Sie flattern der Pilatuskette entlang. Kurven um den Bürgenstock. Einmal. Zweimal. Dreimal. Verschwinden im Sinkflug. Wie schwarze Krähen wirken die Helikopter aus der Ferne. Sitzt darin Scholz? Macron? Milei? Der Mittelpunkt der Welt ist an diesem Samstag 8,04 Kilometer von der Stadt Luzern entfernt.
Vollgefressene Stadt-Tauben hoppeln über die Bootsstege am Seebecken. Dort ebenfalls aufgestellt eine Kunstinstallation: «YOUkraine» steht in verspiegelten Lettern in direkter Sichtlinie zum Bürgenstock-Ressort. Du, ich, wir sind alle die Ukraine. Klick, Klick. Es ist ein beliebtes Fotomotiv. Very instagramable. Was denken Sie von der Ukraine-Friedenskonferenz? «Never heard of», sagt die junge Amerikanerin und posiert weiter für «good pictures».
Die Welt ist der Stadt Luzern so nahe und kommt doch nicht dort an. Es sind sehr weltliche Probleme, die die Stadt an diesem Samstag plagen: Stau, wild manövrierende Cars und eine gute Portion Overtourism. Am Schwanenplatz dröhnt laute Musik und ein «Labyrinth» lädt die Besucherinnen und Besucher ein, zu entdecken, warum Russland ein #TerroristState sei. Es sind drastische Bilder. Auch die Ukraine kann Propaganda. Am Ende steht «Danke. Obrigado. Merci.»
Die Bürgenstock-Konferenz im Liveticker:
Am Bahnhofplatz liegen sich die Menschen in den Armen. Zwei Frauen halten sich ganz fest. Sie drehen sich eng umschlungen. Mit den Ärmeln ihrer Pullover wischen sie sich Tränen aus den Augen. Ihre Männer seien Kriegsgefangene, sagen sie. «Save Ukrainian Prisoners of War» steht auf einer grossen Fahne und vielen T-Shirts. «Russia, where is my Dad» auf den Schildern von Kindern.
«Hope» habe sie, sagt eine der Frauen. Da es ihr wichtig ist, sagt sie es auch noch auf deutsch: «Hoffnung». Sie erwarte keinen Frieden, mehr ein Licht. Sie wischt sich wieder eine Träne weg. Aufstellen mit dem Plakat. Reden. Stehen. Hoffen. Aus der ganzen Schweiz und sogar aus dem Ausland sind die Ukrainerinnen und Ukrainer angereist für diese Mahnwache. Später ziehen sie weiter in die Stadt.
Kurz vorher fliegt Kamala Harris über das Seebecken. Fünf Helikopter. Tempo hoch. Direkte Linie. Die US-Vizepräsidentin macht – anders als all die Scholzs, Macrons und Mileis – keine Umwege über die Pilatuskette. All die Touristenkameras, die sonst die Kapellbrücke, das KKL und den Pilatus fotografieren, fokussieren jetzt auf die Hubschrauber-Karawane über dem See.
«Denkst Du, dass es gut kommt?», fragt der Hotelmitarbeiter in der Rauchpause. Schon die letzten Tage seien all die Zimmer belegt gewesen mit Verhandlungsdelegationen aus aller Welt. Ein Gewusel im besten Sinne. Wer spontan von Samstag auf Sonntag in Luzern übernachten will, zahlt selbst im Budget (!) Hotel im Doppelzimmer satte 370 Franken. Frieden ist auch ein Geschäft.
Hinter den demonstrierenden Ukrainerinnen am Bahnhofplatz stehen immer mehr Fussballfans in roten Trikots. Beide Seiten sind hochgepumpt mit Hoffnung. Zwischen «Hopp Schwiiz» und «Slawa Ukrajini» liegen an diesem Samstag manchmal nur ein paar Meter und doch Welten. Die Frauen aus der Ukraine sind unnachgiebig: Die Freilassung der Gefangenen müsse kompromisslos und ohne Gegenleistung der Ukraine passieren. Neben dem Torbogen startet derweil gerade ein Polterabend, bei dem sich Braut eine Schärpe mit #TeamBride umhängt.
Ein weiterer Helikopter fliegt durch die dichten Wolken am Nachmittag. Kreist einmal, zweimal, dreimal um das Bürgenstock-Ressort. Verschwindet dann im Sinkflug. Macron? Scholz? Milei? Landet am Mittelpunkt der Welt.
Wieso soll man nur am Krieg verdienen?
Frieden ist die bessere und nachhaltigere Wirtschaft. Kein Hotel verschenkt seine Zimmer 🤷