International
Medien

index.hu: Wie Ungarns grösstes Nachrichtenportal mundtot gemacht wurde

Wie Orban die Medien mundtot macht – jetzt hat es auch das meistgelesene Portal erwischt

03.08.2020, 15:3603.08.2020, 15:57
Mehr «International»

Wer in diesen Tagen Ungarns meistgelesenes, bislang unabhängiges Nachrichtenportal index.hu besucht, wird Veränderungen bemerken. Viele der Meldungen kommen von der staatlichen Nachrichtenagentur MTI. Und es fehlen die grossen Storys, die aufgrund eigener Recherche politischen Fehlentwicklungen und mutmasslichen Korruptionsvorgängen nachspüren.

Blick auf die Webseite index.hu.
Blick auf die Webseite index.hu.

Tatsächlich schleppt sich das Portal in einer Art Notbetrieb dahin, seitdem der Chefredakteur Szabolcs Dull vor anderthalb Wochen auf Druck der regierungsnahen Eigentümer entlassen wurde. Zwei Tage später reichte deshalb fast die gesamte 90-köpfige Redaktion die Kündigung ein. Die Mitarbeiter unterliegen noch der Kündigungsfrist, sie arbeiten auf Sparflamme weiter. Die Eigentümer suchen unterdessen fieberhaft nach einer neuen Mannschaft.

Doch in seiner bisherigen Form wird es index.hu nicht mehr geben. Es war nicht nur ein Internetportal, sondern eine Institution im Lande. Vor 21 Jahren hatten es Journalisten, Privatleute und Kleinanleger gegründet. Mit sprachlichen, multimedialen und inhaltlichen Innovationen brachte es einen frischen, unverbrauchten Wind in die bis dahin eher behäbige ungarische Medienlandschaft.

Auffallend war auch, dass sich das Portal keinem der politischen Lager – dem national-konservativen oder links-liberalen – zuordnen liess. index.hu recherchierte, deckte auf und teilte aus, egal welchem Lager die Missetäter und «Korruptionisten» angehörten.

Wirtschaftliche Nöte führten um 2005 zu einer Veränderung der Eigentümerstruktur. Geschäftsleute aus dem Umfeld der rechtsnationalen Partei Fidesz des damaligen Oppositionsführers Viktor Orban erwarben die Mehrheitsanteile an der Eigentümerfirma. Jahre hindurch respektierte sie die Unabhängigkeit des Portals weitgehend. Doch mit Orbans Wahlsieg 2010 und weiteren Veränderungen im Eigentümerumfeld verstärkte sich der Druck auf die autonome Redaktion. Im Mai 2018 schimpfte Orban: «index ist eine Fake-News-Fabrik.»

Ungarns Ministerpr�sident Viktor Orban trifft zum EU-Gipfel im Geb�ude des Europ�ischen Rates ein. Bei dem zweit�gigen Sondergipfel in Br�ssel geht es konkret um den Vorschlag der EU-Kommission, 750 M ...
Viktor Orbans Ungarn hat sich von der Demokratie verabschiedet. Bild: sda

Ein knappes Jahr später erwarb der Geschäftsmann Miklos Vaszily die Hälfte der Anteile an der Eigentümerfirma. Er gilt als Orbans Mann fürs Grobe in der Medienpolitik. Schlagartig verschärfte sich der Ton. Externe Berater drangen auf eine «Ausgliederung» der Ressorts aus der Redaktion, das heisst, auf ihre organisatorische Zerschlagung.

Der Chefredakteur Dull leistete dagegen Widerstand, machte die Pläne publik und wurde schliesslich gefeuert. «Das war das Signal, dass auch die anderen Garantien, die unsere Unabhängigkeit sicherten, keinen Bestand mehr haben», sagte Tamas Fabian, bis zu seiner Kündigung Parlamentskorrespondent des Portals. «Ein freies Arbeiten wäre von da an nicht mehr möglich gewesen.»

Die Regierung des mächtigen Ministerpräsidenten Viktor Orban weist jeden Gedanken entschieden zurück, bei der Ausschaltung von index.hu Regie geführt zu haben. Kanzleramtsminister Gergely Gulyas redete die Vorgänge zu einer «Diskussion innerhalb einer Redaktion mit privaten Eigentümern» klein. «Die Regierung kann bei so etwas in keinerlei Weise dreinreden – würde sie es tun, wäre die Pressefreiheit verletzt», sagte er am Sonntag im staatlichen Rundfunk.

Doch das langsame Sterben freier Medien zieht sich wie ein roter Faden durch die zehnjährige Regentschaft Orbans. Gleich nach dem Regierungsantritt 2010 degradierte er die öffentlich-rechtlichen Medien zu reinen Sprachrohren der Regierung. Dies geschah durch neue Mediengesetze, die Orbans Fidesz-Mehrheit im Parlament beschloss. Später gingen Orbans Leute indirekter vor.

Miklos Vaszily: Orbans Mann fürs Grobe.
Miklos Vaszily: Orbans Mann fürs Grobe.Bild: Screenshot Youtube

Als 2014 die Deutsche Telekom das damals grösste Internetportal origo.hu unter enormem Druck der Orban-Regierung an Fidesz-nahe Investoren verkaufte, war es der heutige index-Abwickler Vaszily, der die kritischen Redakteure des Portals entliess und es zu einem Propagandawerkzeug umfunktionierte. 2016 musste die grösste Tageszeitung des Landes, die linksliberale «Nepszabadsag», schliessen. Exekutor war in diesem Fall ein Investor aus Österreich, der damals immer wieder von Orban empfangen wurde.

Inzwischen sind alle Regionalzeitungen, fast alle Portale, Fernseh- und Radiosender in einer Stiftung zusammengefasst, die von Orban-Vertrauten strikt kontrolliert wird. Diese Konzentration von über 400 Medien in einer Hand würde selbst in Ungarn gegen das Wettbewerbs- und Medienrecht verstossen. Orban hat aber auch dafür eine Hintertür gefunden. Die Stiftung mit der Abkürzung Kesma wurde zu einer Einrichtung von «strategischer Bedeutung für die Nation» erklärt. Nach ungarischem Recht ist sie damit nicht mehr anfechtbar. (meg/sda/dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Mehr als 1000 Flüchtlinge überqueren die Grenze nach Ungarn
1 / 14
Mehr als 1000 Flüchtlinge überqueren die Grenze nach Ungarn
Nächstes Ziel Ungarn: Flüchtlinge überqueren die mazedonische Grenze nach Serbien, von wo sie weiter nach Ungarn reisen.
quelle: ap/ap / darko vojinovic
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Ungarn schottet sich weiter ab
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
70 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Coffeetime ☕
03.08.2020 15:58registriert Dezember 2018
Einfach nur schlimm. Ich wünsche Ungarn, dass es wieder einen Weg in die Freiheit findet. 56 war hoffentlich nicht umsonst.
24720
Melden
Zum Kommentar
avatar
s'Paddiesli
03.08.2020 16:22registriert Mai 2017
Wie lange will die EU da noch zuschauen?
22424
Melden
Zum Kommentar
avatar
homo sapiens melior
03.08.2020 16:29registriert Februar 2017
Was sind die Gründe für die EU nicht dagegen vorzugehen?
21619
Melden
Zum Kommentar
70
Ist es der vermisste US-Journalist? Bilder von diesem Mann in Syrien sorgen für Rätsel

Nach dem Sturz des Machthabers Baschar al-Assad in Syrien soll der vor mehr als zehn Jahren verschleppte US-Journalist Austin Tice angeblich lebend gefunden worden sein.

Zur Story