Am 26. Juli 1984 verliess die junge Informatik-Studentin Petra P. ihre Unterkunft in einem Studentenwohnheim in Braunschweig. Sie hatte einen Termin beim Zahnarzt. Im Anschluss an diesen fuhr sie laut damaligen Zeugenaussagen mit dem Bus in Richtung ihres Elternhauses. Von jenem Punkt, wo sie ausgestiegen war, hätte sie dieses via einem kleinen Waldstück erreichen können.
Doch in besagtem Waldstück verliert sich die Spur von P. – in ihrem Elternhaus kommt sie nie an.
Es folgt eine wochenlange Suche nach der Studentin. Die Ermittler ziehen in Betracht, dass sie einen Unfall gehabt haben könnte. Oder dass sie Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Zu Hunderten haben Polizisten die Gegend rund um die beiden benachbarten Städte Wolfsburg und Braunschweig abgesucht. Ohne Erfolg. «Man fand nichts», sagt der damals im Einsatz stehende Polizist Holger Kunkel gegenüber dem RTL-Magazin «Life».
Die Gegend ist in heller Aufruhr. Denn nur ein Jahr zuvor wurde im gleichen Waldstück, wo Studentin P. verschwunden ist, eine Leiche gefunden. Eine junge Frau, ermordet, der Täter noch auf freiem Fuss. Die Polizei wendet sich in jenem Fall an die Öffentlichkeit, in der TV-Sendung «Aktenzeichen XY ... ungelöst».
Und tatsächlich: Eine Frau meldet sich, sie habe damals einen Mann in der Gegend gesehen, der ihr sehr suspekt vorkam. Die Polizei macht in ausfindig und verhaftet ihn. Und der junge Mann gesteht. Und zwar nicht nur den Mord an der aufgefundenen Toten, sondern auch jenen an Petra P. Doch von der angeblichen Leiche P.s fehlt jegliche Spur. Die Polizei geht dennoch davon aus, dass der geständige Mann auch Petra getötet hatte – und schliesst den Fall nach fünf Jahren der Ermittlungen ab.
Niemand hört jemals wieder von Petra P. – bis im Jahr 2015. Petra P. wird in Düsseldorf identifiziert, weil sie sich bei der Polizei ausweisen muss, nachdem in ihre Wohnung eingebrochen wurde. Dort hat sie unter dem falschen Namen Susanne Schneider gelebt.
Die Geschichte ging damals um die Welt; man fragte sich, wie es möglich sein konnte, dass jemand so lange unbemerkt untertauchen kann. Doch P. behält ihre Geschichte vorerst für sich.
Knapp neun Jahre später gab sie RTL nun ein Interview vor laufenden Kameras. Und erklärte, wie sie damals untergetaucht ist.
Sie habe 3000 D-Mark bei der Bank in bar abgehoben. Für den Neuanfang.
Diesen startete sie 300 Kilometer entfernt in der Stadt Essen. Dort mietete P. eine Wohnung. Und lebte fortan so unauffällig, wie es nur ging. Sie zahlte die Miete und alles andere stets mit Bargeld, ein Bankkonto hatte sie keines.
Der Preis für die Unauffälligkeit war hoch.
Über die Runden kam Petra P. mit verschiedenen Gelegenheitsjobs. Sie arbeitete beispielsweise als Nachhilfelehrerin oder als Putzfrau.
Die entscheidende Frage stellt ihr am Ende Polizist Holger Kunkel. «Warum bist du abgehauen?» Der Fall habe ihn nie losgelassen, wie Kunkel erzählt. Immer wieder habe er in den mehr als 30 Jahren an Petra gedacht. Und fest damit gerechnet, dass ihre Leiche irgendwo verscharrt war, die ganze Zeit über.
Eine klare Antwort auf die Frage bekommt Kunkel nicht. Denn Petra P. kennt sie selber nicht. Dennoch ist ihre Antwort erschütternd.
P. ist den Tränen nahe, als sie antwortet. Sie habe sich lange nicht daran erinnern können, dass sie als Kind missbraucht worden sei. Eine «massive Verdrängung» habe sie durchgemacht.
Was Petra P. in ihrer Kindheit zugestossen ist, lässt sich heute nicht mehr genau rekonstruieren. Es wären zudem alle Taten verjährt.
P. sah ihre «Enttarnung» zuerst als Schock an. Doch heute sei es für sie eine Befreiung. Sie könne endlich wieder frei leben, ohne sich verstecken zu müssen. Zudem arbeitet sie ihre Vergangenheit mit einem Psychologen auf. Sie sagt:
Hier gibt es das ganze Interview mit Petra P.