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Russland

War die Zerstörung des Staudamms für Putin nur das Vorspiel?

Warum die Zerstörung des Staudamms für Putin vielleicht nur das Vorspiel war

Gelingt es dem Kreml-Chef nicht, die Ukraine in seine Fänge zu bekommen, dann hat er wenig Skrupel, sie zu zerstören. Für den weiteren Kriegsverlauf ist Schlimmes zu befürchten.
10.06.2023, 07:43
Fabian Hock / ch media
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Ein älterer Mann sitzt in einem Rettungsboot. Er wirkt erschöpft unter seiner weiss-blauen Schildmütze - aber auch erleichtert. «Wir haben es geschafft!», ruft ihm einer der Freiwilligen zu, die den Ukrainer aus dem überfluteten Gebiet bei Cherson gerettet haben. Wie alt er sei, will der Helfer wissen. «93», sagt der Mann und lächelt in die wacklige Kamera. Einen Krieg habe er schon überlebt, sagt er noch, jetzt müsse er einen zweiten überleben. Dann folgt der russische Angriff.

Als die Kamera wieder aufblendet, hält sich der ältere Mann den Kopf. Seine blutverschmierte Mütze liegt am Boden. Blut läuft zwischen seinen Fingern hindurch. Ein Schrapnell hat ihn getroffen. Unter russischem Beschuss rasen die Helfer an Land. Sie wuchten den Mann aus dem Boot. Er überlebt den Angriff. Die Helfer auch. Sieben Ukrainer werden bei der Aktion verwundet.

Russland feuert auf die Menschen, die der Flutkatastrophe nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms entkommen wollen. Eine Katastrophe, für die Russland verantwortlich ist.

Ob die Besatzer den Damm als Reaktion auf die beginnende ukrainische Gegenoffensive absichtlich gesprengt haben oder ob er aus Fahrlässigkeit brach, ist letztlich unerheblich. Die Russen verminten den Damm, die Sprengung mitsamt der schrecklichen Folgen für die Menschen in der Ukraine war stets eine Option und wurde von Putins Truppen mindestens billigend in Kauf genommen. Nun sind ganze Dörfer zerstört, Hunderte Menschen tot, Tausende auf der Flucht.

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Bild: keystone
epa10681888 A local resident on the roof of his house in the flooded area of Kherson, Ukraine, 09 June 2023. Ukraine has accused Russian forces of destroying a critical dam and hydroelectric power pla ...
Bild: keystone

Die Zerstörung eines Atomkraftwerks hätte noch schlimmere Folgen

Ein Staudamm als Massenvernichtungswaffe: So weit ging nicht einmal die Terrororganisation IS im Irak. Die Islamisten hätten einen Damm oberhalb der Stadt Mossul sprengen können, was zahllose Tote zur Folge gehabt hätte, wie der französische Wasser- und Militärfachmann Franck Galland diese Woche im Interview mit CH Media sagte.

Wladimir Putin, das wissen wir seit dieser Woche sicher, schreckt vor solchen Mitteln nicht zurück. Die Lehre daraus ist eindeutig: Gelingt es dem Kreml-Chef nicht, die Ukraine in seine Fänge zu bekommen, dann hat er wenig Skrupel, sie zu zerstören.

Für den weiteren Verlauf des Krieges lässt das Schlimmes befürchten. Das ständige Zündeln am Atomkraftwerk Saporischschja wirkt vor dem Hintergrund der Dammsprengung noch bedrohlicher als ohnehin schon. Die Sprengung des grössten AKW Europas hätte noch schlimmere Folgen als der Dammbruch bei Cherson.

All dies lässt nur einen Schluss zu: Putins irrsinnigem Krieg muss ein Ende gesetzt werden. Der bekannteste Gegner des russischen Präsidenten, der ehemalige Schachweltmeister Garry Kasparow, brachte es in dieser Woche am Swiss Economic Forum in Interlaken auf den Punkt: «Die einzige Möglichkeit, diesen Krieg zu beenden, ist, ihn zu gewinnen.» Je früher, desto besser.

Entscheidend dafür wird die nun angerollte Gegenoffensive der Ukrainer. Diese wird mit Verlusten verbunden sein. Dabei wird auch vom Westen geliefertes Gerät zerstört werden. Umso wichtiger ist es, dass die Waffenlieferungen in hohem Tempo weitergehen. Nur so kann die Offensive zum Erfolg werden. Bis dahin wird der Terror gegen die ukrainische Bevölkerung weitergehen. (aargauerzeitung.ch)

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106 Kommentare
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N. Y. P.
10.06.2023 08:15registriert August 2018
All dies lässt nur einen Schluss zu: Putins irrsinnigem Krieg muss ein Ende gesetzt werden.
abian hock / ch media

Diese Zeile eines Schweizer Journalisten sagt unendlich viel aus.

Sollen wir Putin mit unserer Neutralität in die Schranken weisen? Oder fordern wir, wie es obige Zeile im Prinzip impliziert, dass die anderen Staaten mehr und bessere Waffen senden?

Ich denke, Abian Hock bringt perfekt zum Ausdruck, wie wir Schweizer funktionieren.

Die anderen sollen. Pfründe für uns.
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JBV
10.06.2023 09:18registriert September 2021
Der Beschuss von Rettungsaktionen ist ein weiteres Kriegsverbrechen, dass sich nahtlos in die Reihe russischer Kriegsverbrechen einreiht. Ich hoffe dieser Krieg findet irgendwie ein schnelles Ende, glaube aber er wird noch Jahre dauern. Eines ist sicher, Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Russland muss diesen Krieg verlieren und Russland muss in die Schranken gewiesen werden.
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Don Alejandro
10.06.2023 09:22registriert August 2015
Ich bin immer noch fassungslos, wie im 21. Jahrhundert ein Mann einen solchen brutalen und aggressiven Krieg losreissen kann. Ebenfalls auch, warum eine solche bleiernde Lethargie unter dem Großteil der russ. Bevölkerung herrscht. Propaganda und harte Sanktionen hin oder her. Und; gegenüber eines solchen Unrechts gibt es keine Neutralität.
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