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Josef Fritzl: So ist Astrid Wagner seine Strafverteidigerin geworden

ABD0011_20240125 - KREMS - ÖSTERREICH: ZU APA0078 VOM 25.1.2024 - Verteidigerin Astrid Wagner am Donnerstag, 25. Jänner 2024, anl. einer Anhörung von Josef F. bezüglich Verlegung vom Maßnahmen- in den ...
Verteidigerin Astrid Wagner am Donnerstag, 25. Januar 2024, an der jüngsten Anhörung von Josef Fritzl.Bild: APA/APA

Von der Liebe zu einem Serienmörder zur Strafverteidigerin von Josef Fritzl

Sie ist 60 Jahre alt, fasziniert vom Bösen, hat eine wilde Romanze mit einem Serienmörder hinter sich, Porträts von Schwerverbrechern in ihrem Büro hängen und kämpft heute für die Freiheit von Josef Fritzl. Die Strafverteidigerin Astrid Wagner.
25.01.2024, 19:5825.01.2024, 22:46
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Astrid Wagner hat es versucht. Sie wollte Josef Fritzl trotz verhängter lebenslanger Haft im Massnahmenvollzug für «zurechnungsfähige, geistig abnorme Rechtsbrecher» wieder in die Freiheit bringen. Einen 88-jährigen Mann, der sich seinen Übernahmen «Monster von Amstetten» redlich verdient hat. 24 Jahre hielt er seine eigene Tochter in einem unterirdischen Kellergefängnis in seinem Haus in Niederösterreich fest, vergewaltigte sie tausendfach und zeugte sieben Kinder mit ihr, wobei eines direkt nach der Geburt verstarb.

«Fritzl ist heute völlig ungefährlich. Ich hätte keine Angst, mit ihm in eine WG zu ziehen oder mit ihm im Heim zu leben», sagte Wagner vor dem Gerichtstermin am Donnerstag noch zur «Bild». Sie zeigte sich optimistisch.

epa01670112 Defendant Josef F. during the fourth day of his trial for incest on 19 March 2009, at the provincial courthouse in St. Poelten. Josef F., the Austrian father on trial for imprisoning and r ...
Sicherheitsleute begleiten Josef Fritzl, der seinen Namen inzwischen ändern liess, ins Gerichtsgebäude.Bild: EPA

Frei bekam sie Fritzl trotzdem nicht. Dafür urteilte das Gericht, dass er zumindest vom Massnahmenvollzug in den Normalvollzug verlegt werden kann. Nach 15 Jahren. Fritzl wird damit neun Jahre früher aus der Spezialhaft entlassen, als seine Tochter seinen Peinigungen entkam.

Wenige Minuten nach der Verkündung kommentiert Astrid Wagner dieses Urteil gegenüber plus24.at: «Es ist ein erster grosser Schritt, ein erster Teilerfolg gewesen.» Vor Gericht habe Fritzl seine Reue beteuert. Und Wagner glaubt ihm, wie sie betont:

«Es war für mich tief berührend, wie er gesprochen hat.»
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Astrid Wagner gibt direkt nach der Anhörung Interviews.Bild: APA/APA

Wer ist diese Frau, die so über einen Mann spricht, der seine Tochter wie eine Leibeigene hielt? Die für seine Freiheit kämpft? Eine «Top-Anwältin», eine «Star-Strafverteidigerin», schreiben österreichische Medien. «Österreichs exzentrischste Strafverteidigerin», findet die NZZ. Eine «Autorin», heisst es auf Wikipedia. Eine «Mörder-Hure», steht in Hassbriefen an Wagner. «Eine sehr hübsche Frau», finden ihre über 2000 Follower auf Instagram. Eine «Tierschützerin», würde Wagner selbst sagen.

Vor allem aber ist Wagner eine Frau, die fasziniert ist vom Bösen, das im Menschen schlummert.

