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Ukraine zur Lage in Soledar: «Situation absolut unter Kontrolle»

Wie es tatsächlich um Soledar steht – das sagen ukrainische Streitkräfte vor Ort

Gestern Nacht verkündete die Wagner-Gruppe die Einnahme der umkämpften Stadt Soledar. Während sich sogar der Kreml mit einer Bestätigung zurückhält, finden ukrainische Streitkräfte klare Worte zur aktuellen Lage.
11.01.2023, 16:5412.01.2023, 12:20
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Das sagt die Wagner-Gruppe

Schon seit Monaten wurde um sie gekämpft, gestern soll sie gefallen sein: Die Wagner-Gruppe gab gestern bekannt, die Kontrolle über die ostukrainische Stadt Soledar gewonnen zu haben.

Im Telegram-Kanal Grey Zone, die mit der Wagner-Gruppe in Verbindung steht, wird Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin zitiert:

«Die PMC-Einheiten von Wagner haben die Kontrolle über das gesamte Gebiet von Soledar übernommen. Im Zentrum der Stadt hat sich ein Hexenkessel gebildet, in dem sich die Stadtkämpfe abspielen.»

Die Zahl der Gefangenen würden am folgenden Tag bekannt gegeben, so Prigoschin weiter.

Viele ukrainische Soldaten versuchten zu flüchten, heisst es in einem Tweet eines prorussischen Kanals, der dies mit einem Video zu beweisen versucht. Eine Flucht sei aber unmöglich, da das gesamte Gelände von Wagner-Drohnen beobachtet werde. Die Falle habe zugeschnappt, heisst es im Tweet weiter:

Schon gestern war in Telegramkanälen von einem Massenexodus ukrainischer Streitkräfte die Rede. Mit diesen Berichten ist Prigoschin allerdings nicht einverstanden. Er geht sogar so weit, die ukrainischen Streitkräfte zu verteidigen – und zu loben:

«Lassen Sie uns ehrlich zueinander sein. Das ist nicht wahr. Die ukrainische Armee kämpft tapfer für Bachmut und Soledar. In den westlichen Aussenbezirken von Soledar finden schwere, blutige Kämpfe statt. Die ukrainischen Streitkräfte verteidigen das Gebiet von Soledar mit Ehre. Daher ist die Information über ihre massenhafte Desertion unwahr.»

Dann betont er, dass es ganz alleine die Wagner-Gruppe gewesen sei, welche die ehrenhaften ukrainischen Streitkräfte in Soledar besiegt habe:

«Ich möchte noch einmal betonen, dass keine anderen Einheiten, als die der Wagner-Gruppe an der Erstürmung von Soledar beteiligt waren.»

Prigoschin soll sogar eigens nach Soledar gereist sein. In Videos und auf Fotos, die auf Telegram geteilt wurden, ist er mit einer Einheit in den Salzminen unter dem Boden Soledars zu sehen.

Das sagt der Kreml

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wollte die Aussagen der Wagner-Gruppe am Mittwoch nicht bestätigen. Wenn, dann wurden sie eher noch widerlegt. Das russische Verteidigungsministerium teilte am Mittwoch nämlich Folgendes mit:

«Luftlandeeinheiten haben Soledar von den nördlichen und südlichen Stadtteilen her blockiert.»

Während diese Aussage nicht nur Zweifel an der russischen Übernahme Soledars aufwirft, scheint sie auch Prigoschins Behauptung zu widerlegen, dass die Wagner-Gruppe die einzige Einheit vor Ort gewesen sei.

Der Kreml sprach zudem nicht von einer Übernahme der Stadt, sondern lediglich von einer «positiven Dynamik»:

«Dort gibt es eine positive Dynamik beim Vorankommen, aber der militärische Erfolg ist dann erreicht, wenn wir die Ziele, die der Oberkommandierende gestellt hat, im Lauf der militärischen Spezialoperation erreichen.»

Er räumte aber ein, dass die Kämpfe um Soledar und Bachmut heftig seien und auf beiden Seiten hohe Opfer forderten.

Das sagen ukrainische Truppen

Die Intensität des Kampfes um Soledar ist wohl der einzige Punkt, in dem sich die Russen und die Ukrainer einig sind. Ja, es sei die Hölle, bestätigt der ukrainische stellvertretende Kommandant einer taktischen Luftaufklärungsgruppe, Robert Magyar, in seinem Telegramkanal. Da enden die Gemeinsamkeiten in der Darstellung der Geschehnisse aber auch schon.

Die Einkesselung sei «Bullshit», aber die Lage in Soledar sei völlig unter Kontrolle, so Magyar. In einem Video vom Mittwochmorgen um 10 Uhr beschwichtigt er:

«Ich kann euch versichern, dass die Situation absolut unter Kontrolle ist. Die Lage für die Russen hat sich seit letzter Nacht nicht verbessert. Alle Linien werden gehalten und befinden sich unter der zuverlässigen Kontrolle der ukrainischen Streitkräfte.»

