Bleibt Emmanuel Macron für weitere fünf Jahre Hausherr im Elysée-Palast? Oder zwingt ihn Marine Le Pen zum Auszug? Am Sonntag entscheidet sich in der Stichwahl, wer Frankreich künftig regieren wird. Heute Abend kommt es zur ersten und einzigen Direktbegegnung im Wahlkampf zwischen dem liberalen Präsidenten und seiner rechtsradikalen Herausforderin.
Das grosse Fernsehduell beginnt um 21 Uhr und wird von TF1 sowie dem Nachrichtenkanal LCI übertragen. Für die Kandidierenden geht es in der zweistündigen Debatte um alles oder nichts. Sie müssen das französische Wahlvolk von sich überzeugen. Das ist angesichts der vor allem in der jüngeren Generation verbreiteten Politikverdrossenheit nicht ganz einfach.
Für viele Französinnen und Franzosen ist Macron oder Le Pen eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Beide wissen, was auf dem Spiel steht. Sie haben am Dienstag keine Wahlkampftermine absolviert und sich auf die Fernsehdebatte vorbereitet.
Der grössere Druck lastet auf der Chefin des rechtsextremen Rassemblement National (RN). Sie dürfte erheblich besser abschneiden als 2017, als sie in der Stichwahl gegen Macron mit 34 zu 66 Prozent klar unterlag. Doch auch jetzt liegt Le Pen in den Umfragen hinter dem Amtsinhaber. Und sie wird von ihrem damaligen Debattenauftritt «verfolgt».
Im Fernsehduell vor fünf Jahren zeigte sie eine desaströse Leistung. Sie war übermüdet und schlecht vorbereitet. Macron konnte sich damit begnügen, ihre überdrehten Angriffe zu parieren. Le Pen begründete den kläglichen Auftritt später mit einem Augenleiden, was verdächtig nach Ausrede klang. Dieses Mal will sie es besser machen.
Beobachter erwarten, dass Marine Le Pen getreu ihrem «weichgespülten» Image weniger aggressiv auftreten und dennoch versuchen wird, den Leistungsausweis ihres Kontrahenten zu attackieren. Im Wahlkampf setzt die 53-Jährige auf das Thema Kaufkraft und verspricht Zulagen und Steuererleichterungen. Kritiker fragen sich, wie sie das bezahlen will.
Der 44-jährige Präsident geht als Favorit in die Stichwahl. Doch er weiss auch, dass er härter kämpfen muss als vor fünf Jahren. Er nehme die Fernsehdebatte «sehr ernst», sagte Macron in einem Interview. Vor der ersten Runde am 10. April hatte er kaum Wahlkampf betrieben. Jetzt tritt er umso intensiver auf und warnt vor dem Sieg seiner Kontrahentin.
Dabei erinnert er an den «Schock» von 2016 mit dem Brexit und dem Wahlsieg von Donald Trump. «Wenn ihr das Undenkbare verhindern wollt, dann geht zur Wahl», sagte Macron. Man könne Marine Le Pen den Imagewandel nicht abnehmen. Ihr Parteiprogramm sei nach wie vor rechtsextrem und europafeindlich. Ihr Wahlsieg würde nur Wladimir Putin freuen.
Allerdings muss Emmanuel Macron selber gegen ein negatives Image ankämpfen. Er ist bei vielen Französinnen und Franzosen regelrecht verhasst. Sie betrachten ihn als arrogant und asozial, als «Präsident der Reichen». Weshalb er vor allem um die Stimmen der Linken wirbt. So will er seine Rentenreform abschwächen und einen «Klima-Regierungschef» ernennen.
Der 70-jährige Linksaussen-Politiker ist in der TV-Debatte der «Elefant» im Raum. Er hatte den Einzug in die Stichwahl knapp verpasst. Nach der ersten Runde forderte Mélenchon seine Wählerschaft auf, Marine Le Pen «keine einzige Stimme» zu geben. Eine Empfehlung für Macron jedoch vermied er. Nun hoffen beide auf Unterstützung durch seine Klientel.
In einer internen Umfrage bekundeten zwei Drittel von Mélenchons Basis, sie wollten an der Stichwahl gar nicht teilnehmen oder einen leeren Zettel einlegen. Ein Drittel sprach sich für Macron aus. Nach Le Pen wurde gar nicht gefragt. Laut einer aktuellen Ipsos-Umfrage wollen 36 Prozent der Mélenchon-Anhänger Macron wählen und 19 Prozent Le Pen.
Jean-Luc Mélenchon selbst rief die Franzosen am Dienstag in einem Interview mit BFMTV auf, ihn bei der Parlamentswahl im Juni «zum Premierminister zu wählen». Er setzt auf Bündnisse mit anderen linken Parteien. Allerdings fragt man sich, wie eine «Cohabitation» mit einem Präsidenten Macron und vor allem einer Präsidentin Le Pen funktionieren soll.
Seit dem 10. April konnte Emmanuel Macron den Vorsprung auf Marine Le Pen leicht ausbauen. In der am Mittwoch veröffentlichten Ipsos-Umfrage, die unter anderem im Auftrag der Zeitung «Le Monde» unter mehr als 12’000 Personen durchgeführt wurde, sprachen sich 56 Prozent für den Amtsinhaber und 44 Prozent für seine Herausforderin aus.
In der Querschnittumfrage der Website «Politico», die auf diversen Erhebungen basiert, kommt Macron auf 54 und Le Pen auf 46 Prozent. Die gleichen Werte ergibt das auf angelsächsischen Vorbildern basierende Prognosemodell des «Economist». Das Wirtschaftsmagazin gibt dem Präsidenten eine Chance von 89 Prozent auf den Wahlsieg.