Die Geschichte der Skinwalker-Ranch klingt wie der Plot für eine klischeebeladene Science-Fiction-Fernsehserie. Wohl die meisten Menschen würden nie glauben, dass sie wahr sein könnte.
Was ist wahr? Wer hat seine Finger im Spiel? Und mit welchen Interessen? Der freie Journalist Christoph Kummer ist der Geschichte um die Skinwalker-Ranch und die UFO-Forschung des Pentagons für watson auf den Grund gegangen. Teil 2 der Sommerserie.
Es war Ende der 90er-Jahre und die Forschungsgruppe NIDS suchte auf der Skinwalker-Ranch in Utah nach den Ursachen für die seltsamen Phänomene. Die Organisation berichtete mittlerweile von rund 100 grossen und mehreren hundert kleiner Zwischenfälle, die sich auf dem Grundstück ereignet haben sollen. Die Forscher sahen Ufos und seltsame Kreaturen und verzeichneten Angriffe auf die Rinderherden.
NIDS-Studienleiter Colm Kelleher blieb vor allem ein Vorfall vom März 1997 in Erinnerung. «Wir fanden eines der Kälber tot und völlig ausgeweidet vor», erzählte der Mikrobiologe im Podcast «Binnall of America». «Der Brustkasten war geöffnet und alle Organe entnommen worden. Man sah deutlich, dass das kein Raubtierriss war – man sah Schnitte von scharfen Gegenständen.»
Das Kalb, oder was davon übrig blieb, lag auf dem Rücken und seine Beine waren symmetrisch von sich gestreckt, wie Videoaufnahmen von NIDS, die im 2018 erschienenen Dokumentarfilm «Hunt for the Skinwalker» enthalten sind, zeigen. «Es hatte beinahe etwas Rituelles, wie die Leiche drapiert worden war», sagte Kelleher. Die Knochen des Brustkorbs stachen in die Höhe, am Kopf fehlten die Augen und ein Ohr.
«Was uns besonders schockierte, war erstens, dass wir keinen Tropfen Blut an der Leiche oder auf dem Boden fanden, obwohl man dort literweise Blut hätte finden sollen. Zweitens sahen wir keine Fussspuren rund um das Tier und auch nicht in der Umgebung, weder von einem anderen Tier noch von einem Menschen. Drittens geschah das Ganze, während wenige hundert Meter entfernt Leute arbeiteten, und diese Leute hatten rund eine Stunde zuvor das Kalb gesund gesehen. Die hätten etwas mitbekommen müssen.»
Kelleher und sein Team standen vor einem grossen Rätsel. «Das Kalb muss irgendwo ausgeweidet und danach zurück auf die Wiese gebracht worden sein.» Wie das geschehen sein soll, weiss Kelleher nicht. «Es war eine Machtdemonstration. Was auch immer das getan hat, besitzt nicht nur eine ungeheure Kraft, sondern auch viel Geschick und Wissen.» Die NIDS schrieb einen Analyse-Bericht, der mehrere Fotos des Kalbs enthält.
Statistikerin Jessica Utts, welche an den Sitzungen des wissenschaftlichen Beirats über die Zwischenfälle erfuhr, ist auch heute noch fasziniert von den Geschichten über die Ranch. «Ich denke, dass die Ereignisse so passiert sind, wie sie von den Forschern vor Ort beschrieben wurden», sagte sie gegenüber watson.
Sie erklärt: «NIDS war eine wissenschaftliche Organisation, es wurde wirklich versucht, naheliegende Erklärungen für die Erscheinungen zu finden. Die Forschung war eher qualitativer Natur und unterschied sich insofern von Utts früheren Arbeit in der Parapsychologie, als dass sie nicht in einem Labor stattfand und quantifiziert werden konnte. «Doch beide Studien zeigten mir, dass es noch ungeklärte Phänomene gibt und wir Raum und Zeit noch nicht vollständig entschlüsselt haben.»
Ein anderes Mitglied im Beirat war Warren Burggren, ein Biologe, der an der University of North Texas forscht und lehrt. Er sagte im Interview mit watson, dass er vor seinem NIDS-Engagement keinen Bezug zur Parapsychologie und ähnlichen Grenzgebieten gehabt habe. Er habe die Ranch einmal besucht.
