Seit etwa einem halben Jahr begnadigt Russland massenhaft Strafgefangene. Im Zusammenhang steht dies mit der Rekrutierung von Häftlingen für die Söldnertruppe Wagner. Deren Chef, der Putin-Vertraute Jewgeni Prigoschin, tourte monatelang durch russische Gefängnisse und Straflager, um Insassen für den Krieg in der Ukraine anzuwerben.
Der Deal, den er mit Rückendeckung der Behörden verspricht, bietet Straffreiheit und Begnadigung gegen den lebensgefährlichen Kampfeinsatz an vorderster Front. Wer nach sechs Monaten noch am Leben ist, kann als freier Mann zurück in die Heimat. Schätzungen gehen davon aus, dass bisher rund 40'000 Häftlinge dieses Angebot angenommen haben.
Die ersten Wagner-Heimkehrer aus dem Kontingent der Ex-Häftlinge sind vor wenigen Wochen in Russland angekommen. Mittlerweile sollen es gut 5000 sein. «Nicht übermässig saufen, keine Drogen nehmen und keine Weiber vergewaltigen», mit diesen Empfehlungen entliess der «Wagner»-Chef seine Schützlinge.
Für die meisten war es nur ein Abschied auf Zeit, der Besuch in der Heimat nur ein kurzer Fronturlaub. Viele Ex-Häftlinge haben bei Wagner eine neue Familie gefunden, schwärmen in den Medien vom Kameradschaftsgeist und der Genugtuung, dem Vaterland etwas zurückgeben zu können.
Einer, der Prigoschins Benimm-Regeln für den Fronturlaub nicht so ernst genommen hat, ist Iwan Rossomachin, 28, aus der Oblast Kirow, eine knappe Tagesreise östlich von Moskau. Er kehrte am 21. März in sein Heimatdorf Nowyj Burjez zurück, in dem er 2019 eine Frau im Streit getötet hatte. Für die Tat wurde er 2020 zu 14 Jahren verschärfter Straflagerhaft verurteilt. Letztes Jahr liess er sich als Söldner für Prigoschin anwerben und wurde in die Ukraine geschickt.
Bereits am zweiten Tag seiner Rückkehr war das ganze Dorf in Aufruhr. In dem trostlosen Weiler leben rund 200 Menschen, überwiegend ältere Frauen. Rossomachin war ständig alkoholisiert, lief mit einer Axt und einem Messer bewaffnet durchs Dorf, drohte den Leuten, sie alle umzubringen.
Die verschreckten Dorfbewohner wandten sich hilfesuchend an die Polizei, am 26. März gab es eine Bürgerversammlung, von der sogar ein Reporter-Team des Lokal-Senders WP-TV berichtete. Ein Arbeitgeber erzählt in dem Bericht, dass seine Angestellten auf dem Weg von und zur Arbeit um ihr Leben fürchteten, so wie damals 2019, als der Mord geschah.
Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen, wie Rossomachin die Scheiben von geparkten Autos mit einer Axt zertrümmert. Der Kommandant des zuständigen Polizeikommissariats in der benachbarten Kleinstadt Wjatskije Poljany erklärte den versammelten Dorfbewohnern, dass man Rossomachin vorübergehend in Gewahrsam genommen habe, ihn aber wieder freilassen müsse. Der Unruhestifter habe aber zugesagt, am 29. März wieder abzureisen.
An jenem 29. März wurde Rossomachin jedoch zum zweiten Mal zum Mörder. Wie die Enkelin des Opfers, einer 85-jährigen Pensionistin im benachbarten Wjatskije Poljany, dem Portal «Mediazona» berichtete, kannten sich Opfer und Täter. Ihre Grossmutter habe Rossomachin früher, als dieser noch Student war, ab und an bei sich im Haus übernachten lassen, wenn die jungen Leute auf dem Weg in die Stadt waren, der letzte Zug aber schon abgefahren war. Über das Motiv für die neuerliche Bluttat Rossomachins ist nichts bekannt.
Der Fall sticht bislang aufgrund seiner Brutalität und der besonderen Umstände aus der russischen Kriminalstatistik hervor. Aber die Zahl der von den Kriegsheimkehrern verübten Delikte nimmt generell zu. Berichte über Vergewaltigungen, Raubüberfälle und andere Gewaltverbrechen häufen sich. Das gilt auch für reguläre Soldaten und für jene Zeitverpflichteten, die sich von der Aussicht auf schnellen Reichtum zum freiwilligen Dienst in der Armee haben verlocken lassen.
In Russland kann sich heute ein verurteilter Mörder von seiner Schuld reinwaschen, wenn er sich dazu bereit erklärt, als Söldner in der Ukraine weiter zu morden. Überlebt er seinen Kampfeinsatz, ist er nicht nur rehabilitiert, sondern kehrt sogar als Kriegsheld nach Hause zurück.
Auf diesen speziellen Aspekt macht die über die Grenzen Russlands hinaus bekannte Bürgerrechtlerin und Gründerin der NGO «Russland hinter Gittern», Olga Romanowa, im Gespräch mit CH Media aufmerksam. Dazu komme, dass diese Ex-Sträflinge eine klare Vorstellung davon hätten, «wie sie Verbrechen begehen und einer Bestrafung entgehen können - sie melden sich einfach noch einmal für einen weiteren Kriegseinsatz.»
Die russische Zivilgesellschaft steht diesen neuen Entwicklungen völlig unvorbereitet gegenüber. Der Sozialwissenschafter und Philosoph Grigori Judin empfindet das als einen katastrophalen Fehler. Auf die Frage, ob sich mit dem Phänomen der durch den Kriegseinsatz rehabilitierten Ex-Sträflinge der gesellschaftliche Stellenwert und die Wahrnehmung von Gewalt ändere, meint Judin: «In Russland herrscht auch jetzt schon die Überzeugung vor, dass die Gewalt der Regelfall ist. Und solange Putin im Kreml sitzt, wird sich diese Überzeugung nur noch weiter verfestigen.»
Olga Romanowa sieht das ähnlich. Die Organe der Rechtsprechung seien ihrer Glaubwürdigkeit beraubt, ein Gerichtsurteil habe heute praktisch keine Bedeutung mehr. «In den Köpfen der Menschen ist der Konnex zwischen Verbrechen und Strafe verloren gegangen. All das wird man über viele Jahre wieder reparieren müssen.»
Humanistische Werte, Bildung, das Streben nach einem besseren Leben, Hilfe für seinen Nächsten - all das habe keinen Stellenwert mehr, sagt Romanowa: «Gewalt wird zum einzigen Faktor, der für das Überleben in Russland von Nutzen ist.» (bzbasel.ch)
Als sie das in der Ukraine taten, war das für viele Russen OK. Sie hofften wohl, keiner kehrt zurück.
Erstaunlicherweise, oder eben nicht, machen sie aber in ihrer Heimat damit weiter. Das war in der Ukraine ja ein normaler Tag. Abgestumpft vom Krieg machen sie weiter, den es sind ja „Helden“.
Wer Wind sät….