Romanze mit Serienmörder Jack Unterweger

Auf der Seite der Opfer steht Wagner als Anwältin selten. Lieber widmet sie sich der Verteidigung jener, deren Gräueltaten regelmässig über die Landesgrenzen hinweg für Entsetzen sorgen: Eine Frau, die ihre beiden Töchter im Pool ertränkte, ein junger Mann, der im Wahn seine Mutter erstach, eine Mutter, die ihren Sohn in einer Hundebox fast zu Tode quälte, ein Mörder, der sein Opfer teilweise im See versenkte, teilweise zerstückelte und zu Gulasch verarbeitete* – und nun eben Josef Fritzl.

*Apropos: Der «See-Killer», wie er auch genannt wird, arbeitet in Fritzls Massnahmenvollzug in der Gefängnisküche. Die Bild nahm das bereits zum Anlass für folgenden Titel: «Kannibale brät im Knast Schnitzel für Fritzl».

An diesem Punkt im Leben ist Wagner vor allem aus einem Grund angelangt: Weil sie sich vor über 30 Jahren verliebte. In einen Serienmörder. In Johannes «Jack» Unterweger.

1974 stranguliert Jack Unterweger erstmals eine Frau im Wald. Davor hat er sie gefesselt und ausgeraubt. 1976 erhält er lebenslänglich. In seiner Haft beginnt Unterweger über sein Leben zu schreiben. So gut, dass ihn zahlreiche Liebesbriefe von Frauen erreichen, er 1989 den «Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene» erhält und sich schliesslich sogar die österreichische Kulturszene für seine Freilassung stark macht. Er sei ein Paradebeispiel für eine geglückte Resozialisierung, meinen die Intellektuellen.

Author sought for multiple murder - Austrian writer Jack Unterweger,who was released from prison in May 1990 after serving a 15-year-sentence for killing a prostitute, is sought by Austrian police in  ...
Dieses Bild von Jack Unterweger schmachteten in den 1990er-Jahren viele Frauen an.Bild: AP NY

Auf diesen Druck hin kommt Unterweger 1990 wieder auf freien Fuss. Wo er sogleich weitermordet. Mindestens neun Prostituierte in Österreich, Tschechien und den USA erdrosselt Unterweger mit ihrer eigenen Unterwäsche. Nach einer spektakulären Flucht in die USA wird er 1992 erneut verhaftet.

Kurz darauf erhält Unterweger einen Brief von einer 29-jährigen Juristin, die sich eigentlich gerade auf Mietrecht spezialisieren will. Im Brief stellt sie sich als die «kritische Juristin» Astrid Wagner vor, die sich nicht der «medialen Vorverurteilung» gegen ihn anschliessen wolle. Es folgen weitere Briefe, erste Liebesbeteuerungen und Treffen in seiner Untersuchungshaft. Für den Mörder verlässt Wagner ihren damaligen Partner.

Am Ende sind es 200 Besuche, ein flüchtiger Kuss durch die Zellengitter und ein nicht ganz legales, sonderbares Geschenk, das der Mörder und die junge Juristin austauschen: mit Bändern zusammengebundene Schamhaare, versteckt in einem Wäschepaket. Zur österreichischen Zeitung «Profil» sagt Wagner:

«Ich wollte dem Jack ewige Treue schwören. Ich war damals völlig überzeugt davon, dass es meine Mission war, ihn zu retten. Naja, ich war eben ein unverbesserlich romantischer Mensch.»

Bonnie-and-Clyde-Syndrom?

Am 29. Juni 1994 verurteilt das österreichische Gericht Unterweger zu lebenslänglicher Haft wegen neunfachen Mordes. In der Nacht darauf erhängt er sich in seiner Gefängniszelle. Seinen Strick aus einer Kordel seiner Jogginghose und einem Schuhband bindet er mit demselben Knoten zusammen, wie er ihn für seine Opfer nutzte.

