International
Schweiz

EU-Verhandlungen: Irgendwas muss sie der Schweiz zugestehen

Switzerland's President Viola Amherd, left, shakes hands with European Commission President Ursula von der Leyen prior to a meeting at EU headquarters in Brussels, Monday, March 18, 2024. (AP Pho ...
Los geht's: Bundespräsidentin Viola Amherd gibt mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Startschuss für die neuen Verhandlungen mit der EU.Bild: keystone

Weshalb die EU einknicken muss, wenn es mit den Verhandlungen etwas werden soll

Egal, was die Schweiz in Brüssel aushandelt: Am Schluss dürfte das neue EU-Paket über die Zuwanderungsfrage entschieden werden. Haben die Parteien von FDP, Mitte bis SP noch die Kraft, die Personenfreizügigkeit ein drittes Mal zu retten?
25.03.2024, 03:2125.03.2024, 05:29
Remo Hess, Brüssel / ch media
Mehr «International»

Wenn das mal kein denkwürdiger Start für die Verhandlungen mit der europäischen Union war: Während Bundespräsidentin Viola Amherd in Brüssel in farblicher Harmonie mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen in die Kamera lächelte, zündeten in der Heimat die Gewerkschaften eine Stinkbombe.

In einem Brief an den Bundesrat lassen die Genossen wissen, dass sie keine Lust mehr auf die «nutzlosen Sitzungen» am runden Tisch mit den Arbeitgebern haben. Die Regierung habe ihre Forderungen zum Lohnschutz ignoriert und deshalb fühle man sich vorerst nicht mehr zur konstruktiven Zusammenarbeit verpflichtet.

Das sitzt. Ohne die Gewerkschaften an Bord zu haben, machen die Verhandlungen in Brüssel eigentlich keinen Sinn mehr. Dies, zumal nun klar ist, dass die SVP ihre Initiative gegen eine «10-Millionen-Schweiz» zur Begrenzung der Bevölkerungszahl zustande bringt und am 3. April offiziell einreichen wird. Sie zielt indirekt auf die Personenfreizügigkeit und will diese nach Masseneinwanderungsinitiative und Begrenzungsinitiative nun zum dritten Mal ins Visier nehmen.

Tatsächlich ist es das Unbehagen über die anhaltend hohe Zuwanderung, das die neuen Verhandlungen mit der Europäischen Union überschattet – und letztlich auch entscheiden dürfte. Die dynamische Rechtsübernahme und die Rolle des Europäischen Gerichtshof (EuGH) sind allein schon grosse Kröten, die die Schweiz zu schlucken hat. Umso mehr dürfte die Freizügigkeit und die mit ihr verbundenen negativen Auswirkungen in den Vordergrund rücken, sollte es dereinst zu einer Volksabstimmung über das neue EU-Paket kommen.

Der Bundesrat hat das Unbehagen erkannt und die Forderung nach einer «Schutzklausel» in das Verhandlungsmandat aufgenommen. Ziel ist es, einen Mechanismus zu finden, um bei übermässiger Zuwanderung in die Schweiz eine Art «Notbremse» anzuwenden. Ob die Schweiz damit Erfolg haben wird, ist schwierig abzuschätzen.

Die Chancen stehen eher schlecht: Bis jetzt weigert sich die EU kategorisch, eine ihrer vier Grundfreiheiten anzutasten. Das mussten bereits die Brexit-Briten merken und daran ändert sich auch nichts, wenn selbst innerhalb der Union die ungebremste Zuwanderung immer mehr zu einem Reizthema wird. Siehe die Niederlande, wo der rechtsextreme Geert Wilders die Wahlen mit dem Versprechen gewann, die Zuwanderung zurückzufahren.

Die EU-Kommission dürfte in den Verhandlungen mit der Schweiz auf die tiefe Arbeitslosigkeit und die hohen Löhne verweisen, die europaweit ihresgleichen suchen. Aus Brüsseler Sicht ist trotz rekordhoher Zuwanderungsraten alles in Butter. Die Schweizer Wirtschaft läuft wie am Schnürchen. Dass die Wohnungen knapp werden, dass es in den Zügen und auf der Autobahn immer enger wird? Hausgemachte Probleme.

Irgendetwas wird die EU der Schweiz am Schluss aber wohl zugestehen müssen. So viel Weitsicht müsste eigentlich auch in der EU-Hauptzentrale verbreitet sein, will sie wirklich, dass ein neuer Deal gelingt. Wie wäre es mit einer regional beschränkten Schutzklausel? Eine für das Tessin, für die Genferseeregion, für den Grossraum Zürich und die Nordwestschweiz? Die Regionen würden sich wahrscheinlich zweimal überlegen, die Notbremse zu ziehen, weil damit auch Wettbewerbsnachteile verbunden wären.

Aber selbst wenn die Operation Schutzklausel gelingen sollte, stellt sich die Frage: Ist in den bürgerlichen Parteien noch genügend Kraft vorhanden, die Bilateralen samt Personenfreizügigkeit ein weiteres Mal zu verteidigen?

Finden die Politiker von Mitte und FDP den Mut, hinzustehen und gegen die SVP anzutreten, wenn diese das Schreckgespenst der «Abschaffung der direkten Demokratie» an die Wand malt? Schaffen sie es, zusammen mit der gemässigten Linken die wirtschaftliche und gesellschaftliche Offenheit zu verteidigen, die zum Erfolgsmodell Schweiz beigetragen hat?

Es wäre in einer Welt, die immer unsicherer wird, keine gute Sache, wenn sie bloss noch zum Rückzug blasen würden. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
145 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Padi76b
25.03.2024 06:05registriert Dezember 2020
"Schaffen sie es [...] die wirtschaftliche und gesellschaftliche Offenheit zu verteidigen, die zum Erfolgsmodell Schweiz beigetragen hat?"

Zuerst sollten wir mal genau diese ständig repetierten Eigen-Lobeshymnen hinterfragen und offen diskutieren. Wenn ich Daten wie BIP-Wachstum pro Kopf oder Reallohn-Entwicklung anschaue, dann habe ich grosse Zweifel daran, dass alles so toll ist wie uns die Wirtschafts-Lobbies gerne erzählen. Die einzigen, die von unserem primär mengenmässigen Wachstum profitieren sind etablierte Firmen. Aber was bringt es dem einzelnen Arbeitnehmer/Einwohner im Alltag?
7316
Melden
Zum Kommentar
145
Ab Mittwoch kehrt der Sommer zurück
Die Sommerhitze macht vorläufig Pause. Allerdings nicht lange. Noch diese Woche klettern die Temperaturen wieder in die Höhe. Wer nicht so lange warten kann, muss in die Sonnenstube.

Plötzlich wieder lange Hosen, plötzlich wieder Jacken. Die Sommerkleider müssen am Montag im Schrank bleiben. Mit etwas Glück schaffen es die Temperaturen knapp über 20 Grad, vielerorts dürften sie sogar darunter bleiben. In St. Gallen beispielsweise werden laut Meteonews 17 Grad erwartet, in Bern und Zürich 19.

Zur Story