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Michail Gorbatschow ist tot – er hatte Putin mehrfach kritisiert

Mikhail Gorbachev 
Michail Gorbatschow
Michail Gorbatschow ist 91-jährig gestorben.Bild: keystone

Michail Gorbatschow ist tot – er liess den Eisernen Vorhang fallen und kritisierte Putin

31.08.2022, 07:42
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Der russische Friedensnobelpreisträger und ehemalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow ist tot. Er starb am Dienstagabend im Alter von 91 Jahren in Moskau. «Heute Abend ist nach schwerer und langer Krankheit Michail Sergejewitsch Gorbatschow gestorben», teilte das Zentrale klinische Krankenhaus (ZKB) der russischen Hauptstadt mit.

Der weltweit geschätzte Politiker galt als einer der Väter der Deutschen Einheit und als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges. Besonders die Ostdeutschen verehren «Gorbi», wie sie ihn nennen, bis heute als Staatsmann, der ihnen vor mehr als drei Jahrzehnten die Freiheit brachte.

Der russische Präsident Wladimir Putin äusserte nach Angaben eines Sprechers sein tiefes Mitgefühl zum Tod Gorbatschows. Putin werde der Familie am Mittwochmorgen ein Telegramm schicken, kündigte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstagabend in Moskau an.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte die Bedeutung des ehemaligen sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow für Europa heraus. «Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges und dem Fall des Eisernen Vorhangs», schrieb von der Leyen am Dienstagabend auf Twitter. Sie bezeichnete Gorbatschow als Führungspersönlichkeit, die zuverlässig und geachtet gewesen sei. «Er ebnete den Weg für ein freies Europa. Dieses Vermächtnis werden wir nie vergessen.»

Deutschland würdigt Gorbatschow

Auch mehrere Bundespolitiker würdigten den russischen Friedensnobelpreisträger kurz nach Bekanntwerden seines Todes. Ohne Gorbatschow «wären die friedlichen Revolutionen in den Ländern des Ostblocks, bei uns, so nicht denkbar gewesen», schrieb die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) auf Twitter. «Seine Worte haben uns, haben mich, ermutigt, stark gemacht.»

Deutschland habe Gorbatschow viel zu verdanken, schrieb Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) ebenfalls auf Twitter. «Er leitete das Ende des Kalten Krieges ein, ermöglichte Deutschlands Wiedervereinigung und schenkte seinem Land ein demokratisches Momentum. Ein mutiger Überzeugungstäter, dessen Stimme fehlen wird.» Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) äusserte sich ähnlich und fügte hinzu: «Sein Tod bedrückt. In dieser Zeit noch mehr. Danke & #RIP». Grünen-Politiker Jürgen Trittin twitterte: «Ich verneige mich vor einem grossen Politiker des Friedens Michael #Gorbatschow RIP».

CDU-Chef Friedrich Merz schrieb auf Twitter: «Die CDU trauert um einen Staatsmann, dem Deutschland vertrauen konnte und der uns vertraut hat.» Ohne ihn wäre «die deutsche Einheit in Freiheit» nicht möglich gewesen.

Friedensnobelpreis für mutige Reformen

In den 1980er Jahren hatte die Sowjetunion unter Gorbatschows Führung mit den USA wegweisende Verträge zur atomaren Abrüstung und Rüstungskontrolle geschlossen. In seiner Heimat hatte Gorbatschow als Generalsekretär der Kommunistischen Partei mit seiner Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) einen beispiellosen Reformprozess eingeleitet. Das brachte den Menschen in dem totalitären System bis dahin nie da gewesene Freiheiten.

1990 erhielt Gorbatschow für seine mutigen Reformen den Friedensnobelpreis. Der politische Prozess führte zu massiven Umbrüchen in allen Republiken des Sowjetstaates und letztlich zu einem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums.

Ein Grossteil der russischen Bevölkerung sah den früheren Partei- und Staatschef stets als Totengräber der Sowjetunion - und als einen Politiker ohne Machtinstinkt. Gorbatschow trat als Präsident der Sowjetunion 1991 zurück, bevor sich der Staat wenig später selbst auflöste. Der neue starke Mann in Moskau wurde damals der russische Präsident Boris Jelzin (1931-2007).

Bis zu seinem Tod hatte Gorbatschow sich um seine eigene politische Stiftung in Moskau verdient gemacht. Die Organisation setzt sich für demokratische Werte und eine Annäherung Russlands an den Westen ein.

Autor zahlreicher Bücher

Gorbatschow schrieb zahlreiche Bücher – zuletzt unter anderem auch über seine Enttäuschung von den Deutschen und dem Westen. Konkret beklagte er dabei, dass neue Feindbilder gegen Russland gezeichnet würden. Zu den Feiern zum 30. Jahrestag des Mauerfalls im Herbst 2019 war er aus Gesundheitsgründen nicht gereist. Er musste in den vergangenen Jahren immer wieder im Krankenhaus behandelt werden.

Der Politiker war Miteigentümer der kremlkritischen Zeitung «Nowaja Gaseta», die immer wieder Missstände in Russland aufdeckt. Gorbatschow hatte in den vergangenen Jahren Kremlchef Wladimir Putin mehrfach aufgefordert, die Freiheit der Medien und Wahlen nicht weiter einzuschränken.

Hindernisse für ausländische Gäste bei Gorbatschows Beerdigung

Schon lange vor seinem Tod hat der frühere Sowjetpräsident und Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow seine Beerdigung geregelt. Er wird auf Moskaus berühmtem Prominentenfriedhof am Neujungfrauenkloster beerdigt, wo er sich ein Grab neben seiner 1999 nach schwerer Krankheit in Münster gestorbenen Frau Raissa Gorbatschowa gesichert hatte. Dort war er oft. Unklar ist allerdings, welche internationalen Gäste zur Beerdigung in Moskau kommen werden – angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der Sanktionen der EU und der USA gegen das Land.

So sind nicht nur viele ranghohe Politiker der EU von russischer Seite als Reaktion auf die westlichen Sanktionen mit Einreiseverboten belegt worden. Gesperrt ist auch der Luftraum in Russland für «unfreundliche EU-Staaten».

Viele westliche Politiker meiden wegen des von Kremlchef Wladimir Putin befohlenen Angriffskrieges gegen die Ukraine vor sechs Monaten den Kontakt mit Russland. Angesichts der historischen und internationalen Bedeutung des Politikers dürften aber auch Gäste aus dem Ausland Abschied nehmen wollen von dem Politiker, der auch als einer der Väter der Deutschen Einheit galt. (sda/dpa)

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56 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Liebu
30.08.2022 23:01registriert Oktober 2020
Tragisch, dass er gerade jetzt stirbt, da einer sein Erbe zerstört.
Er hat die Welt verändert und wird in guter Erinnerung bleiben.
Ein Grosser ist gegangen.
RIP Gorbi
1977
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Oliver M
30.08.2022 22:58registriert Dezember 2014
RIP Gorbatschow. Wir würden wir uns nur wünschen, er wäre heute noch Präsident. Es wäre eine friedlichere Welt, der Westen und vor allem Europa mit Russland verbunden...
1818
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Sälüzäme
30.08.2022 22:59registriert März 2020
Hätten die Russen doch nur auf Gorbatschow, einen der letzten grossen Staatsmänner gehört dann müssten sie nicht in eine düstere Zukunft blicken.

Danke für dein Wirken und die vielen Jahre Frieden in fast ganz Europa, die Welt braucht mehr Politiker wie dich.

Ruhe in Frieden neben deiner Frau, ihr habt es beide verdient.
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