Darum darf es keine falsche Toleranz gegenüber Russland und anderen Unrechtsstaaten geben
Roger Köppel warnt nicht zufällig vor ihr: Sie sei eine «ganz gefährliche» Autorin, die nur schwarz-weiss schreibe, eine «Kreuzzüglerin der Moderne». Er meint die US-Historikerin und Journalistin Anne Applebaum, die soeben den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hat.
In ihrem neuen Buch «Die Achse der Autokraten» (siehe Quellen) warnt sie ihrerseits vor den Netzwerken der neuen Diktatoren und ihren Verstehern, also auch vor den Köppels dieser Welt.
Die Ausgangslage
Anders als im Kalten Krieg gibt es keine starren Blöcke mehr
Moderne Autokratien, so Applebaum, würden nicht von einem einzigen Bösewicht beherrscht, vielmehr «von raffinierten Netzwerken mit kleptokratischen Strukturen, einem komplexen Sicherheitsapparat aus Armee, Paramilitärs und Polizei sowie technischen Experten, die für Überwachung, Propaganda und Desinformation zuständig sind».
Wie gerade jetzt wieder am Gipfeltreffen der Brics-Staaten zelebriert, vernetzen sich die Diktaturen untereinander, um auf eine neue Weltordnung hinzuwirken. Doch es gibt keine starren Blöcke mit klaren Fronten mehr wie im Kalten Krieg.
Die Autokratien kooperieren wie gierige Unternehmen
Zwischen dem Kommunismus in der mächtigsten Autokratie China, dem imperialistischen Nationalismus Russlands, dem bolivarischen Sozialismus Venezuelas oder der Theokratie im Iran gibt es erhebliche Differenzen. Die Diktaturen begegnen einander laut Applebaum wie eine «Kooperation von Unternehmen», denen es darum gehe, ihre Machtposition zu erhalten und sich skrupellos zu bereichern.
Den meisten Autokraten sei es inzwischen «gleichgültig, ob ihre Länder kritisiert werden». Die chinesische Regierung brüstet sich mit der Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong und den Massenverhaftungen muslimischer Uiguren. Das Regime von Simbabwe schikaniert bei den Scheinwahlen Oppositionspolitiker in aller Öffentlichkeit. Die Militärregierung von Myanmar lässt demonstrativ Hunderte Demonstranten in den Strassen von Rangun niedermetzeln.
Ein Schurkenregime kann noch so blutig herrschen, sie können sich dennoch auf die Unterstützung durch andere Schurkenstaaten verlassen. So helfen China und Russland der international sanktionierten und selbst in Belarus verhassten Regierung von Diktator Lukaschenko. Im Gegenzug dürfen die Russen Truppen und Waffen in dem Land stationieren. In seinem Krieg in der Ukraine können Putins Truppen auch Soldaten aus Nordkorea und iranische Drohnen einsetzen.
Warum der Ukraine-Krieg entscheidend ist
Russland – ein Mix aus Kleptokratie, Mafiastaat und Diktatur
Für Applebaum ist der russische Krieg in der Ukraine «die erste militärische Schlacht im Konflikt zwischen der Achse der Autokraten und der demokratischen Welt». Russland habe die Kombination von Kleptokratie, Mafiastaat und Diktatur perfektioniert.
Die modernen Autokraten wollen ihren Bürgern nicht mehr weismachen, sie würden in der besten aller Gesellschaften leben. Stattdessen bringen sie ihnen bei, «eine zynische und passive Haltung einzunehmen, weil es keine bessere Welt gebe, die es aufzubauen lohnt. Sie wollen, dass die Menschen den Rückzug ins Private antreten, sich von der Politik fernhalten und jede Hoffnung auf eine demokratische Alternative fahren lassen.»
Wie Geldwäsche gibt es auch Informationswaschanlagen
Putin stellt Russland bevorzugt als führende Nation innerhalb eines Bündnisses starker, traditionsbewusster Staaten gegen schwache, chaotische westliche Demokratien dar. China und Russland haben längst ausgeklügelte Informationswaschanlagen aufgebaut mit dem Zweck, von Russia Today oder Xinhua produziertes Propagandamaterial möglichst weltweit zu streuen.
Applebaum erwähnt als drastisches Beispiel, wie am 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Überfalls, das russische Verteidigungs- und Aussenministerium die Lügengeschichte verbreitete, in der Ukraine hätten mit US-Mitteln finanzierte biologische Labors Experimente mit Fledermausviren durchgeführt.
