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Ukraine-Krieg: Kiew und Moskau streiten um Getreideabkommen

Kiew und Moskau streiten um Getreideabkommen – die Nacht im Überblick

22.07.2023, 06:18
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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bei einem Gespräch mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan auf eine Rückkehr zum Abkommen für den Getreideexport über das Schwarze Meer gedrängt. «Die Öffnung des Getreidekorridors hat absolute Priorität», teilte Selenskyj nach einem Telefonat mit Erdogan am Freitagabend in Kiew mit. «Zusammen müssen wir eine globale Ernährungskrise verhindern.»

Nach der Aufkündigung des Abkommens durch Russland am Montag gibt es eine neue Seeblockade. Moskau hat den Getreidefrachtern die Sicherheitsgarantien in den von ihm kontrollierten Regionen des Schwarzes Meeres entzogen.

«Wegen Russlands Handlungen ist die Welt erneut am Rande einer Lebensmittelkrise. Insgesamt 400 Millionen Menschen in vielen Ländern Afrikas und Asiens sind einem Hungerrisiko ausgesetzt», teilte Selenskyj weiter mit. Durch das vor einem Jahr mit den Kriegsparteien Russland und der Ukraine unter Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen geschlossene Abkommen konnte Kiew weiter sein Getreide über das Schwarze Meer verschiffen lassen. Durch den Verkauf erzielte die Ukraine für ihren Haushalt wichtige Einnahmen.

Terror gegen die Menschen in Odessa

Schon seit Tagen bombardiert Russland den ukrainischen Schwarzmeerhafen Odessa und zerstört dort Getreidelager – unter dem Vorwand, dort gebe es militärische Ziele. In seiner am Abend verbreiteten Videobotschaft warf Selenskyj Russland Terror gegen die Menschen in Odessa vor. Er kündigte an, Russland dafür zu bestrafen.

«Darüber hinaus wird es eine noch stärkere Konsolidierung der Welt für die Verteidigung und für gemeinsames Handeln geben, noch mehr Energie für den Sieg, noch mehr Verlangen nach Gerechtigkeit, einer gerechten Bestrafung Russlands für alle Kriegsverbrechen», sagte er. Die Ukraine wisse, wie sie sich verteidige und produziere neben den Waffenlieferungen des Westens immer mehr eigene Drohnen und Munition.

Selenskyj informierte in dem Video auch darüber, dass in dem Dorf Druschba im östlichen Gebiet Donezk bei russischem Artilleriebeschuss zwei Kinder getötet worden seien. Medien zufolge handelte es sich um Geschwister. Nach Darstellung Selenskyjs starben ausserdem durch Raketenbeschuss in Hontschariwske im Gebiet Tschernihiw zwei Frauen. Es seien ein Kulturzentrum, eine Schule und Wohnhäuser beschädigt worden. Selenskyj sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus.

Russland sieht UN am Zuge wegen Getreideabkommen

Zum Getreideabkommen machte der russische Vizeaussenminister Sergej Werschinin deutlich, dass Moskau in dem Streit um eine mögliche Wiederaufnahme die UN am Zuge sieht. «Der Ball liegt - wie jetzt manchmal gesagt wird – auf der Seite unserer Partner, mit denen wir gearbeitet haben», sagte Werschinin am Freitag in Moskau.

Der Vizeminister betonte, dass im Zuge des Getreideabkommens vor einem Jahr mit den Vereinten Nationen auch ein Memorandum mit einer Gültigkeit von drei Jahren unterzeichnet worden sei, das Russlands Bedingungen für den Deal beinhalte. Russland verlangt vom Westen etwa eine Lockerung von Sanktionen, um eigenes Getreide und Dünger leichter auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Moskau beklagt, dass im Zuge der EU-Sanktionen etwa der Ausschluss russischer Banken vom Finanzverkehrssystem Swift Geschäfte behindere. Auch Versicherungen könnten nicht abgeschlossen werden für die Frachter.

Zwar betont die EU, dass russisches Getreide und Dünger von den Sanktionen ausgenommen und auch viele Banken weiter an Swift angeschlossen seien. Allerdings entgegnete Werschinin, dass der «Geist der Sanktionen» ausstrahle und viele Partner auch legale Geschäfte mit Russland scheuten. Deshalb will Russland grundsätzlich Lockerungen erreichen. Zugleich machte er deutlich, dass Russland Wege finden werde, sein in Entwicklungsländern gefragtes Getreide und den Dünger auf den Weltmarkt zu bringen.

