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Frau in Deutschland verschwindet für 31 Jahre – jetzt erklärt sie, wieso

Petra P.
Petra P. trägt bei ihrem Interview eine Perücke, damit sie auf der Strasse weniger erkannt wird.Bild: screenshot RTL

Frau in Deutschland verschwand für 31 Jahre spurlos – jetzt erklärt sie, wieso

1984 verschwand eine deutsche Studentin spurlos. Irgendwann wird sie für tot erklärt, ein Mann hat den Mord an ihr gestanden. Doch 31 Jahre später taucht die Frau plötzlich wieder lebend auf. In einem Interview erklärt sie sich nun.
19.03.2024, 06:5619.03.2024, 13:14
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Am 26. Juli 1984 verliess die junge Informatik-Studentin Petra P. ihre Unterkunft in einem Studentenwohnheim in Braunschweig. Sie hatte einen Termin beim Zahnarzt. Im Anschluss an diesen fuhr sie laut damaligen Zeugenaussagen mit dem Bus in Richtung ihres Elternhauses. Von jenem Punkt, wo sie ausgestiegen war, hätte sie dieses via einem kleinen Waldstück erreichen können.

Doch in besagtem Waldstück verliert sich die Spur von P. – in ihrem Elternhaus kommt sie nie an.

Es folgt eine wochenlange Suche nach der Studentin. Die Ermittler ziehen in Betracht, dass sie einen Unfall gehabt haben könnte. Oder dass sie Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Zu Hunderten haben Polizisten die Gegend rund um die beiden benachbarten Städte Wolfsburg und Braunschweig abgesucht. Ohne Erfolg. «Man fand nichts», sagt der damals im Einsatz stehende Polizist Holger Kunkel gegenüber dem RTL-Magazin «Life».

Die Gegend ist in heller Aufruhr. Denn nur ein Jahr zuvor wurde im gleichen Waldstück, wo Studentin P. verschwunden ist, eine Leiche gefunden. Eine junge Frau, ermordet, der Täter noch auf freiem Fuss. Die Polizei wendet sich in jenem Fall an die Öffentlichkeit, in der TV-Sendung «Aktenzeichen XY ... ungelöst».

Und tatsächlich: Eine Frau meldet sich, sie habe damals einen Mann in der Gegend gesehen, der ihr sehr suspekt vorkam. Die Polizei macht in ausfindig und verhaftet ihn. Und der junge Mann gesteht. Und zwar nicht nur den Mord an der aufgefundenen Toten, sondern auch jenen an Petra P. Doch von der angeblichen Leiche P.s fehlt jegliche Spur. Die Polizei geht dennoch davon aus, dass der geständige Mann auch Petra getötet hatte – und schliesst den Fall nach fünf Jahren der Ermittlungen ab.

Niemand hört jemals wieder von Petra P. – bis im Jahr 2015. Petra P. wird in Düsseldorf identifiziert, weil sie sich bei der Polizei ausweisen muss, nachdem in ihre Wohnung eingebrochen wurde. Dort hat sie unter dem falschen Namen Susanne Schneider gelebt.

Die Geschichte ging damals um die Welt; man fragte sich, wie es möglich sein konnte, dass jemand so lange unbemerkt untertauchen kann. Doch P. behält ihre Geschichte vorerst für sich.

Knapp neun Jahre später gab sie RTL nun ein Interview vor laufenden Kameras. Und erklärte, wie sie damals untergetaucht ist.

«Ich habe meinem Zimmernachbarn meine Schlüssel gegeben. Ich wollte die nicht mitnehmen. Weil ich keine Probleme machen wollte, wenn die Schlüssel gefehlt hätten.»
«Ich habe sehr wenige Sachen eingepackt. Vor allem Kleidung. Und ja, dann bin ich einfach zum Zahnarzt gegangen und dann zum Bahnhof.»
«Und dann war ich weg.»
«Und von da an war ich Susanne. Und Petra ... war irgendwo hier (in Braunschweig, d. Red.) zurückgeblieben.»

