von Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff. Aus Sicht der Professorin habe Deutschland derzeit zwei Optionen.

Die erste sei es zu erklären, dass man Unterstützung nicht weiter leisten kann oder will. Die Ukraine müsse dann wenigstens nicht weiter auf Hilfen warten und könne Entscheidungen in diesem Wissen treffen. Die zweite sei es, dass Deutschland mit Blick auf die Bedrohungen deutlich sage: «Wir können nicht zulassen, dass das jetzt passiert.»

Von der Bundespolitik wünschte sich Deitelhoff mit Blick auf das, was droht, wenn Russland gewinnt, «endlich mal Ehrlichkeit» gegenüber der Bevölkerung. «Wenn wir Putin jetzt nicht in der Ukraine aufhalten, werden wir ihn danach direkt an den NATO-Grenzen aufhalten müssen», fasste die Wissenschaftlerin die Lage zusammen. «Dann haben wir den Bündnisfall.»

Warum zögert Scholz?

Zu verhindern, dass Deutschland oder ein anderes NATO-Land in den Krieg mit Russland verwickelt werden, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz stets zur Prämisse seiner Entscheidungen über Waffenlieferungen gemacht.

Zuletzt weigerte er sich deswegen auch einer Lieferung von Taurus-Marschflugkörper zuzustimmen. Am Donnerstag bekräftigte Scholz diese Entscheidung erneut. Darüber hinaus erklärte er: «Es wird keine deutschen Soldaten, auch keine Nato-Soldaten auf ukrainischem Grund und Boden geben.»

Scholz‘ Fokus darauf, keine Kriegspartei zu werden, kritisierte Weisband. Bei diesem Anliegen handele es sich um eine völkerrechtliche Formalität, die für den Kreml-Chef jedoch bedeutungslos sei, weil ihm das Völkerrecht egal ist.

«Putin ist schon lange in einem Krieg mit uns und wir wollen uns dem nicht stellen», so die Politikerin. Es handele sich um einen hybriden Krieg, in dem Russland nicht mit Waffen angreife, sondern beispielsweise durch Hacker oder Spione die innere Sicherheit bedrohe.

Ex-Botschafter fordert Selbstbewusstsein

Diese Einschätzung teilte auch Militärexperte Carlo Masala. «Aus Putins Sicht sind wir schon längst Kriegspartei», erklärte auch der Professor für Internationale Politik. Dass Deutschland sage, es wolle keine Kriegspartei werden, könne deswegen auch nicht verhindern, dass Putin bei einer Eskalation trotzdem angreifen würde.

Optimistischere Worte kamen am Donnerstagabend vom ehemaligen deutschen Botschafter in den USA, Wolfgang Ischinger. «Ich respektiere sehr die Grundhaltung dieses Bundeskanzlers, Deutschland nicht in einen Krieg mit einer Nuklearmacht hineinziehen zu lassen», so der Präsident des Stiftungsrats der Münchener Sicherheitskonferenz. Diesen Grundsatz halte er für richtig.

Auch sehe er keinen Grund in eine «Depression zu verfallen» und davon auszugehen, dass der Krieg demnächst verloren werde. Der Westen dürfe Russland nicht zu einem «Scheinriesen» hochstilisieren, warnte Ischinger. Stattdessen könne man sich ruhig «selbstbewusst und optimistisch» sein.

Streit mit Macron freut nur einen

Kritik übte Ischinger derweil an Unstimmigkeiten, die Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron zuletzt in der Öffentlichkeit ausgetragen hatten. Über die diplomatischen Spannungen freue sich lediglich der Kreml, stellte der Experte klar.

Stein des Anstosses war eine Erklärung des französischen Präsidenten am Montag gewesen, in der er den Einsatz von Bodentruppen nicht ausgeschlossen hatte. Scholz hatte das schon am Dienstag umgehend zurückgewiesen.

Bereits zu Anfang des Ukraine-Kriegs hatte der Bundeskanzler deutlich gemacht, dass eine Entsendung von Bodentruppen für ihn nicht infrage kommt. Deutschland ist nach den USA der grösste Waffenlieferant für den Abwehrkampf gegen Russland.

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77 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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N. Y. P.
02.03.2024 05:56registriert August 2018
Dass Deutschland sage, es wolle keine Kriegspartei werden, könne deswegen auch nicht verhindern, dass Putin bei einer Eskalation trotzdem angreifen würde.

Hier liegt der Irrtum von Olaf.

Er denkt, er kann Waffen liefern ((was wichtig ist) und dauergrinsend in die Kamera sagen, dass D imfall keine Sodaten schickt. Er denkt allen Ernstes, dass Putin dann D den Kopf tätschelt. Und ein Herzchen ins Album klebt.

Leute, wenn es Putin am Sack juckt und er gerade Bock hat, Polen anzugreifen, dann macht er das. Der grinsende Olaf hat null Einfluss mit seinem Sprech auf Putin.
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Mondblüemli
02.03.2024 00:40registriert Oktober 2021
Leider haben sie Recht. Waffen können Frieden schaffen. Auch wenn es mir nicht gefällt.
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rolf.iller
02.03.2024 02:07registriert Juli 2014
Krieg ist die einzige verbleibende Lösung! Russland kann und wird militärisch bezwungen werden. Je länger wir zögern, desto grösser wird jedoch der Preis sein, den zu bezahlen wir haben weden.
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