Wer in diesen Tagen Ungarns meistgelesenes, bislang unabhängiges Nachrichtenportal index.hu besucht, wird Veränderungen bemerken. Viele der Meldungen kommen von der staatlichen Nachrichtenagentur MTI. Und es fehlen die grossen Storys, die aufgrund eigener Recherche politischen Fehlentwicklungen und mutmasslichen Korruptionsvorgängen nachspüren.
Tatsächlich schleppt sich das Portal in einer Art Notbetrieb dahin, seitdem der Chefredakteur Szabolcs Dull vor anderthalb Wochen auf Druck der regierungsnahen Eigentümer entlassen wurde. Zwei Tage später reichte deshalb fast die gesamte 90-köpfige Redaktion die Kündigung ein. Die Mitarbeiter unterliegen noch der Kündigungsfrist, sie arbeiten auf Sparflamme weiter. Die Eigentümer suchen unterdessen fieberhaft nach einer neuen Mannschaft.
Doch in seiner bisherigen Form wird es index.hu nicht mehr geben. Es war nicht nur ein Internetportal, sondern eine Institution im Lande. Vor 21 Jahren hatten es Journalisten, Privatleute und Kleinanleger gegründet. Mit sprachlichen, multimedialen und inhaltlichen Innovationen brachte es einen frischen, unverbrauchten Wind in die bis dahin eher behäbige ungarische Medienlandschaft.
Auffallend war auch, dass sich das Portal keinem der politischen Lager – dem national-konservativen oder links-liberalen – zuordnen liess. index.hu recherchierte, deckte auf und teilte aus, egal welchem Lager die Missetäter und «Korruptionisten» angehörten.
Wirtschaftliche Nöte führten um 2005 zu einer Veränderung der Eigentümerstruktur. Geschäftsleute aus dem Umfeld der rechtsnationalen Partei Fidesz des damaligen Oppositionsführers Viktor Orban erwarben die Mehrheitsanteile an der Eigentümerfirma. Jahre hindurch respektierte sie die Unabhängigkeit des Portals weitgehend. Doch mit Orbans Wahlsieg 2010 und weiteren Veränderungen im Eigentümerumfeld verstärkte sich der Druck auf die autonome Redaktion. Im Mai 2018 schimpfte Orban: «index ist eine Fake-News-Fabrik.»
Ein knappes Jahr später erwarb der Geschäftsmann Miklos Vaszily die Hälfte der Anteile an der Eigentümerfirma. Er gilt als Orbans Mann fürs Grobe in der Medienpolitik. Schlagartig verschärfte sich der Ton. Externe Berater drangen auf eine «Ausgliederung» der Ressorts aus der Redaktion, das heisst, auf ihre organisatorische Zerschlagung.
Der Chefredakteur Dull leistete dagegen Widerstand, machte die Pläne publik und wurde schliesslich gefeuert. «Das war das Signal, dass auch die anderen Garantien, die unsere Unabhängigkeit sicherten, keinen Bestand mehr haben», sagte Tamas Fabian, bis zu seiner Kündigung Parlamentskorrespondent des Portals. «Ein freies Arbeiten wäre von da an nicht mehr möglich gewesen.»
Die Regierung des mächtigen Ministerpräsidenten Viktor Orban weist jeden Gedanken entschieden zurück, bei der Ausschaltung von index.hu Regie geführt zu haben. Kanzleramtsminister Gergely Gulyas redete die Vorgänge zu einer «Diskussion innerhalb einer Redaktion mit privaten Eigentümern» klein. «Die Regierung kann bei so etwas in keinerlei Weise dreinreden – würde sie es tun, wäre die Pressefreiheit verletzt», sagte er am Sonntag im staatlichen Rundfunk.
Doch das langsame Sterben freier Medien zieht sich wie ein roter Faden durch die zehnjährige Regentschaft Orbans. Gleich nach dem Regierungsantritt 2010 degradierte er die öffentlich-rechtlichen Medien zu reinen Sprachrohren der Regierung. Dies geschah durch neue Mediengesetze, die Orbans Fidesz-Mehrheit im Parlament beschloss. Später gingen Orbans Leute indirekter vor.
Als 2014 die Deutsche Telekom das damals grösste Internetportal origo.hu unter enormem Druck der Orban-Regierung an Fidesz-nahe Investoren verkaufte, war es der heutige index-Abwickler Vaszily, der die kritischen Redakteure des Portals entliess und es zu einem Propagandawerkzeug umfunktionierte. 2016 musste die grösste Tageszeitung des Landes, die linksliberale «Nepszabadsag», schliessen. Exekutor war in diesem Fall ein Investor aus Österreich, der damals immer wieder von Orban empfangen wurde.
Inzwischen sind alle Regionalzeitungen, fast alle Portale, Fernseh- und Radiosender in einer Stiftung zusammengefasst, die von Orban-Vertrauten strikt kontrolliert wird. Diese Konzentration von über 400 Medien in einer Hand würde selbst in Ungarn gegen das Wettbewerbs- und Medienrecht verstossen. Orban hat aber auch dafür eine Hintertür gefunden. Die Stiftung mit der Abkürzung Kesma wurde zu einer Einrichtung von «strategischer Bedeutung für die Nation» erklärt. Nach ungarischem Recht ist sie damit nicht mehr anfechtbar. (meg/sda/dpa)