Schon seit Monaten wurde um sie gekämpft, gestern soll sie gefallen sein: Die Wagner-Gruppe gab gestern bekannt, die Kontrolle über die ostukrainische Stadt Soledar gewonnen zu haben.
Im Telegram-Kanal Grey Zone, die mit der Wagner-Gruppe in Verbindung steht, wird Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin zitiert:
Die Zahl der Gefangenen würden am folgenden Tag bekannt gegeben, so Prigoschin weiter.
Viele ukrainische Soldaten versuchten zu flüchten, heisst es in einem Tweet eines prorussischen Kanals, der dies mit einem Video zu beweisen versucht. Eine Flucht sei aber unmöglich, da das gesamte Gelände von Wagner-Drohnen beobachtet werde. Die Falle habe zugeschnappt, heisst es im Tweet weiter:
‼️🇺🇦🇷🇺 #Ukrainian troops are trying to leave the #Soledar area by any means, they desperately try different routes but they can't hide
— Maimunka News (@MaimunkaNews) January 11, 2023
The whole area is been monitored by #Wagner drone operators, the trap is closed, there is no way out. #Russia pic.twitter.com/BKq6DRMCHj
Schon gestern war in Telegramkanälen von einem Massenexodus ukrainischer Streitkräfte die Rede. Mit diesen Berichten ist Prigoschin allerdings nicht einverstanden. Er geht sogar so weit, die ukrainischen Streitkräfte zu verteidigen – und zu loben:
Dann betont er, dass es ganz alleine die Wagner-Gruppe gewesen sei, welche die ehrenhaften ukrainischen Streitkräfte in Soledar besiegt habe:
Prigoschin soll sogar eigens nach Soledar gereist sein. In Videos und auf Fotos, die auf Telegram geteilt wurden, ist er mit einer Einheit in den Salzminen unter dem Boden Soledars zu sehen.
⚡️Video showing the head of Wagner Yevgeny Prigozhin and his men in the salt mines of Soledar. pic.twitter.com/N4pmPiiTrR
— War Monitor (@WarMonitors) January 11, 2023
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wollte die Aussagen der Wagner-Gruppe am Mittwoch nicht bestätigen. Wenn, dann wurden sie eher noch widerlegt. Das russische Verteidigungsministerium teilte am Mittwoch nämlich Folgendes mit:
Während diese Aussage nicht nur Zweifel an der russischen Übernahme Soledars aufwirft, scheint sie auch Prigoschins Behauptung zu widerlegen, dass die Wagner-Gruppe die einzige Einheit vor Ort gewesen sei.
Russian Defense Ministry denied the information about the cauldron in Soledar that was distributed yesterday by PMC Wagner's press service.
— 301 Military (@301military) January 11, 2023
Soledar is only blocked from the north and south, there are battles in the city. pic.twitter.com/28ZV36fASV
Der Kreml sprach zudem nicht von einer Übernahme der Stadt, sondern lediglich von einer «positiven Dynamik»:
Er räumte aber ein, dass die Kämpfe um Soledar und Bachmut heftig seien und auf beiden Seiten hohe Opfer forderten.
Die Intensität des Kampfes um Soledar ist wohl der einzige Punkt, in dem sich die Russen und die Ukrainer einig sind. Ja, es sei die Hölle, bestätigt der ukrainische stellvertretende Kommandant einer taktischen Luftaufklärungsgruppe, Robert Magyar, in seinem Telegramkanal. Da enden die Gemeinsamkeiten in der Darstellung der Geschehnisse aber auch schon.
Madyar, commander of the Ukrainian air reconnaissance group - "titanic efforts to hold Soledar; cold; encirclement is bullshit"https://t.co/GpE5IlUyGo pic.twitter.com/endzUCt5f6
— Dmitri (@wartranslated) January 10, 2023
Die Einkesselung sei «Bullshit», aber die Lage in Soledar sei völlig unter Kontrolle, so Magyar. In einem Video vom Mittwochmorgen um 10 Uhr beschwichtigt er:
Von Zeit zu Zeit gebe es Kämpfe und die Artillerie sei auf beiden Seiten aktiv. Seine «Vögel», die Drohnen, würden ihren Job machen.
