Während die israelische Luftwaffe ihre massiven Bombardements gegen die islamistischen Hamas-Angreifer im Gazastreifen fortsetzt, verschärft sich die akute Versorgungsnot der Hunderttausenden in den Süden geflüchteten Palästinenser. Der ägyptische Grenzübergang Rafah als einziger Weg, dringend benötigte Hilfe in den von Israel abgeriegelten Küstenstreifen zu bringen, war am frühen Dienstag weiter geschlossen.
Derweil laufen die diplomatischen Bemühungen, einen Flächenbrand in Nahost zu verhindern, auf Hochtouren: Nach Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag reist am Tag darauf auch US-Präsident Joe Biden nach Israel. Gleichzeitig haben die USA Truppen des US-Militärs in Einsatzbereitschaft versetzt. Sie seien allerdings nicht für Kampfeinsätze vorgesehen, berichtete das «Wall Street Journal».
Das ist seit Montag passiert:
Das israelische Militär attackiere weiter die Infrastruktur der Hamas und suche aktiv nach den Verstecken ihrer Führungsleute, erklärte Armeesprecher Jonathan Conricus am frühen Dienstagmorgen. So wurde bei einem Luftangriff der Chef des Schura-Rats der Hamas, Osama Mazini, getötet, wie die Armee zuvor bekanntgab. Dieser sei für die Gefangenen der Hamas verantwortlich gewesen und habe terroristische Aktivitäten gegen Israel geleitet. Der Schura-Rat wählt das Politbüro der Hamas, das die oberste Entscheidungsinstanz der im Gazastreifen herrschenden Organisation ist. Derweil bereitet sich das israelische Militär weiter auf eine mögliche Bodenoffensive in Gaza vor.
Israel will nach eigenen Angaben die im Gazastreifen herrschende Hamas zerstören, die bei dem Terrorangriff auf Israel mehr als 1400 Menschen getötet hat. Zudem wurden laut Armee nach neuesten Angaben mindestens 199 Personen in den Gazastreifen verschleppt. Ein Sprecher des militärischen Arms der Hamas teilte dagegen mit, dass zwischen 200 und 250 Menschen entführt worden sein sollen. 200 davon seien unter der Kontrolle der Hamas, die restlichen Geiseln unter der Kontrolle von weiteren militanten Fraktionen. Die Zahl der getöteten Palästinenser stieg nach Angaben aus dem Gazastreifen auf 2750.
Angesichts der Not Hunderttausender Flüchtlinge im Süden des Küstenstreifens hoffen Helfer auf eine Öffnung des ägyptischen Grenzübergangs Rafah für humanitäre Lieferungen. Es wäre der einzige Weg, um Hilfe in den von Israel abgeriegelten Küstenstreifen zu bringen. Rund 2000 Tonnen Güter standen dafür nach Angaben des Ägyptischen Roten Halbmonds am Montag bereit. Etwa 150 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern seien von Al Arish auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel in Richtung des Grenzübergangs Rafah unterwegs, sagten Augenzeugen am frühen Dienstagmorgen der Deutschen Presse-Agentur.
Die Vereinten Nationen sind bereit, Hilfe über den Grenzübergang Rafah zu bringen. Auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel sei ein Flugzeug mit Hilfsgütern der Weltgesundheitsorganisation WHO angekommen, teilte das UN-Nothilfebüro Ocha am Montag mit. Das Welternährungsprogramm WFP plane derweil, 225'000 Menschen in 19 Unterkünften der Vereinten Nationen im Gazastreifen zu versorgen. Die EU plant eine Luftbrücke für Hilfsorganisationen im Gazastreifen. Die Flüge sollen noch diese Woche starten und beispielsweise Medikamente nach Ägypten bringen, teilte die EU-Kommission mit. Von dort könnten die Hilfsgüter weiter in den Gaza-Streifen transportiert werden.
Bundeskanzler Scholz wird an diesem Dienstag in Tel Aviv den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu treffen und mit Angehörigen von Geiseln der von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuften Hamas zusammenkommen. Scholz will sich über die Lage im Kriegsgebiet informieren, aber auch darüber sprechen, wie ein Flächenbrand in der Region verhindert werden kann. Am Abend reist er weiter nach Ägypten. Am Tag darauf trifft auch US-Präsident Biden in Israel mit Netanjahu zusammen. Noch am gleichen Tag reise er nach Jordanien weiter, um sich mit den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi und Jordaniens König Abdullah II. zu treffen, so die US-Regierung.
