Der Rücktritt von Sebastian Kurz vom Amt des Bundeskanzlers hat den Weg für die Fortsetzung der Koalition aus konservativer ÖVP und Grünen in Österreich freigemacht. Die Grünen erklärten, das Bündnis mit dem designierten neuen Kanzler Alexander Schallenberg fortsetzen zu wollen. Er sei nicht in die aktuelle Korruptionsaffäre verwickelt, sagte die grüne Fraktionschefin Sigrid Maurer am Sonntag. Sie schloss im ORF zugleich aus, dass ÖVP-Chef Kurz in die Koalition zurückkehren könne. Der bisherige Aussenminister Schallenberg soll voraussichtlich am Montag das Amt des Regierungschefs übernehmen. Das sei eine «enorm herausfordernde Aufgabe», sagte der 52 Jahre alte Spitzendiplomat am Sonntag.
Der 52-Jährige Schallenberg ist seit Jahren in Spitzenfunktionen für die Aussenpolitik Österreichs mitverantwortlich. Der mehrsprachige, international erfahrene Diplomat vertritt in Fragen der Migration einen genauso harten Kurs wie Kurz.
Der unter Korruptionsverdacht stehende Kurz war am Samstagabend auch nach wachsendem innerparteilichem Druck zurückgetreten. Die Grünen ihrerseits hatten deutlich signalisiert, dass sie den 35-Jährigen bei dem am Dienstag im Parlament geplanten Misstrauensvotum zusammen mit der Opposition stürzen würden. Es wäre das zweite erfolgreiche Misstrauensvotum gegen Kurz seit der Ibiza-Affäre 2019 gewesen.
In einer siebenminütigen Rede betonte der Kanzler am Samstag erneut seine Unschuld. Er gebe sein Amt aber aus Verantwortung für das Land ab. Es drohe nach einem Ende der ÖVP-Grünen-Koalition das Chaos einer Vier-Parteien-Zusammenarbeit von Grünen, SPÖ, liberalen Neos und rechter FPÖ. Die mächtigen Länderchefs der ÖVP begrüssten den Schritt. Auch die Industrie zeigte sich zufrieden. Es sei wichtig, das Ansehen Österreichs in der Welt und das internationale Vertrauen in den Standort zu wahren, so die Industriellenvereinigung.
Kurz selbst wechselt vom Kanzleramt ins Parlament auf den Sitz des Fraktionschefs der ÖVP. Ausserdem bleibt er Parteivorsitzender. Die Opposition kritisierte diesen Schritt. Damit sei der 35-Jährige weiterhin eine äusserst einflussreiche politische Figur und das «System Kurz» bleibe erhalten, sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Die Chefin der liberalen Neos, Beate Meinl-Reisinger, meinte, dass Kurz alle Fäden in der Hand behalten werde.
Die Regierungskrise wurde durch Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ausgelöst. Enge Mitstreiter des Kanzlers stehen im Verdacht, wohlmeinende Berichterstattung in einem Medienunternehmen erkauft zu haben, um Kurz ab 2016 den Weg an die Parteispitze und in das Bundeskanzleramt zu ebnen. Auch Kurz wird als Beschuldigter geführt.
Die Grünen hatten in den vergangenen Tagen bereits mit Oppositionsparteien Gespräche über eine Mehrparteienregierung ohne ÖVP geführt - für den Fall, dass der Kanzler nicht zurücktritt.
Die Opposition will die neuen Korruptionsvorwürfe gegen Kurz in einem Untersuchungsausschuss aufarbeiten. Das kündigten Sprecher von SPÖ und FPÖ am Sonntag an. Ein Antrag dazu werde wohl schon bald im Parlament eingebracht. (sda/dpa)
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