Das Märchen verbreitete sich nicht nur in Russland oder China. Auch Fox News brachte die Story, als handle es sich um seriöse News, und Tucker Carlson forderte die Biden-Regierung auf: «Hört auf zu lügen und sagt uns, was da los ist.» Laut einer Umfrage hielt am Schluss ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung die Propagandastory für wahr.
Der verunsicherte Westen
Fake-News-Kampagnen sollen bestehende Gräben vertiefen
Anne Applebaum zeichnet, obwohl ihr Buch allen Optimisten gewidmet ist, ein düsteres Bild der Machenschaften moderner Autokratien. Sie unterstützen sich in Propagandafeldzügen gegen die USA und Westeuropa. Die Fake-News-Kampagnen zielen darauf, bestehende Gräben zu vertiefen und die Wut anzuheizen.
Die Schurkenregimes helfen einander, westliche Wirtschaftssanktionen zu unterlaufen, zetteln islamistische Aufstände und andere Unruhen an. Sie greifen sich auch im Drogenhandel unter die Arme und bauen ihre Macht auf dem internationalen Immobilienmarkt oder beim Goldschmuggel aus. Applebaum schreibt:
Die Diktaturen könnten dabei auf die «Doppelmoral» in westlichen Demokratien vertrauen, auf windige Politiker und Unternehmer, die zu Hause freiheitliche Werte predigen, aber im Ausland beim Aufbau unfreiheitlicher Systeme mitwirken. Das betrifft Helferdienste im Finanz-, Immobilien- oder Propagandabereich.
Es gibt zudem in den USA und in Europa erschreckend viele Sprachrohre und Fürsprecher für russische Einflusskampagnen und chinesische Wirtschaftsinteressen. Würde Trump wiedergewählt, könnte die Achse der Autokraten einen wichtigen neuen Partner dazugewinnen. Die Allianz der realen Demokratien stünde dann stark geschwächt da.
Was wir tun sollten
Heilsamer Weckruf, der vor falscher Toleranz warnt
Die Autorin plädiert dafür, einen «Kampf gegen autokratische Verhaltensweisen, wo auch immer sie in Erscheinung treten, ob in Russland, China, Europa oder in den Vereinigten Staaten», zu führen.
Dafür müssten wir aber das heute oft legale Treiben der westlichen Mittelsmänner konsequenter unterbinden, egal ob es sich um Anwälte, Banker, Unternehmer oder Immobilienmakler handelt.
Applebaum beschliesst ihr Buch mit dem emphatischen Ausruf: «Demokraten, vereinigt euch!» Mehr denn je müssten sich offene und freie Gesellschaften verteidigen und schützen, auch vor jenen, die von demokratischen Zuständen profitieren und dennoch für Schurkenstaaten eintreten oder lobbyieren.
Wir brauchen manchmal ein Buch als Weckruf, das uns aus unserem lethargischen Weltverständnis reisst und in den Senkel stellt. In unserer falschen Toleranz glauben wir zu gerne, dass Diktaturen wie China, Russland, Saudi-Arabien oder Iran uns schon leben lassen, wenn wir auch sie leben lassen.
Aber Anne Applebaum zeigt faktenreich und in bewundernswerter Klarheit auf, wie die mächtigen Autokratien unsere Freiheit und Demokratie systematisch zu zerstören versuchen. Darum kann man ihrem Buch nicht genug Leserinnen und Leser wünschen.
Zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse 2024 ist sie im Oktober mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. «In einer Zeit, in der die demokratischen Errungenschaften und Werte zunehmend karikiert und attackiert werden, wird ihr Werk zu einem eminent wichtigen Beitrag für die Bewahrung von Demokratie und Frieden», heisst es in der Urkunde, die Applebaum entgegennahm.
Die Verleihung des Friedenspreises sei vielleicht ein guter Moment, um darauf hinzuweisen, dass der Ruf nach Frieden nicht immer ein moralisches Argument sei, so die Historikerin. «Es ist auch ein guter Moment, um zu betonen, dass die Lektion der deutschen Geschichte nicht sein kann, dass die Deutschen Pazifisten sein müssen. Im Gegenteil: Seit fast einem Jahrhundert wissen wir, dass der Ruf nach Pazifismus angesichts einer aggressiven Diktatur oft nichts anderes ist als Appeasement und Hinnahme dieser Diktatur.»
(sda)
Quellen
- Anne Applebaum: Die Achse der Autokraten. Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten. (Sachbuch. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Siedler, 203 Seiten).
- wikipedia.org: Anne Applebaum
(aargauerzeitung.ch)