Unterweger stirbt so kurz nach der Verkündung des Urteils, dass der Schuldspruch noch nicht rechtskräftig ist. Ein Fakt, an dem sich Wagner heute noch festklammert. Gegenüber der «NZZ» weigert sie sich, Unterweger als «verurteilten Serienmörder» zu bezeichnen. Er sei ein «mutmasslicher Serienmörder».

Selbst dreissig Jahre nach der Romanze mit Unterweger findet Wagner noch positive Worte für ihn. «Hochintelligent» sei Jack gewesen. Mit «viel Einfühlungsvermögen». «Ich habe nie mehr in meinem Leben jemanden kennengelernt, der ihm irgendwie ähnelte», sagt sie 2023 zur «Kleinen Zeitung».

Verschiedene Medien vermuten, dass Wagner Hybristophilie hat. Auch Bonnie-and-Clyde-Syndrom genannt. Es ist eine psychische Krankheit, bei der sich Personen von Schwerverbrechern wie Mördern und Vergewaltigern angezogen fühlen.

Dazu bezieht Wagner 2019 in einer Youtube-Reportage von Y-Kollektiv sogar Stellung: «Das Extreme hat mich schon immer angezogen.» Aber da werde noch etwas anderes in ihr ausgelöst, wenn sie mit solchen Tätern konfrontiert ist. «Mitleid» würde es am ehesten treffen. «Schlussendlich sehe ich immer dieses hilflose Kind.»

Die Doku:

Die Beziehung zu Serienmörder Unterweger habe sie vor allem eines gelehrt, wie Wagner zur «Kleinen Zeitung» sagt: Niemanden zu verurteilen. «Es gibt nämlich immer Gründe, warum jemand ein Verbrechen begeht, wie etwa eine furchtbare Kindheit, psychische Ausnahmesituationen oder intensive Gefühlsströme.»

Die «Galerie des Grauens»

Die Romanze mit Unterweger prägte Wagner so sehr, dass sie sich nach seinem Tod kurzerhand gegen das einfache Leben einer «kleinen Juristin» entscheidet. Stattdessen macht sie das Anwaltspatent, zieht von Graz nach Wien und erarbeitet sich über Jahre einen Ruf als Strafverteidigerin von «öffentlichkeitswirksamen Kriminalfällen.»

Inzwischen haben schon viele Journalistinnen und Journalisten versucht, Wagner zu fassen, sie zu verstehen. Viele betraten dafür ihr Büro in ihrer Anwaltskanzlei. Und blieben wohl nicht selten erst einmal völlig schockiert in der Tür stehen.

Eine «Galerie des Grauens» nennt es «Profil». «Ein Best-of ihrer Karriere als Strafverteidigerin», beschreibt es die «NZZ». An den Wänden von Wagners Büro befinden sich überdimensionale Porträts von Josef Fritzl, Jack Unterweger, dem See-Killer Alfred Ulrich und der «Eislady» Estibaliz Carranza, die ihren Ehemann und anschliessend ihren Lebensgefährten ermordete, ihre Körper zerstückelte, in einer Tiefkühltruhe verstaute und anschliessend unterhalb ihres Eissalons in Wien mit Beton zuschüttete.

Sie alle waren oder sind noch immer Wagners Mandanten.

Dass Fritzls Porträt nun auch in dieser «Galerie des Grauens» hängt, freut Wagner. Es habe ihr schon lange gefallen. «Aber ich hatte keinen persönlichen Bezug zu ihm», sagt sie zur «NZZ».

Doch 2022 ändert sich das. Josef Fritzl sendet Wagner ein über 200-seitiges Manuskript zu. Eine Autobiografie. Er will, dass Wagner sie veröffentlicht. Dass er bei ihr mit dieser Bitte an der richtigen Adresse ist, hat er von seinem Mitinsassen, dem See-Killer vernommen.

Wagner liest das Manuskript, veröffentlicht es allerdings nicht. Stattdessen beginnt sie, Fritzl im Gefängnis zu besuchen und schreibt ein eigenes Buch: «Die Abgründe des Josef F.»