Während den zwei Tagen, die er dort verbracht habe, sei aber nichts Aussergewöhnliches geschehen. Doch er habe Videos von Anomalien gesehen. «Ich kann heute nicht mehr sagen, ob es Aufnahmen von UFOs gab. Ich erinnere mich nur, dass in einem der Videos die Rinderherde zu sehen war, die sich seltsam verhielt. Es wirkte so, als würde ein unsichtbares Wesen durch die Herde rennen und die Tiere aufscheuchen.»
Doch plötzlich stoppten die Phänomene. Wie Astrophysiker Eric Davis 2018 gegenüber der US-Radioshow Coast to Coast AM erzählte, geschah zwischen 2001 und 2002 sehr wenig auf der Ranch, was Bigelow dazu veranlasste, NIDS anderweitig zu beschäftigen. So jagten die Forscher in anderen Teilen Utahs sowie angrenzenden Bundesstaaten UFO-Erscheinungen, Bigfoot-Sichtungen und anderen scheinbar unerklärlichen Ereignissen hinterher.
Einer, der die letzten Monate von NIDS miterlebte, war Bruce Cornet, ein langjähriger UFO-Forscher aus dem Osten der USA. «Colm Kelleher rief mich im November 2003 an und fragte mich, ob ich Interesse hätte, für NIDS zu arbeiten», sagt Cornet im Interview mit watson. «Ich sollte Kelleher ersetzen, da dieser Vollzeit ins Mutterunternehmen Bigelow Aerospace wechselte.» Gemäss Cornet wollte Robert Bigelow kein Geld mehr für die Untersuchungen auf der Ranch ausgeben. «NIDS wurde zur UFO-Meldestelle degradiert, und nach wenigen Monaten war endgültig Schluss.»
NIDS hatte in den knapp zehn Jahren keine echten Beweise für eine unbekannte oder ausserirdische Intelligenz gesammelt, zumindest nicht solche, die wissenschaftlichen Standards genügten. So hatte NIDS angeblich Fotos und Videos von UFOs und anderen optischen Anomalien, zudem pathologische Berichte zu getöteten Tieren. Auf der archivierten Website von NIDS sind Analysen und Berichte einsehbar Weiter fanden sie Auffälligkeiten im Magnetfeld. «Die Ranch befand sich in einem sehr niedrig-frequenten Magnetfeld. Wenn Phänomene geschahen, registrierten wir oft heftige Ausschläge», sagte Colm Kelleher.
«Ausser einiger interessanter Daten, Videos und anderen Aufzeichnungen standen wir am Ende mit leeren Händen da. Wir kamen nie über die Phase des Datensammelns hinaus, wir kamen nie dazu, Hypothesen zu testen», musste auch Kelleher feststellen. «Das Phänomen war sehr gut darin, uns zu entfliehen». So seien auch immer wieder Kameraanlagen sabotiert oder zerstört worden, und «technische Geräte fielen ohne ersichtlichen Grund aus». Zudem sei das Phänomen so facettenreich und anpassungsfähig, dass die Grundvoraussetzung für wissenschaftliche Untersuchungen – nämlich die Wiederholbarkeit – nicht gegeben gewesen sei.
NIDS-Kollege Eric Davis sagte in einem Video-Interview gegenüber dem Journalisten George Knapp, dass die Skinwalker-Ranch wie ein «Test für die Wissenschaft» gewesen sei. «Forscher aus verschiedenen Disziplinen kamen zusammen und versuchten, dieses Problem zu lösen. Doch wir konnten es nicht. Solche Phänomene sind nicht zugänglich für uns, die Methoden der Wissenschaft sind nicht flexibel genug.»
Warren Burggren von der Aufsichtsgruppe zeigte sich allgemein skeptisch gegenüber Berichten von angeblich paranormalen Ereignissen. «Ich denke, dass 99,5 Prozent aller Geister-, UFO- oder ähnlicher Sichtungen logisch erklärt werden können, aber es bleibt ein Restposten übrig, der unerklärlich bleibt. Ich glaube, dass es auf der Skinwalker-Ranch echte Anomalien gab, aber wir konnten keine überzeugenden Daten sammeln.»
Es sei ein «grossartiges Experiment» gewesen mit zahlreichen wirklich guten Wissenschaftlern. «Es war ein Versuch, wahre Wissenschaft anzuwenden, um das Problem des Paranormalen zu lösen.» Heute habe er nichts mehr mit grenzwissenschaftlicher Forschung zu tun, aber er interessiere sich nach wie vor für Raumfahrtthemen und der Suche nach ausserirdischer Intelligenz.
