Rund um den Globus ächzen beliebte Urlaubsregionen unter den Folgen des Tourismus. In Südtirol fordern Gemeinden eine Deckelung der Bettenzahl, auf den Kanarischen Inseln demonstrieren Einheimische gegen steigende Mieten, die durch den zunehmenden Anteil an Ferienwohnungen verursacht werden. In Athen muss die Akropolis regelmässig wegen Überfüllung schliessen. Der Massentourismus ist längst kein Randphänomen mehr. Er bringt soziale, ökologische und ökonomische Systeme an ihre Grenzen.
Laurent de Chorivit, Geschäftsführer der Reiseplattform Evaneos, beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. «Der internationale Tourismus ist in den letzten Jahren stark gewachsen», sagt er. Möglich gemacht hätten das hauptsächlich drei Entwicklungen: gestiegene Reisebudgets, ein deutlich vereinfachter Zugang durch digitale Buchungsplattformen und eine Infrastruktur, die heute fast jeden Ort der Welt erreichbar macht.
An sich sei das eine positive Entwicklung, so der Tourismus-Experte, «doch sie hat zur Folge, dass sich die Tourismusströme auf ganz wenige Orte konzentrieren.»
Eine interne Analyse von Evaneos und der Unternehmensberatung Roland Berger zeigt: 95 Prozent aller Touristen besuchen gerade einmal fünf Prozent aller Destinationen weltweit.
Besonders dramatisch sei die Situation in der Hauptreisezeit: In Ländern wie Italien, Frankreich oder Spanien entfallen bis zu 43 Prozent aller Anreisen auf die Sommermonate.
Moritz Lindner, Gründer des Luxusreiseportals Reisetopia, sieht hier ein strukturelles Problem. Zwar wurden laut ihm bereits erste Massnahmen wie eine Begrenzung der täglichen Anlandung von Kreuzfahrtschiffen oder der Anzahl organisierter Reisegruppen ergriffen. Doch eine schnelle, sozialverträgliche Lösung sei nicht in Sicht. Denkbar sei etwa, Touristen mit Restaurant- oder Museumsgutscheinen zu einem Besuch ausserhalb der Hochsaison zu bewegen. «So reduziert man zwar nicht die Gesamtzahl der Urlauber, allerdings schafft man eine bessere Verteilung», sagt Lindner im Interview mit dem Touristik-Branchenmagazin «fvw Traveltalk».
Neben Social Media sieht de Chorivit vor allem Billigflieger, Kreuzfahrten und Vermietungsplattformen wie Airbnb als zentrale Treiber des Übertourismus. Sie senken die Hürden für eine Reise massiv, aber fördern dabei eher impulsives, nicht nachhaltiges Verhalten. «Der Fokus liegt auf Schnelligkeit und Preis, nicht auf dem langfristigen Wert», erklärt er. Besonders problematisch seien Kreuzfahrtschiffe, die in kurzer Zeit Tausende Menschen an oft sensible Orte bringen – mit hohem ökologischem Fussabdruck und wenig wirtschaftlichem Nutzen für die lokale Bevölkerung.
Moritz Lindner ergänzt: «Das Phänomen des Übertourismus wird gemeinhin gerne mit Busreisen und Kreuzfahrten in Verbindung gebracht, weil bei beiden Modellen zu bestimmten Zeiten sehr viele Touristen gleichzeitig an einem Ort sind.» Die Auswirkungen seien besonders in Städten wie Venedig (Italien) oder Santorini (Griechenland) zwischen 9 und 18 Uhr sichtbar. Ausserhalb dieser Zeiten sei es oft deutlich entspannter. Allerdings, so Lindner, könne Übertourismus auch ohne Schiffe und Busse entstehen, etwa wenn das Verhältnis von Ferienunterkünften zur Einwohnerzahl extrem hoch ist.
In Südtirol steht Claudia Plaikner, Chefin des Heimatpflegeverbandes, neuen Infrastrukturen kritisch gegenüber. Moderne Strassen, Umgehungen und Bergbahnen machen Ziele so leicht erreichbar, dass sie überrannt werden. Wie zum Beispiel die Seceda, ein Berg in den Dolomiten. «Wäre sie nur zu Fuss oder mit Anstrengung erreichbar, würde sie niemals diese Besuchermassen anziehen», schrieb Plaikner zuletzt in einem offenen Brief. «Eintrittspreis für die Berge sollte die Anstrengung sein.»
Ähnlich sei es auch beim E-Bike-Tourismus: «Wenn ich bis weit ins Hochgebirge Forstwege anlege, brauche ich mich nicht zu wundern, wenn diese überlaufen sind», so Plaikner. Der Erfolg der Erschliessung touristischer Gebiete könne zum Problem für Natur, Anwohner und Gäste gleichermassen werden. Und das nicht nur in Südtirol.
Auch soziale Medien wie TikTok und Instagram spielen eine zentrale Rolle. Influencer stellen dort Fotos von Ferienorten ein, die dann in kürzester Zeit viral gehen, von den Buchten auf Mallorca bis zur Blauen Lagune auf Santorini. De Chorivit spricht von einer «gefährlichen Konzentration» auf wenige Orte: «Die Algorithmen pushen reichweitenstarke Destinationen. Das verstärkt die Reiseströme zusätzlich.»
Laut einer gemeinsamen Umfrage von Evaneos und dem Meinungsforschungsinstitut YouGov unterschätzen viele Reisende ihre Verantwortung und wissen oft nicht, welche sozialen und ökologischen Folgen ihr Verhalten vor Ort hat. Instagram fungiert in dieser bereits angespannten Lage gewissermassen als Brandbeschleuniger.
Für Laurent de Chorivit braucht es konkrete Massnahmen auf vielen Ebenen: von Besucherobergrenzen über Regulierungen bei Kreuzfahrten bis hin zu einem Umdenken in der Branche. Viele Destinationen gehen bereits voran. So etwa der französische Nationalpark Calanques, der den Zugang im Sommer limitiert, oder Hafenstädte, die die Zahl der Kreuzfahrtschiffe begrenzen.
Auch Evaneos selbst hat reagiert: Ab Sommer 2025 bietet das Unternehmen keine Sommerreisen mehr nach Mykonos oder Santorini an – obwohl diese beiden Inseln früher rund ein Drittel des Griechenland-Geschäfts ausmachten. Der Verzicht soll helfen, gemeinsam mit lokalen Partner:innen neue, nachhaltigere Reiseangebote zu schaffen.
Verwendete Quellen:
Ich habs genossen in einer etwas entschleunigter Welt zu sein.