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Alle Fragen und Antworten zur Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock

Die Schweiz trommelt in Nidwalden die Ukraine-Unterstützer zusammen – das willst du wissen

15.06.2024, 09:4515.06.2024, 15:34
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So viele Staats- und Regierungschefs wie noch nie in der Schweiz treffen sich am Samstag und Sonntag auf dem Bürgenstock NW zu einer Konferenz über einen möglichen Frieden in der Ukraine. Was bringt das? Wer kommt? Und warum ist Aggressor Russland nicht dabei?

Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Warum gibt es die Konferenz?

Die bis Sonntagabend dauernde «hochrangige Konferenz zum Frieden in der Ukraine» ist quasi eine Fortsetzung von vier bisherigen Konferenzen zur ukrainischen Friedensformel. Diese fanden in Kopenhagen, Dschidda, Malta und zuletzt im Januar in Davos GR statt. Die wichtigsten beiden Unterschiede zu den früheren Anlässen: Auf dem Bürgenstock treffen sich Staats- und Regierungschefs respektive Minister und nicht mehr nur die Sicherheitsberater.

Und es geht nicht mehr einfach um den von Präsident Wolodymyr Selenskyj einst propagierten 10-Punkte-Friedensplan mit sofortigem Abzug aller russischen Truppen, der Freilassung aller Kriegsgefangenen und der Bestrafung russischer Politiker und Militärs, sondern bloss um Teile davon, die in der Staatengemeinschaft als realistisch gelten.

Mit welchen Ergebnissen wird gerechnet?

Das Ziel des diplomatischen Mega-Treffens ist es, einen Friedensprozess anzustossen und Voraussetzungen für einen späteren Friedensgipfel unter Beteiligung von Russland zu schaffen. Kiew erhofft sich breite internationale Unterstützung für seine Bedingungen für ein Ende des Krieges gegen Russland. Es soll zudem ein Gastgeber für eine nächste Konferenz bekannt werden. Im Gespräch war unter anderem Saudi-Arabien.

Eigentliche Friedensgespräche sind es aber nicht. Russland sitzt nicht am Tisch. Die Teilnehmer sollen sich auf Schritte respektive einen Fahrplan für einen Friedensprozess einigen. Sie diskutieren über Themen von globalem Interesse. Genannt wurden im Vorfeld der Schutz der Atomkraftwerke, die Freiheit der Schifffahrt im Schwarzen Meer, die Lebensmittelsicherheit – die Ukraine ist ein wichtiger Exporteur von Mais, Weizen, Gemüse, Gerste und Sonnenblumenöl – sowie humanitäre Aspekte. Die Ergebnisse wollen die Teilnehmer in einer Abschlusserklärung veröffentlichen.

Bringt die Konferenz etwas?

Da gehen die Meinungen auseinander. Was auch immer in der gemeinsamen Abschlusserklärung stehen wird: Die auf dem Bürgenstock vereinten Unterstützerstaaten der Ukraine wollen mit Einigkeit den Druck auf Russland erhöhen. Die Organisatoren setzten alles daran, dass es nicht bloss eine westliche Konferenz wird. Am Tisch sitzen Vertreter von Ländern aus allen Kontinenten.

Zu erwarten sind nur kleine Fortschritte und kein schneller Frieden. Für die Schweiz springen wohl gute PR als Organisatorin des Anlasses und in aller Welt sichtbare schöne Bilder aus der Innerschweiz heraus. Handfeste Resultate brachte der G7-Gipfel in Italien am Donnerstag: Dort sagten die Staats- und Regierungschefs der Ukraine im Abwehrkampf 50 Milliarden Dollar aus Zinsgewinnen eingefrorener russischer Vermögen zu. Die USA und die Ukraine unterzeichneten zudem ein Abkommen für weitere Hilfe in den nächsten zehn Jahren.

Wer nimmt teil?

Delegationen aus 92 Ländern sind an der Konferenz auf dem Bürgenstock dabei – darunter befinden sich 57 Staats- und Regierungschefs. Eingeladen wurden über 160 Delegationen, aber auch internationale Organisationen und religiöse Vertreter. Gegen die Hälfte der Teilnehmenden kommt aus Europa und Nordamerika, die andere Hälfte aus dem Rest der Welt. Der Aufmarsch auf dem Bürgenstock dürfte beispiellos werden.

Für die USA kommt US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Aus den bedeutendsten westlichen Industriestaaten (G7) reisen Japans Ministerpräsident Fumio Kishida, Kanadas Premierminister Justin Trudeau, Grossbritanniens Premier Rishi Sunak, Deutschlands Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron sowie Italiens Premierministerin Georgia Meloni an. Auf dem Bürgenstock sind auch Vertreter Saudi-Arabiens, der Türkei und Indiens dabei. Auch zahlreiche afrikanische Staaten nehmen teil.

Wer hat abgesagt?

Für US-Präsident Joe Biden ist offenbar ein Wahlkampf-Termin in den USA wichtiger als die persönliche Teilnahme. Abgesagt hat auch China. China gilt als wichtigster Verbündeter Russlands. Peking hält die Konferenz ohne die Teilnahme des Aggressors Russland für schwierig. Brasilien – das grösste Land Südamerikas – schickt nur einen Beobachter. Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva kam zwei Tage vorher nach Genf und traf Bundespräsidentin Viola Amherd, lässt aber den Bürgenstock aus. Und auch aus Südafrika, das von Moskau unter Druck gesetzt worden sein soll, nimmt nur ein Gesandter teil.

Warum ist Russland nicht dabei?

Russland bezeichnete die Konferenz im Vorfeld als nutzlos. Eine Friedenssuche ohne Russland sei «absolut unlogisch, sinnlos und Zeitverschwendung», hiess es aus dem Kreml. Die Konferenz sei der Versuch, Russland Bedingungen für eine Beendigung des Konflikts aufzuzwingen, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin.