Von Zeit zu Zeit gebe es Kämpfe und die Artillerie sei auf beiden Seiten aktiv. Seine «Vögel», die Drohnen, würden ihren Job machen.

Nach einem kurzen Abschweifen – die Bewohner Soledars und Bachmuts würden literweise Tomatensaft lagern, der sehr lecker sei – wird er wieder ernst und zeigt den Bildschirm, welcher die Drohnenaufnahmen überträgt. Dabei entdecken sie eine Gruppe von 13 Russen, welche im Randgebiet Soledars durchs Gelände marschieren. Und siehe da: Es handelt sich dabei um dieselben Aufnahmen, die vom russischen Twitteraccount geteilt wurden, der noch von flüchtenden Ukrainern in der Falle sprach.

Magyar nimmt die Drohnenaufnahmen zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass die Russen Soledar offensichtlich nicht eingenommen hätten. An die Zuschauenden gewandt, sagt er:

«Seht ihr, Leute? Am Rande Soledars.»

Dann besiegelt er das Schicksal der 13 Russen: Da sie nun wüssten, wo die Gruppe angehalten habe, würden sie Massnahmen ergreifen.

Trotz dieses veranschaulichten kleinen Erfolges, betont Magyar, dass die Lage in Soledar angesichts des Beschusses und der Kampfintensität sehr schwierig sei.

Ein anderer in Bachmut stationierter ukrainischer Armeeangehöriger berichtet am Mittwochmorgen ähnliches zur Lage in Soledar:

«In Soledar gehen die Kämpfe weiter, wir halten Soledar.»

Die Lage in Bachmut sei derweil unter Kontrolle. Die Russen hätten alle ihre Söldner nach Soledar geschickt, weshalb in Bachmut nur noch die reguläre Armee und die «Mobiks» zurückgeblieben seien. Als Mobiks bezeichnen sie die zwangsmobilisierten Soldaten aus Luhansk und Donezk. Es sei in Bachmut deswegen zwar nicht ruhiger geworden, doch die Stadt stehe noch:

«Bachmut steht, Bachmut hält, Bachmut steht unter der Kontrolle der Streitkräfte. In Bachmut ist alles klar.»

Das sagen unabhängige Experten

Das «Institute for the Study of War» (ISW) schenkt den Berichten zur Wagner-Gruppe keinen Glauben. Visuelle Bestätigungen für Einheiten der Wagner-Gruppe lägen nur für das Zentrum Soledars vor.

Soledar, welches für den Abbau und die Verarbeitung von Salz bekannt ist, bietet nur geringen materiellen Wert. Für die Russen liegt es allerdings an einem strategisch wichtigen Punkt, nördlich von Bachmut. Die Stadt, welche Russland schon seit Wochen zu umzingeln versucht. Dieses Vorhaben werde durch eine Einnahme Soledars allerdings nicht automatisch von Erfolg gekrönt, relativiert das ISW:

«Selbst wenn man die grosszügigsten russischen Behauptungen für bare Münze nimmt, würde die Einnahme von Soledar keine sofortige Einkreisung von Bachmut bedeuten.»

Auch wenn die Ukrainer rund um Bachmut und Soledar grosse Verluste verzeichnen mussten, ist ihr Kampfwille noch immer stark. Am Mittwochmorgen ging das Video eines ukrainischen Schauspielers viral, der beim Kampf um Soledar verwundet wurde.

Noch während seines Transports und mit blutverschmiertem Gesicht wandte sich Dmytro Linartovych mit ermutigenden Worten an die ukrainische Bevölkerung:

«Denkt daran, wir befinden uns auf gottgegebenem Land, sie werden uns niemals brechen! Wir gewinnen. Ruhm für die Ukraine!»
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44 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Cpt. Jeppesen
11.01.2023 17:48registriert Juni 2018
Wenn die Russen Soledar eingenommen hätten, dann haben sie in 6 Monaten ca. 45 Quadratkilometer Gebiet gewonnen. Dafür mussten ungefähr 50000 Mann sterben, weitere 150000 wurden verletzt oder verkrüppelt, über die psychischen Folgeschäden möchte ich gar nicht spekulieren.
Gebt der Ukraine endlich die Waffen die sie brauchen, um den Krieg schnell zu beenden. Putin wird von sich aus keine Ruhe geben, bis er besiegt wurde und die Köpfe im Kreml rollen. Alles andere ist Wunschdenken auf Kosten hunderttausender junger Männer.
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JBV
11.01.2023 17:38registriert September 2021
Eindrücklich. Wie besonnen und entschlossen die ukrainischen Soldaten sich dieser schweren Situation stellen und den Aggressoren entgegen treten.
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Dirty Sanchez
11.01.2023 17:48registriert Mai 2019
Es gibt offenbar einen gewissen Machtkampf innerhalb der Russen, zwischen der regulären Armee und ihrer Führung (bis hin zu Putin) und den Wagner-Söldnern mit Prigoschin. Sichtbar an der widersprüchlichen Berichterstattung. Das könnte noch zu einer interessanten Dynamik werden und der Ukraine helfen..
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