Gross war der Jubel in Westeuropa, als die Bürgerplattform (PO) des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk vor knapp zwei Jahren die Wahl gewann. Für viele bewies Tusk in Polen, dass die Liberalen doch noch über die EU-skeptischen Populisten siegen können. Und das erst noch in Osteuropa, wo der Rechtsnationalismus wie sonst nirgendwo Fuss gefasst zu haben schien.
Gross ist folglich die Enttäuschung über die Niederlage von Tusks Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen vom Wochenende. Der Sieg des EU-skeptischen Nationalisten Karol Nawrocki sei ein herber Rückschlag für Europa, kommentierten viele Politiker im Westen.
Allein: Das Schicksal Europas wird nicht vom Ausgang einer einzelnen Wahl abhängen – weder in der einen noch der anderen Richtung. Zudem verdient gerade Osteuropa eine differenzierte Betrachtung. Diese Länder sind weit davon entfernt, ein einheitlicher Block zu sein. Es gibt viele gegenläufige Trends. Ein Überblick:
«In der Demokratie hört der Kampf nie auf», erklärte Donald Tusk noch am Montagabend und kündigte an, sich kommende Woche im Parlament der Vertrauensfrage zu stellen. Damit zeigt er: Von Aufgeben kann keine Rede sein. Schwierig wird es für ihn jedoch, die Justizreformen durchzubringen, die nötig sind, damit Polen an die 137 Milliarden Euro an blockierten EU-Geldern kommt.
Nachdem Tusk versprochen hatte, die von der PiS-Regierung jahrelang forcierte Politisierung der Justiz rückgängig zu machen, gewährte ihm Brüssel nicht nur einen Finanz-, sondern vor allem einen Vertrauensvorschuss. Dieser ist nun aufgebraucht. Wenig ändern dürfte sich dagegen an der pro-ukrainischen Ausrichtung Polens. Die Ablehnung gegenüber Russland ist vielleicht das Einzige, was die hochgradig polarisierte polnische Politik noch verbindet.
Die Haltung zu Russland unterscheidet Polen auch stark von Ungarn und seinem Premier Viktor Orbán, der demonstrativ die Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin sucht. Seit nunmehr 15 Jahren ist Orbán an der Macht und hat sich zum rechtspopulistischen Ideengeber weltweit mit besten Kontakten ins Weisse Haus aufgeschwungen. Doch die Ära könnte bald zu Ende sein.
Der politische Senkrechtstarter Peter Magyar liegt in Umfragen seit Monaten konstant vor Orbáns Fidesz-Partei. Im März lag der Vorsprung bei deutlichen neun Prozent und nächstes Jahr finden Parlamentswahlen statt. Magyar stützt seine Kampagne vor allem auf den Kampf gegen Günstlingswirtschaft und die Korruption. Tatsächlich leidet das Land unter heruntergewirtschafteten öffentlichen Diensten und Inflation, während Orbán eine Oligarchen-Clique um sich geschart hat.
Politisch ist der 44-Jährige ein relativ unbeschriebenes Blatt, kann aber am ehesten als moderat-konservativ beschrieben werden. Klar ist: Wie Tusk in Polen würde er als Erstes versuchen, das Verhältnis zu den europäischen Partnern zu reparieren.
Während in Ungarn vielleicht einer geht, dürfte in Tschechien bald einer zurückkommen: Der Milliardär und ehemalige Premierminister Andrej Babis. 2021 wurde er von der Koalition des konservativen Premiers Petr Fiala verdrängt. Aber Babis steht mit seiner Partei ANO bei rund 35 Prozent und gilt als Favorit für die Wahlen im Herbst.
Während er früher noch mit den Liberalen von Frankreichs Emmanuel Macron gemeinsame Sache machte, hat er sich im vergangenen Jahr radikalisiert und mit Orbán und der rechtsextremen FPÖ in Brüssel die EU-feindliche Gruppe «Patrioten für Europa» gegründet.
Babis gilt als astreiner Populist ohne feste politische Überzeugungen. Er hat angekündigt, als Erstes den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter seine Kontrolle bringen zu wollen. Unklar ist, wie es unter ihm mit der bislang tatkräftigen Unterstützung Tschechiens für die Ukraine weitergehen würde.
Seit Robert Fico 2018 im Nachgang zum Mord am Investigativjournalist Jan Kuciak zurücktreten musste, ging die Slowakei durch eine Phase wechselnder Regierungen. Seit 2023 ist Fico zum vierten Mal zurück an der Macht. Seine SMER-Partei gilt als linkslastig, aber international ist Fico klar im rechtspopulistischen Lager von Viktor Orbán und auf Anti-EU-Kurs.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski warf Fico öffentlich vor, von Russlands Wladimir Putin gekauft zu sein. Wie lange sich Fico diesmal im Amt halten kann, bleibt abzuwarten. Seit Anfang Jahr ist seine Koalition höchst instabil. Und im ganzen Land kommt es zu Protesten gegen Ficos pro-russischer Politik.
Zu etlichen Regierungswechseln kam es auch in Rumänien. In den letzten 15 Jahren hatte das Land 12 verschiedene Premierminister. Wahrscheinlich auch deswegen wählten viele Menschen bei der kürzlich abgehaltenen Präsidentenwahl den Systemsprenger und Rechtspopulisten George Simion. Im zweiten Wahlgang konnte sich aber überraschend der parteilose Bürgermeister von Bukarest Nicusor Dan durchsetzen. Er gilt als das, was viele Rechtspopulisten hassen: dezidiert pro-europäisch, weltgewandt, kompromissorientiert. Und im Unterschied zu Fico und Orbán will er auch die Ukraine-Hilfe fortsetzen.