Heute Dienstag um 07:22 Uhr (Ortszeit) startete die Rakete in der nordkoreanischen Provinz Jagang nahe der chinesischen Grenze. Auf ihrem Weg über Japan erreichte sie gemäss japanischen Behörden eine Geschwindigkeit von bis zu Mach 17 – also 17-fache Schallgeschwindigkeit.
Experten meldeten gemäss CNN, dass es sich bei dem Flugkörper wahrscheinlich um eine Mittelstrecken-Rakete vom Typ «Hwasong-12» handle. Jeffrey Lewis, Professor am James Martin Center for Nonproliferation Studies, meint: «Nordkorea testet diese Rakete schon seit 2017 ... Es ist also nicht wirklich eine neue Rakete.»
Nennenswert ist, dass die Rakete dabei eine Rekordstrecke von gut 4'600 Kilometern zurücklegte. Zur Erinnerung: Die Insel Guam, welche zum US-Amerikanischen Staatsgebiet gehört, liegt nur 3'380 Kilometer von Nordkorea entfernt. Der Start löste auf Japan einen öffentlichen Raketenalarm aus, der die Bewohner der Insel Hokkaido aufforderte, Schutz in ihren Häusern zu suchen.
Üblicherweise versenkt Pjöngjang seine Raketen in den Wassern um die eigene Halbinsel. Darum ist der Japan-Überflug umso provokanter. Wäre der Test fehlgeschlagen, hätte die Rakete über Japan abstürzen können. In der überflogenen Region Tohoku leben über acht Millionen Menschen.
Auch wurde das Einschlaggebiet im Pazifik nicht geräumt, da Nordkorea den Raketenstart nicht angesagt hatte. Das Risiko, dass die Rakete etwas getroffen hätte sei zwar eher klein, sagt Lewis. Das grössere Problem sei, dass es einfach provokant sei, eine Rakete über den eigenen Nachbarn fliegen zu lassen. «Die Japaner fühlen das als Verletzung der eigenen Souveränität», meint er. «Wenn Russland Raketen über Florida schiessen würde, bekämen wir einen Anfall.»
Es gibt verschiedene Erklärungsversuche. Experten sehen die in letzter Zeit gehäuften Raketentests als Antwort auf die kürzlich abgehaltenen Seemanöver südkoreanischer und US-amerikanischer Streitkräfte. Warum gerade Japan überflogen wurde, erklärt Robert Ward, Sicherheitsexperte am International Institute for Strategic Studies (IISS): «Nordkorea versucht möglicherweise, die instabile internationale Situation auszunutzen, um zu provozieren.» Er verweist darauf, dass Japan im Norden von Russland und im Süden von China umgeben ist.
Jeffrey Lewis sieht die Situation anders. Pjöngjang reagiere zwar gelegentlich auf Aktionen des Westens, allerdings «haben sie einen eigenen Zeitplan ... und ich denke nicht, dass wir einen grossen Einfluss auf das Timing haben».
Ein anderer Experte des IISS verweist auf praktische Gründe: Es könne gut sein, dass die Jahreszeit eine grosse Rolle für das Timing spielt. Nordkorea stellt während des Sommers die Raketentests oftmals auf Eis. Grund dafür ist das schlechte Sommerwetter. Ausserdem sei es für die Nordkoreaner (geografisch bedingt) schwierig, Raketen mit grosser Reichweite zu testen, ohne fremdes Staatsgebiet zu überfliegen.
Als Reaktion auf den Test starteten am Nachmittag (Ortszeit) vier südkoreanische und vier US-amerikanische Kampfjets zu einer Verbandsübung. Dabei warfen sie Bomben auf ein Ziel westlich der südkoreanischen Küste ab. Mit dieser Aktion wollte man die Fähigkeit, nordkoreanische Raketenstartplätze präzise zu zerstören, demonstrieren. US-Aussenminister Antony Blinken telefonierte spätnachts mit seinen japanischen und südkoreanischen Pendants und versicherte beiden Washingtons «eiserne» Verpflichtung.
Japan selber hat mit «starkem Protest» reagiert, so Hirokazu Matsuno, Kabinettschef der japanischen Regierung. Experten halten dies für klug: «Wir sollten nicht direkt reagieren, sondern ruhig bleiben», meint Noboru Yamaguchi, Professor für nternationale Beziehungen an der japanischen Universität in Niigata. «Sonst tun wir genau das, was Nordkorea möchte, und das wollen wir nicht.»
Jeffrey Lewis erwartet weitere Raketentests. Nebst der «Hwasong-12» besitzt Nordkorea auch drei verschiedene Interkontinental-Raketen. Diese seien bislang noch nicht «auf volle Reichweite» getestet worden. «Ich vermute, dass die Nordkoreaner, sobald sie mehr Vertrauen in ihre Langstrecken-Raketen gefasst haben, diese auch über Japan fliegen lassen.»
Leif-Eric Easley, ausserordentlicher Professor an der Ewha Womas University in Seoul, merkt an, dass Nordkorea vermutlich noch warten wird. Nämlich bis nach dem Kongress der Kommunistischen Partei in China Mitte Oktober. Dies, um einen «noch aussagekräftigeren Test durchzuführen». (cpf)