Und so blieb es bei Spekulationen, was die Ursache der Erscheinungen auf der Skinwalker-Ranch betraf. Was der Geldgeber Bigelow selbst dachte, ist unklar. Ein Interview, das er 2017 im US-Fernsehen gab, gibt aber gute Hinweise.
«Ich bin absolut überzeugt, dass es Ausserirdische gibt», sagte er gegenüber der US-Reporterin Lara Logan. «Es gab schon immer eine Präsenz – eine ausserirdische Präsenz. Und ich habe Abermillionen für das Thema ausgegeben. Wahrscheinlich mehr als irgendjemand sonst in den USA», erklärte er. Er verriet keine Details, meinte aber geheimnisvoll, dass man nicht in den Weltraum reisen müsse, um Ausserirdische zu finden. «Die Aliens sind direkt vor unserer Nase», sagte er. Ein Verweis auf die Skinwalker-Ranch?
NIDS-Mitglied John Alexander bezeichnet das Phänomen als «präkognitives, fühlendes Phänomen». «Was immer es ist, es scheint zu wissen, wie der Forscher auf die Erscheinungen reagieren wird und passt sich entsprechend an», sagte er 2013 in einem unveröffentlichten Audio-Interview, das die UFO-Forschungsgruppe Aerial Phenomena Investigations watson zur Verfügung stellte.
Kelleher war in Interviews stets zurückhaltend mit Aussagen über den Ursprung der Phänomene. «Aus unseren Daten ergab sich keine klare Tendenz. Spekuliert wurde viel. Kommen diese Erscheinungen durch eine Art Wurmloch oder fremde Dimensionen? Haben wir es mit extrem fortgeschrittenen, militärischen Technologien zu tun? Ist der Verursacher eine ausserirdische Präsenz oder eine auf der Erde ansässige fremde Intelligenz, die wir bislang noch nicht entdeckt haben? Wir wissen es schlicht nicht», so Kelleher.
Am Ende hatte NIDS mehr Fragen als Antworten. Der Fall blieb ungelöst, und Bigelow entschied, das Projekt bis auf weiteres auf Eis zu legen. Er wollte nun herausfinden, ob andernorts in den USA oder in der Welt Vergleichbares geschah und ob es sich lohnen würde, seine Forschung dorthin zu verlegen.
Also lud er den Journalisten George Knapp, der für den Sender KLAS-TV in Las Vegas, arbeitet, auf die Ranch ein. Zusammen mit Colm Kelleher schrieb Knapp schliesslich ein Buch über die Ereignisse. Es erschien 2005 und ist seit diesem Jahr auch auf Deutsch erhältlich.
«Hunt for the Skinwalker» ist das Standardwerk über NIDS und die Sherman-Ranch und stösst bis heute auf grosse Resonanz – sowohl bei UFO-Interessierten, die den Skinwalker-Fall aufgrund der vielen involvierten Wissenschaftlern als eines der glaubwürdigsten UFO-Ereignisse betrachten, als auch bei Skeptikern, die das Ganze als Paradebeispiel für pseudowissenschaftliche Studien abtun. Sie kritisieren zurecht, dass trotz zahlreicher angeblicher Sichtungen auf der Ranch bis heute keine Beweise veröffentlicht wurden, die eine unabhängige Untersuchung erlauben würden.
Die Hoffnung von Bigelow, durch das Buch auf ähnliche Orte zu stossen, erfüllte sich jedoch nur teilweise. Es gibt zwar zahlreiche Gebiete auf der Welt, aus denen Vergleichbares gemeldet wird – etwa das Hessdalen-Tal in Norwegen, doch in Sachen Frequenz und Bandbreite der Phänomene scheint nichts an die Skinwalker-Ranch heranzureichen. Und dort froren die Aktivitäten ein, zumindest vorübergehend.
«Es schien, als müsste jemand auf der Ranch sein, damit überhaupt etwas Ungewöhnliches geschah» sagt Bruce Cornet. «Ich glaube, diese Meinung war Konsens bei NIDS. Viele glaubten auch, dass es eine Wechselwirkung gab zwischen den Interessen und Absichten der Menschen auf der Ranch und dem Auftreten der Phänomene.»
Das National Institute for Discovery Science war zu Ende, doch nur wenige Jahre später wurde es reanimiert – unter neuem Namen. Und statt Bigelow zahlte nun das Pentagon die Rechnungen.