Nach folgenschwerem Beschuss in der Südukraine hat Präsident Wolodymyr Selenksyj Russland mit Konsequenzen gedroht. In seiner Videoansprache in der Nacht zum Montag berichtete er zudem von russischen Truppenverlegungen in besetzte südliche Gebiete, die Kiew derzeit zurückzuerobern versucht.
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In der Schwarzmeer-Region Odessa schlugen am Sonntag nach ukrainischer Darstellung mehrere russische Raketen ein. Am Vorabend des 159. Kriegstags wurde zwischenzeitlich fast in der gesamten Ukraine Luftalarm ausgelöst.
«Kein russischer Angriff bleibt von unseren Militärs und Geheimdienstlern unbeantwortet», betonte Selenskyj mit Blick auf den Beschuss von Mykolajiw. Er erinnerte auch an Olexij Wadaturskyj, den Besitzer eines der grössten ukrainischen Getreidehandelsunternehmen, der in der südukrainischen Stadt getötet wurde.
Wie zuvor bereits der ukrainische Generalstab berichtete auch Selenskyj von Truppenverlegungen der Russen in besetzte Gebiete im Süden. Moskau äusserte sich nicht zu solchen möglichen Bewegungen.
Im Zuge des bereits mehr als fünf Monate andauernden Angriffskriegs hat Russland unter anderem weite Teile der südukrainischen Gebiete Cherson und Saporischschja besetzt. Dank aus dem Westen gelieferter Waffen startete die Ukraine in Cherson zuletzt allerdings laut eigenen Angaben und nach Einschätzung des britischen Geheimdienstes mehrere erfolgreiche Gegenoffensiven.
Der Stadtrat von Odessa teilte am Sonntag unter Berufung auf das Kommando Süd der ukrainischen Armee mit, zwei russische Raketen vom Typ «Iskander» seien von der von Russland annektierten Halbinsel Krim aus abgeschossen worden. Zu möglichen Opfern wurden keine Angaben gemacht. Moskau äusserte sich zunächst nicht zu den Vorwürfen. In der Region Odessa liegen alle drei Häfen, über die infolge eines kürzlich erzielten Abkommens bald wieder Getreide über das Schwarze Meer exportiert werden soll.
Auf der Krim, von wo aus die Raketen abgefeuert worden sein sollen, waren zuvor russische Feierlichkeiten zum «Tag der Marine» abgesagt worden - unter Verweis auf einen angeblichen Drohnen-Angriff der Ukrainer auf die Stadt Sewastopol. Die ukrainische Marine dementierte das und teilte mit, Russland hätte den Vorfall «erfunden».
In Wirklichkeit hätten sich die Russen aus Angst vor ukrainischen Angriffen nicht getraut, dort wie geplant die Feierlichkeiten abzuhalten, hiess es. Die russische Seite hingegen teilte mit, in Sewastopol sei der Stab ihrer Schwarzmeerflotte angegriffen worden. Sechs Menschen seien dabei am Sonntag verletzt worden, schrieb der Gouverneur von Sewastopol, Michail Raswoschajew.
In der russischen Ostsee-Metropole St. Petersburg hingegen wurde der Tag der Seestreitkräfte wie geplant gefeiert - auch Kremlchef Wladimir Putin war angereist. Putin setzte eine neue Marine-Doktrin in Kraft, die Russlands Seegrenzen - darunter in der Arktis und im Schwarzen Meer - festlegen soll. Bei einer Parade mit Kriegsschiffen kündigte Putin zudem an, dass die neue Hyperschall-Seerakete «Zirkon» bald in den Dienst gestellt werde.
In der neuen Doktrin wurde festgeschrieben, dass das Streben der USA nach Dominanz auf den Weltmeeren eine «Herausforderung für die nationale Sicherheit Russlands» sei. Das von Putin feierlich unterzeichnete Dokument sieht auch vor, dass Russlands militärische Infrastruktur auf der Krim ausgebaut werden soll.
Das Rote Kreuz hat nach dem Angriff auf ein Gefangenenlager im Osten der Ukraine zunächst vergeblich auf Zugang zu den Verletzten gewartet. Bis zum Sonntagnachmittag hatte das IKRK noch keine Erlaubnis für einen Zugang zum Gefängnis erhalten, wie ein Sprecher in Genf sagte. Das russische Verteidigungsministerium hingegen erklärte, es habe das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zu einem Besuch eingeladen.
Oleniwka liegt bei Donezk auf dem Gebiet, das prorussische Separatisten mit Moskaus Hilfe kontrollieren. In der Baracke mit Kriegsgefangenen soll in der Nacht zum Freitag eine Rakete eingeschlagen sein. Selenskyj sprach von einem vorsätzlichen russischen Kriegsverbrechen. Nach russischer Darstellung wurde die Einrichtung von einem Himars-Mehrfachraketenwerfer aus den USA getroffen, den die ukrainische Armee einsetzt. Moskau veröffentlichte zudem die Namen von 50 getöteten und 73 verletzten Gefangenen.
Künftige Wiederaufbauhilfen für die kriegszerstörte Ukraine müssen nach Meinung von Aktivisten von vornherein gegen Korruption gesichert werden. Es werde dann um Milliarden Euro gehen, «deshalb ist es wichtig, jetzt schon daran zu denken», sagte Olena Haluschka von der ukrainischen Nichtregierungsorganisation Antac (Anti-Corruption Action Center) in Warschau. Ihrer Vorstellung nach sollten ausländische Hilfsgelder nicht in den ukrainischen Haushalt fliessen, sondern in einen Sonderfonds unter internationaler Aufsicht. «Dann wäre das Vertrauen der Spender grösser», sagte Haluschka der Deutschen Presse-Agentur. Transparency International listete die Ukraine 2021 noch als zweitkorruptestes Land in Europa hinter Russland auf.
Rund anderthalb Wochen nach einer in Istanbul mit Moskau und Kiew erzielten Einigung könnte am Montag möglicherweise der erste Getreide-Export aus einem ukrainischen Hafen anstehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein mit Getreide beladenes Schiff am Morgen einen der drei in dem Abkommen festgelegten Häfen verlasse, sei sehr hoch, hatte ein Sprecher des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Sonntag gesagt. (sda/dpa)