Die Abgründe des Josef F. - Buch von Astrid Wagner
Wagner lässt das Buch selbst drucken, weil sie nicht will, dass ein Verlag ihr Gewinn aus dem Verkauf abzwacken kann, wie sie gegenüber Medien sagt.Bild: pd

Es erscheint 2023 und beinhaltet Passagen aus Fritzls Manuskript. Etwa, als er beschreibt, wie ihm die Idee gekommen ist, seine Tochter einzusperren und zu missbrauchen: «wie ein kleines, verlorenes Blatt, das über den Asphalt der Strasse wirbelt, bevor es vom Wind davongetragen wird. Eine vage Idee, mit der ich spielte.» Seine Gräueltaten benennt Fritzl nicht, spricht stattdessen von einem «dunklen Geheimnis».

Schliesslich wird Wagner nicht nur Fritzls Biografin, sondern auch seine Strafverteidigerin.

Sie ist gern die Brillante, Empathische

Warum sie diese Fälle nicht ablehnt, wollte die «Kleine Zeitung» einmal von ihr wissen. Und Wagner antwortete: «Man hat sich seinen Ruf erarbeitet. Wenn die Kacke am Dampfen ist, wendet man sich an Anwälte, die sich in solchen Fällen besonders gut auskennen.» Es genüge nicht, die Paragrafen genau zu kennen. Denn:

«Man muss bei solchen Schwurgerichtsprozessen rhetorisch möglichst brillant sein und eine gewisse Empathie einbringen.»

Als empathische, brillante Frau, so stellt sich Wagner gerne dar. Und als eine, die für ihre Werte einsteht, den Mund aufmacht, klare Worte findet, dabei gerne auch provoziert.

Auf ihrem Instagram-Profil findet man sowohl ein Foto, auf dem sie mit nacktem Oberkörper am See posiert, als auch Selfies mit Kopftuch und der Bildunterschrift: «An die ‹Sittenwächter›: Tragt Euren bescheuerten Streit um die Deutungshoheit über ein Stück Stoff untereinander aus – und nicht auf den Köpfen von uns Frauen!» Ein Protest gegen das in Österreich 2020 heiss diskutierte Kopftuchverbot.

Dazwischen macht sich Wagner in zahlreichen Posts und Videos für mehr Tierschutz stark. Und seit neustem postet sie Videos von Pro-Palästina-Reden, die sie in der Wiener Innenstadt hält.

Wagner ist eine Frau, die gerne in der Öffentlichkeit steht und doch wenig über sich preisgibt. Die die Aufmerksamkeit geniesst. Die ihr Image als Mysterium gekonnt pflegt. Und die ganz besonders ihr «Anderssein» zelebriert. Auch wenn es bedeutet, dass sie dafür für die Freiheit von Serienmördern, Vergewaltigern und Kinder-folternden Müttern kämpfen muss.

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«Schwedens Josef Fritzl»
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«Schwedens Josef Fritzl»
Ein schwedischer Arzt hat eine Frau tagelang in einem bunkerartigen Verlies gefangen gehalten.
quelle: x02350 / tt news agency
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«Das Land wird von verurteiltem Straftäter geführt»
Video: srf
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74 Kommentare
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B. V. Harkonnen
25.01.2024 20:26registriert Oktober 2019
Ich verstehe ja, dass in einem Rechtsstaat jedem Verbrecher ein Rechtsbeistand zusteht aber diese Dame finde ich gelinde gesagt einfach nur abartig.
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Reiszeit
25.01.2024 20:23registriert November 2021
Bei allem Respekt, aber diese Frau ist schon ziemlich schräg.
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raues Endoplasmatisches Retikulum
25.01.2024 20:24registriert Juli 2017
Die Frage ist nicht, ob, sondern wie oft die gute Frau als Kind fallen gelassen worden ist.
Die Demos sind die Kirsche auf dem Rahm..
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