Das Abkommen zur Verschiffung von Getreide aus ukrainischen Schwarzmeerhäfen war vor einem Jahr am 22. Juli unter Vermittlung der UN und der Türkei geschlossen worden. Werschinin sagte, Russland sei weiter bereit, mit der Türkei ein neues Abkommen auszuhandeln. Man habe «eine sehr enge Zusammenarbeit». Präsident Erdogan hatte vor einem Jahr zwischen den Kriegsparteien vermittelt.

Russland fordert neben dem Anschluss seiner Banken an Swift auch eine Wiederaufnahme von Lieferungen von Bauteilen für seine Landwirtschaftstechnik und für Anlagen zur Produktion von Dünger. Zudem solle die Blockade von russischen Aktiva im Ausland, die mit der Landwirtschaft in Verbindungen stehen, aufgehoben werden, hatte Kremlchef Wladimir Putin gesagt. Russland sei bei Erfüllung aller Bedingungen bereit, zum Abkommen zurückzukehren.

Selenskyj: Krim-Brücke ist «feindliche Anlage»

Der ukrainische Präsident bezeichnete die am Montag beschädigte Krim-Brücke unterdessen als «feindliche Anlage», die zerstört werden müsse. Die Brücke, die das russische Festland mit der von Russland besetzten Schwarzmeer-Halbinsel Krim verbindet, sei «nicht nur eine logistische Strasse», sagte Selenskyj per Video-Link bei einer Sicherheitskonferenz in Aspen im US-Bundesstaat Colorado am Freitag. Vielmehr handle es sich um die Strasse, die benutzt werde, um den russischen Angriffskrieg jeden Tag mit Munition zu versorgen. Das führe zu einer Militarisierung der Krim.

Russland, das seit rund 17 Monaten einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, hatte die Krim bereits im Jahr 2014 völkerrechtswidrig annektiert und später durch die Brücke mit dem eigenen Festland verbunden. Am frühen Montagmorgen wurde das 19 Kilometer lange Bauwerk Moskauer Angaben zufolge von ukrainischen Drohnen angegriffen, woraufhin ein Teil der Fahrbahn absackte. Kiew, das alle besetzten Gebiete befreien will, hat bislang keine Beteiligung an dem Angriff bestätigt. Nach der Attacke auf die strategisch wichtige Brücke hatte Moskau das internationale Abkommen zur Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine aufgekündigt.

Strack-Zimmermann will von IKRK mehr Engagement im Ukraine-Krieg

Neben der Wiederaufnahme des Getreideankommens fordert die Ukraine von Russland auch die Übergabe mutmasslich verschleppter Kinder in dem seit fast 17 Monaten dauernden Angriffskrieg. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, forderte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zu deutlich mehr Einsatz bei der Klärung des Schicksals von 20 000 Vermissten aus der Ukraine auf. Zugleich verurteilte sie scharf, dass das belarussische Rote Kreuz Kinder aus der von Russland besetzten Ostukraine nach Belarus gebracht hat, wie Organisationschef Dmitri Schewzow eingeräumt hatte.

«Die furchtbaren Berichte über die verachtenswerte Verschleppung von Kindern durch das Rote Kreuz in Belarus wirft die Frage auf, wie unabhängig das Rote Kreuz im aktuellen Konflikt seiner Aufgabe nachkommt», sagte die FDP-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Der Dachverband der Rotkreuzgesellschaften hatte sich am Mittwoch von der Rotkreuzgesellschaft des autoritär geführten Belarus distanziert. Schewzow hatte kürzlich eine von Russland besetzte Region in der Ostukraine besucht. Die Ex-Sowjetrepublik Belarus ist im Angriffskrieg gegen die Ukraine ein enger Verbündeter Russlands.

Was am Samstag wichtig wird

In der Ukraine läuft die Gegenoffensive zur Befreiung der von Russland besetzten Gebiete im Osten und im Süden des Landes weiter. Vor allem wegen der Verminung der Gebiete und der Panzersperren an den russischen Verteidigungslinien ist Kiew allerdings bisher kein Durchbruch gelungen. (cst/sda/dpa)

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