US-Medien zufolge haben die USA Truppen des US-Militärs in Einsatzbereitschaft versetzt. Etwa 2000 Soldatinnen und Soldaten bereiteten sich derzeit auf einen möglichen Einsatz zur Unterstützung Israels vor, berichtet unter anderem das «Wall Street Journal». Eine offizielle Bestätigung dafür gab es zunächst nicht. Den Berichten zufolge könnten die Soldatinnen und Soldaten etwa Aufgaben im logistischen oder medizinischen Bereich übernehmen. Sie seien nicht für Kampfeinsätze vorgesehen, berichtet das «Wall Street Journal».
Die betroffenen US-Militärangehörigen seien derzeit sowohl im Nahen Osten als auch ausserhalb – einschliesslich in Europa – stationiert. Nach Informationen von NBC News würden sie auch nicht unbedingt in Israel oder Gaza eingesetzt, sondern in den Nachbarländern, um Israel von dort aus im Kampf gegen die islamistische Hamas zu unterstützen. Der republikanische Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses, Michael McCaul, sagte dem Sender CNN, bei dem Vorgehen gehe es um Abschreckung und nicht um einen Kampfeinsatz.
Die Hamas hat unterdessen erstmals ein Video mit einer mutmasslichen Geisel veröffentlicht. In einem am Montag verbreiteten Video sieht man, wie einer jungen Frau eine Wunde am Arm verbunden wird, anschliessend spricht sie direkt in die Kamera. «Ich bin 21 Jahre alt und komme aus Schoham», sagt die Frau. Sie sei aktuell in Gaza und dort in einem Krankenhaus behandelt worden. Medienberichten zufolge soll es sich um eine Israelin handeln, die auch die französische Staatsangehörigkeit hat. Das israelische Militär teilte in der Nacht zum Dienstag mit, sie sei entführt worden. Die Armee sei in Kontakt mit der Familie. Man tue alles dafür, die Geiseln zurückzuholen.
Derweil erwidert das israelische Militär auch im Norden wiederholte Angriffe der pro-iranischen Hisbollah im Libanon. Die Armee attackiere gegenwärtig Posten der Schiiten-Miliz, teilte das israelische Militär am frühen Dienstagmorgen mit. Man reagiere auf die Hisbollah-Angriffe, jedoch ohne die Situation zu eskalieren, betonte Armeesprecher Conricus. Angesichts der wiederholten Angriffe der Hisbollah evakuierte Israel 28 Orte in bis zu zwei Kilometer Entfernung zum Grenzgebiet und verstärkte dort seine Truppen.
Der Iran bekräftigte angesichts des Kriegs zwischen Israel und der Hamas seine Drohungen gegen Israel. «Wenn die zionistischen Verbrechen nicht sofort aufhören, werden neue Fronten für sie eröffnet werden», sagte Irans Aussenminister Hussein Amirabdollahian am Montagabend im Staatsfernsehen. «Stoppen Sie die Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, bevor es zu spät ist», sagte Amirabdollahian. Der Aussenminister wies erneut eine direkte Verstrickung Irans zurück.
Der UN-Sicherheitsrat hat unterdessen eine brasilianische Resolution zur Deeskalation in Nahost auf Dienstag verschoben. Das mächtigste UN-Gremium soll um 18:00 Uhr New Yorker Zeit (Mitternacht MESZ) erneut zusammenkommen, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Diplomatenkreisen erfuhr. Zuvor hatten die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Staaten auf weitere Verhandlungen über den Text gepocht. Ein russischer Resolutionsentwurf für eine «humanitäre Feuerpause» und die Freilassung der israelischen Geiseln im Gazastreifen erhielt derweil vom Weltsicherheitsrat nicht die erforderliche Mehrheit.
Bundeskanzler Scholz wird in Tel Aviv den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu treffen und mit Angehörigen von Geiseln zusammenkommen. Der UN-Sicherheitrat will seine Beratungen zu Nahost weiter fortsetzen. Derweil besteht Hoffnung auf eine Öffnung des einzigen Grenzübergangs aus dem Gazastreifen zu Ägypten zur Versorgung der Hunderttausenden Flüchtlinge in Gaza. (sda/dpa)