Nach einem kurzen Abschweifen – die Bewohner Soledars und Bachmuts würden literweise Tomatensaft lagern, der sehr lecker sei – wird er wieder ernst und zeigt den Bildschirm, welcher die Drohnenaufnahmen überträgt. Dabei entdecken sie eine Gruppe von 13 Russen, welche im Randgebiet Soledars durchs Gelände marschieren. Und siehe da: Es handelt sich dabei um dieselben Aufnahmen, die vom russischen Twitteraccount geteilt wurden, der noch von flüchtenden Ukrainern in der Falle sprach.
Update from Soledar - the morning of 11 January (2,5h ago) - Maygar. pic.twitter.com/tBnOC3JCZj
— Dmitri (@wartranslated) January 11, 2023
Magyar nimmt die Drohnenaufnahmen zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass die Russen Soledar offensichtlich nicht eingenommen hätten. An die Zuschauenden gewandt, sagt er:
Dann besiegelt er das Schicksal der 13 Russen: Da sie nun wüssten, wo die Gruppe angehalten habe, würden sie Massnahmen ergreifen.
Trotz dieses veranschaulichten kleinen Erfolges, betont Magyar, dass die Lage in Soledar angesichts des Beschusses und der Kampfintensität sehr schwierig sei.
Ein anderer in Bachmut stationierter ukrainischer Armeeangehöriger berichtet am Mittwochmorgen ähnliches zur Lage in Soledar:
Update from Bakhmut (and Soledar), morning of 11 January. pic.twitter.com/KOKCklaXgw
— Dmitri (@wartranslated) January 11, 2023
Die Lage in Bachmut sei derweil unter Kontrolle. Die Russen hätten alle ihre Söldner nach Soledar geschickt, weshalb in Bachmut nur noch die reguläre Armee und die «Mobiks» zurückgeblieben seien. Als Mobiks bezeichnen sie die zwangsmobilisierten Soldaten aus Luhansk und Donezk. Es sei in Bachmut deswegen zwar nicht ruhiger geworden, doch die Stadt stehe noch:
Russian forces have not captured the entirety of #Soledar despite false Russian claims that the city has fallen and that #Bakhmut risks imminent encirclement. Russian sources claimed that Wagner Group forces advanced into the west of Soledar on January 10. https://t.co/BBSRXNzP1o https://t.co/sAcXhl2qj8 pic.twitter.com/NcpWrBNagA
— ISW (@TheStudyofWar) January 11, 2023
Das «Institute for the Study of War» (ISW) schenkt den Berichten zur Wagner-Gruppe keinen Glauben. Visuelle Bestätigungen für Einheiten der Wagner-Gruppe lägen nur für das Zentrum Soledars vor.
Soledar, welches für den Abbau und die Verarbeitung von Salz bekannt ist, bietet nur geringen materiellen Wert. Für die Russen liegt es allerdings an einem strategisch wichtigen Punkt, nördlich von Bachmut. Die Stadt, welche Russland schon seit Wochen zu umzingeln versucht. Dieses Vorhaben werde durch eine Einnahme Soledars allerdings nicht automatisch von Erfolg gekrönt, relativiert das ISW:
Auch wenn die Ukrainer rund um Bachmut und Soledar grosse Verluste verzeichnen mussten, ist ihr Kampfwille noch immer stark. Am Mittwochmorgen ging das Video eines ukrainischen Schauspielers viral, der beim Kampf um Soledar verwundet wurde.
"Remember, we are on God-given land, they will never break us!" - Ukrainian actor Dmytro Linartovych was wounded in Soledar. He recorded a message for everyone.
— Anton Gerashchenko (@Gerashchenko_en) January 11, 2023
Glory and full recovery to Hero! pic.twitter.com/ZcQMJpFAmc
Noch während seines Transports und mit blutverschmiertem Gesicht wandte sich Dmytro Linartovych mit ermutigenden Worten an die ukrainische Bevölkerung:
Gebt der Ukraine endlich die Waffen die sie brauchen, um den Krieg schnell zu beenden. Putin wird von sich aus keine Ruhe geben, bis er besiegt wurde und die Köpfe im Kreml rollen. Alles andere ist Wunschdenken auf Kosten hunderttausender junger Männer.