Der Ex-Geheimdienstoffizier und Ultranationalist Igor Girkin, bekannt unter dem Pseudonym Igor Strelkow, ist seiner Ehefrau zufolge in Moskau festgenommen worden. Ihm werde Extremismus vorgeworfen, teilte Miroslawa Reginskaja am Freitag auf Girkins Telegram-Kanal mit. Beamte des Ermittlungskomitees hätten ihn abgeführt. Über seinen Aufenthaltsort sei ihr nichts bekannt.
Girkins Anwalt sagte der staatlichen Nachrichtenagentur Tass, es sei ihm unklar, warum sein Mandant festgenommen worden sei. Das Medienportal RBC berichtete unter Berufung auf Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden, dass Girkins Wohnung in Moskau durchsucht und er aufgrund einer Beschwerde eines ehemaligen Mitarbeiters der Söldner-Gruppe Wagner festgenommen worden sei. Die Behörden äusserten sich zunächst nicht dazu.
Der ehemalige Offizier des Inlandsgeheimdiensts FSB gilt zwar als klarer Befürworter des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, er kritisierte aber zunehmend scharf die Kriegsführung. So warf er der militärischen Führung in Moskau Inkompetenz und Korruption vor. Er forderte ausserdem ein noch härteres und rücksichtsloseres Vorgehen in der Ukraine. Kritisierte er zunächst vor allem Generalstabschef Waleri Gerassimow und Verteidigungsminister Sergei Schoigu, so richteten sich seine Vorwürfe zuletzt auch zunehmend gegen Präsident Wladimir Putin, dem er Untätigkeit vorwarf.
Im Mai kündigte Girkin dann an, dass er und andere den «Klub der wütenden Patrioten» gegründet hätten, um in die Politik einzutreten und Russland vor dem zu bewahren, was er als Gefahr von Unruhen aufgrund militärischer Misserfolge in der Ukraine bezeichnete. Auf die Frage, ob er naiv sei, anzunehmen, er könne eine politische Bewegung ohne die Zustimmung des Kremls ins Leben rufen, antwortete er damals: «Ich hoffe, Sie bezeichnen mich nicht als naiv.»
In einer seiner unverblümtesten Tiraden am vergangenen Dienstag in einem Beitrag auf seinem offiziellen Konto auf dem Kurznachrichtendienst Telegram, der von mehr als 760'000 Menschen gelesen wurde, beleidigte Girkin Putin persönlich. Er forderte ihn auf, die Macht «an jemanden zu übergeben, der wirklich fähig und verantwortlich ist». Zudem behauptete er, ein erneuter Putsch stehe an und sprach offen über Machtverhältnisse im Kreml, wie Sie hier lesen können.
Die Festnahme deutet nun darauf hin, dass die Behörden Girkins Kritik an der sogenannten speziellen Militäroperation in der Ukraine – wie der Krieg in Russland offiziell genannt wird – überdrüssig geworden sind. Sie folgt zudem auf die gescheiterte Revolte von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin im vergangenen Monat, der die Militärführung ebenfalls scharf kritisiert hatte.
Dabei galt Girkin, auch bekannt als Igor Strelkow, aufgrund seines Hintergrunds und seiner Verbindungen zu den Behörden für viele als unantastbar. Er war massgeblich bei Russlands Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014 tätig und organisierte anschliessend pro-russische Milizen, die die Kontrolle über Gebiete in der Ostukraine übernahmen. Für seine mutmassliche Rolle beim Abschuss des Malaysia-Airlines-Fluges MH17 über der Ostukraine im Jahr 2014, bei dem 298 Passagiere und Besatzungsmitglieder ums Leben kamen, wurde er von einem niederländischen Gericht im vergangenen Jahr in Abwesenheit zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Laut Tatiana Stanowaja, Gründerin der Analysefirma R.Politik, wollten einflussreiche Leute bei den Behörden Girkin schon länger festnehmen. «Strelkow (Girkin) hatte schon vor langer Zeit alle denkbaren Grenzen überschritten», sagte sie. «Dies ist eine direkte Folge der Meuterei Prigoschins: Die Armeeführung verfügt nun über ein grösseres politisches Druckmittel, um ihre Gegner im öffentlichen Raum zu unterdrücken.» Girkins Festnahme sei ein Signal, dass jeder der schärfsten Kritiker der Moskauer Kriegsstrategie mit Strafverfolgung rechnen müsse.
Verwendete Quellen:
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Girkin hat vermutlich den Bogen überspannt. Ein "bisschen" Kritik kann auch in einer Diktatur von Nutzen sein. Es dient als Ventil für aufgestaute Wut und Unzufriedenheit und gaukelt der Gesellschaft eine gewisse "Freiheit" vor.
Wer es allerdings zu weit treibt landet vor Gericht. Ein Grund für eine Verurteilung finden die Herrscher in Diktaturen immer.
In der Vergangenheit hat der "Wettbewerb" zw. der russ. Armee und den übrigen Militärs (Prigoschins Wagnerianer, DNR-/LNR-Verbände, etc.) funktioniert.
Die "Kriegs-Blogger" haben aber die Schwächen der russ. Armee derart unverblümt benannt, dass es sich Putin nicht mehr leisten kann, die reguläre Armee derart schlecht dastehen zu lassen, wie sie sich in der Realität auch tatsächlich gebahrt.