Bei der Frage, ob Russland zur Bürgenstock-Konferenz eingeladen werden sollte, hatte die Schweiz zwei Risiken gegeneinander abzuwägen, wie Aussenminister Ignazio Cassis sagte. Auf der einen Seite habe die Gefahr bestanden, dass gewisse Länder ohne Russland am Tisch nicht teilnähmen. Die andere Gefahr habe darin bestanden, dass die Schweiz die Ukraine nicht dabei gehabt hätte, falls Russland dabei gewesen wäre.

Welche Reaktion ist aus Russland zu erwarten?

Das ist ungewiss. Im Cyberraum kam es bereits zu Störaktionen und Angriffen, etwa auf die Webseiten der Bundesverwaltung. Laut Selenskyj machte Russland im Vorfeld Druck auf befreundete Länder, nicht an der Konferenz teilzunehmen. Russland verschärfte auch die Rhetorik gegenüber der Schweiz. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow bezeichnete die Schweiz als «offen feindseliges Land». Sie sei deshalb für Verhandlungen über den Ukraine-Konflikt nicht geeignet.

Propaganda soll gemäss Experten die Legitimität des Gipfels untergraben. Im russischen Fernsehen wurde jüngst Bundespräsidentin Viola Amherd in einer Diskussionssendung massiv verunglimpft. Sie sei geldgierig und nicht besonders attraktiv, hiess es da. Sie wurde als «Babymörderin» und «Satanistin» beschimpft. Amherd nannte die Aussagen «daneben» und bezeichnete sie als Propaganda.

WIE LÄUFT DIE KONFERENZ AB?

Wie läuft die Konferenz ab?

Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj reiste bereits am Freitag an. Die übrigen Staatsgäste sollen im Verlauf des Samstagnachmittags auf dem Bürgenstock eintreffen. Am frühen Abend findet die Begrüssungszeremonie statt mit anschliessenden Eröffnungsreden. Die danach beginnende Konferenz sieht den Austausch im Plenum in Anwesenheit aller Delegationsleiter vor, aber auch Diskussionen zu verschiedenen Themen in kleineren Formaten. Für Sonntagmittag sind Abschlussreden geplant. Am Nachmittag sollen Medienkonferenzen zur Bilanz stattfinden.

Welche Sicherheitsmassnahmen gelten?

Weil eine Vielzahl völkerrechtlich geschützter Personen anreisen, sind die Sicherheitsvorkehrungen für diesen Anlass in der Schweiz beispiellos. Sie sind noch strenger als am WEF in Davos GR – so dürfen etwa Journalisten und Journalistinnen keine Flüssigkeiten oder Wasserflaschen mitbringen.

Hunderte Polizisten sind im Einsatz, hinzu kommen bis zu 4000 Armeeangehörige für den Schutz von Anlagen, zur Überwachung oder auch für Transporte. Bewaffnete Kampfflugzeuge des Typs F/A-18 patrouillieren permanent.

Der Luftraum ist rund vierzig Kilometer rund um den Bürgenstock seit Donnerstag und bis am Montag gesperrt – selbst das Gleitschirmfliegen oder das Drachensteigenlassen sind untersagt. In einer roten Kernzone sind Outdoor-Aktivitäten wie Biken, Joggen oder Bräteln verboten. Einschränkungen gibt es auch beim Baden im Vierwaldstättersee. Es gibt Kontrollen und zeitweise Strassensperrungen für Konvois.

Der Bund unterstützt Nidwalden auch beim Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen Bedrohungen und bei möglichen Hackerangriffen. Laut Verteidigungsministerin Viola Amherd ist der Bürgenstock ein «idealer Standort, um die Sicherheit gewährleisten zu können».

Warum findet die Konferenz in der Schweiz statt?

Die Schweiz organisiert die Konferenz auf Bitte der Ukraine. Für die Vorbereitung des Anlasses gab es zwei Arbeitsgruppen unter der Leitung von Botschafter Gabriel Lüchinger und Aussenminister Ignazio Cassis. Die Schweiz ist regelmässig Gastgeberin von Verhandlungen oder Vermittlerin für Gespräche und Treffen. 2022 richteten die Schweiz und die Ukraine in Lugano TI eine Konferenz für einen Wiederaufbau der Ukraine aus.

Was kostet die Konferenz?

Die Kosten hängen von der Anzahl der teilnehmenden Delegationen ab. Zuletzt rechnete der Bund mit einem Kostendach von 10 bis 15 Millionen Franken, davon 10 Millionen Franken für die innere Sicherheit.

Wie geht es nach der Konferenz weiter?

Aussenminister Ignazio Cassis sagte, die Schweiz sei mit vielen Ländern in Diskussionen, wo und wann ein zweiter Schritt nach dem Bürgenstock erfolgen könne. Die Bürgenstock-Konferenz sei der erste Schritt. Die Frage sei nicht, ob Russland im Prozess dabei sei, sondern ab wann. Ziel ist laut Cassis auch, dass die Schweiz an der Medienkonferenz nach dem Bürgenstock-Treffen bekanntgeben könne, wo eine Nachfolgekonferenz stattfinde. Es gebe Länder, die sich dafür interessierten. «Wir sind bereit, die Verantwortung zu übergeben und den Prozess mit anderen Aufgaben weiter zu begleiten, falls dies gewünscht wird», sagte Cassis. (cst/sda)

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9 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Steibocktschingg
15.06.2024 10:56registriert Januar 2018
Es wäre an der Zeit, dass die Schweiz endlich Farbe bekennt und sich klar auf die Seite der Ukraine stellt. Genug oft von Russland beschimpft und angegriffen wurden wir ja.
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