Sie habe 3000 D-Mark bei der Bank in bar abgehoben. Für den Neuanfang.

Diesen startete sie 300 Kilometer entfernt in der Stadt Essen. Dort mietete P. eine Wohnung. Und lebte fortan so unauffällig, wie es nur ging. Sie zahlte die Miete und alles andere stets mit Bargeld, ein Bankkonto hatte sie keines.

Der Preis für die Unauffälligkeit war hoch.

«Ich konnte viele Dinge nicht machen. Zum Beispiel in ein Reisebüro gehen und in den Urlaub reisen. Ich bin nicht zum Arzt gegangen. Ich habe kein Auto gekauft. Das ging nicht.»

Über die Runden kam Petra P. mit verschiedenen Gelegenheitsjobs. Sie arbeitete beispielsweise als Nachhilfelehrerin oder als Putzfrau.

Die entscheidende Frage stellt ihr am Ende Polizist Holger Kunkel. «Warum bist du abgehauen?» Der Fall habe ihn nie losgelassen, wie Kunkel erzählt. Immer wieder habe er in den mehr als 30 Jahren an Petra gedacht. Und fest damit gerechnet, dass ihre Leiche irgendwo verscharrt war, die ganze Zeit über.

Eine klare Antwort auf die Frage bekommt Kunkel nicht. Denn Petra P. kennt sie selber nicht. Dennoch ist ihre Antwort erschütternd.

«Ich weiss es nicht. Ich denke, dass ich schizophren geworden bin. Ich glaube, dass Frauen, die als Kind missbraucht wurden, öfters schizophren werden. Und ich bin die ersten fünf Lebensjahre extrem missbraucht worden.»

P. ist den Tränen nahe, als sie antwortet. Sie habe sich lange nicht daran erinnern können, dass sie als Kind missbraucht worden sei. Eine «massive Verdrängung» habe sie durchgemacht.

Was Petra P. in ihrer Kindheit zugestossen ist, lässt sich heute nicht mehr genau rekonstruieren. Es wären zudem alle Taten verjährt.

P. sah ihre «Enttarnung» zuerst als Schock an. Doch heute sei es für sie eine Befreiung. Sie könne endlich wieder frei leben, ohne sich verstecken zu müssen. Zudem arbeitet sie ihre Vergangenheit mit einem Psychologen auf. Sie sagt:

«Ich freue mich, dass ich ins Internet kann. Das ist etwas Schönes. Und dass ich zum Arzt gehen kann, wenn ich krank bin.»

Hier gibt es das ganze Interview mit Petra P.

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104 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Walter-Brock Miami-FM
19.03.2024 07:03registriert August 2023
Warum gibt ein Mann einen Mord zu, den er nicht begangen hat? Warum hat die Polizei nicht festgestellt, dass der Mann den Mord nicht begangen hat? Wahrscheinlich sitzen viel mehr Unschuldige hinter Gitter, als man sich vorstellen kann.
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Frère Jacques
19.03.2024 07:37registriert Juli 2018
Der Fall wurde in verschiedenen True Crime Podcasts behandelt. Dass sie keinen Kontakt zu ihren Eltern/Verwandten wollte nachdem sie aufgeflogen war, hat in mir schon beim zuhören den Verdacht geweckt, dass etwas in ihrer Kindheit/Jugend vorgefallen sein musste.
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Musikuss
19.03.2024 08:18registriert September 2016
Wenn man bedenkt, dass erst vor wenigen Jahren in Deutschland 1 Kinderporno-Ring mit 400’000 Mitgliedern ausgehoben wurde, kann man sich vorstellen, wie viele Kinder gequält und missbraucht werden, offenbar vor allem im familiären Umfeld. Das wird noch auf uns zurückkommen.
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