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Hälfte Guyanas gilt für Venezuela jetzt als Bundesstaat – Eskalation droht

FILE - A boy drives a motorcycle in front of a mural of the Venezuelan map with the Essequibo territory included in the 23 de Enero neighborhood of Caracas, Venezuela, Monday, Dec. 11, 2023. Venezuela ...
Ein Junge fährt auf einem Motorrad vor einer Wandmalerei der venezolanischen Landkarte mit dem inkludierten Essequibo-Gebiet vorbei.Bild: keystone

Hälfte Guyanas gilt für Venezuela jetzt als Bundesstaat – Eskalation droht

Im vergangenen Dezember stimmte die venezolanische Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit dafür, dass die Region Essequibo in Guyana zu Venezuela gehören soll. Während Präsident Maduro nun die nächste Eskalationsstufe eingeläutet hat, schwört Guyana Widerstand.
05.04.2024, 12:4505.04.2024, 15:20
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Seit einem umstrittenen venezolanischen Referendum, wonach eine Region in Guyana zu Venezuela gehören sollte, brodelt es zwischen den zwei südamerikanischen Ländern. Zuletzt aber schien sich die Situation beruhigt zu haben. Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro und der guyanische Präsident Irfaan Ali begegneten sich vor einem Monat an einem Gipfel der Lateinamerikanischen und Karibischen Inseln (CELAC). Dort schüttelten sie sich die Hände und übergaben sich Geschenke.

epa11191979 A handout photo made available by Prensa Miraflores shows the Presidents of Venezuela Nicolas Maduro (L) and of Guyana Irfaan Ali (R) in an exchange of gifts during a meeting in which they ...
Hier lachten sie noch: der venezolanische Präsident Nicolás Maduro und der guyanische Präsident Irfaan Ali.Bild: keystone

Laut Medienberichten sollen sich die beiden Amtskollegen gar «Frieden und Liebe» gewünscht haben. Diese Wünsche schienen allerdings nicht über alles erhaben gewesen zu sein, denn diese Woche läutete Maduro im Konflikt um die Region Essequibo die zweite Runde ein.

Was ist passiert?

Maduro hatte am Mittwoch ein Gesetz erlassen, wonach die Region Essequibo zum 24. Bundesstaat Venezuelas wird. Zudem sieht es «die Bereitstellung und Bildung einer Hohen Kommission des Staates und des Landes zur Verteidigung von Guayana Esequiba» vor, wie der Bundesstaat heissen würde.

Das Gesetz basiert auf einem umstrittenen Referendum, welches Maduro Anfang Dezember abhalten liess. Dort sprachen sich nach offiziellen Angaben 96 Prozent der Teilnehmenden für den Anschluss Essequibos aus. Am Mittwoch betonte Maduro, wie ernst er es mit der Umsetzung dieses Referendums nahm:

«Die Entscheidung, die das venezolanische Volk in dem konsultativen Referendum getroffen hat, wird in allen ihren Teilen erfüllt werden, und mit diesem Gesetz werden wir Venezuela auf der internationalen Bühne verteidigen.»
File - Venezuela's President Nicolas Maduro speaks to supporters during an event marking the anniversary of the 1992 failed coup led by late President Hugo Chavez, at the Miraflores Presidential  ...
Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro will das Referendum in die Tat umsetzen.Bild: keystone

Auch der Präsident des venezolanischen Nationalrats, Jorge Rodríguez, lässt in seiner Aussage keine Zweifel an dem Vorhaben aufkommen:

«Es ist ein Gesetz zur Verteidigung eines Territoriums, das uns gehört, zur Verteidigung eines Meeres, das uns gehört, und zur Verteidigung eines Ökosystems, das von Ölkonzernen und Bergbaupiraten brutal angegriffen wird.»
epa11256317 President of the National Assembly, Jorge Rodriguez, participates in a session of the chamber of sessions of the Federal Legislative palace in Caracas, Venezuela, 02 April 2024. The Govern ...
Jorge Rodríguez am 2. April im venezolanischen Parlament.Bild: keystone

Dem Gesetz muss sich auch die venezolanische Bevölkerung beugen, wie die BBC Mundo schreibt. Wer Karten oder Dokumente verbreitet, auf dem die Souveränität des neuen Bundesstaats nicht abgebildet wird, kann mit einer Busse von bis zu 100'000 Dollar bestraft werden.

Was sagt Guyana?

Die Regierung des südamerikanischen Guyanas wehrt sich gegen die angestrebte Vereinnahmung seiner ölreichen Region Essequibo. Man werde die «Annexion, Beschlagnahme oder Besetzung eines Teils seines Hoheitsgebiets nicht dulden», hiess es in einer vom Aussenministerium veröffentlichten Mitteilung vom Donnerstag.

President of Guyana Irfaan Ali delivers remarks at a reception during the Canada-CARICOM Summit in Ottawa, Ontario, on Wednesday, Oct. 18, 2023. (Spencer Colby/The Canadian Press via AP)
Irfaan Ali will die Ansprüche Maduros nicht dulden.Bild: keystone
«Der Versuch Venezuelas, mehr als zwei Drittel des Hoheitsgebiets Guyanas zu annektieren und zu einem Teil Venezuelas zu machen, ist ein ungeheuerlicher Verstoss gegen die elementarsten Grundsätze des Völkerrechts, die in der Charta der Vereinten Nationen, der Charta der Organisation Amerikanischer Staaten und im Völkergewohnheitsrecht verankert sind.»

Zudem wird in der Mitteilung auf einen Gipfel im vergangenen Dezember verwiesen, bei dem sich Maduro und Ali darauf einigten, in diesem Konflikt keine Gewalt anzuwenden. Im ersten Punkt der Vereinbarung heisst es etwa:

«Es wurde vereinbart, dass Guyana und Venezuela unter keinen Umständen, weder direkt noch indirekt, einander Gewalt androhen oder anwenden werden, auch nicht im Zusammenhang mit bestehenden Kontroversen zwischen den beiden Staaten.»

Im Anschluss an das Treffen versprühte Maduro auf Twitter noch Optimismus:

«Wir haben einen grossen, historischen Schritt getan, um auf den Weg der Legalität, des Dialogs und des Friedens zurückzukehren. Das ist unser Weg.»

Von diesem Weg scheint Maduro nun wieder abkehren zu wollen. Darauf verweist auch die Mitteilung der guyanischen Regierung:

«Es widerspricht auch dem Wortlaut und dem Geist der Gemeinsamen Erklärung von Argyle für Dialog und Frieden zwischen Guyana und Venezuela, die im Dezember 2023 in St. Vincent und den Grenadinen vereinbart wurde.»

Wie geht es weiter?

Der Generalstaatsanwalt Guyanas, Anil Nandlall, liess verkünden, dass er angesichts der neuen Bedrohungen gegen sein Land die Unterstützung der Karibischen Gemeinschaft (Caricom) und der Interparlamentarischen Union (IUP) suchen werde. Auf Antrag Guyanas befasst sich auch der Internationale Gerichtshof (IGH) mit dem Fall.

Mit dieser Entwicklung schien Maduro gerechnet zu haben, denn er hat bereits vorgesorgt: Sein Land lehnt die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshof ab – und hat dies auch direkt in dem am Mittwoch verabschiedeten Gesetz verankert.

Mit diesem neuen Gesetz wächst die Befürchtung, dass Maduros Armee in die Region einmarschieren und einen Krieg auslösen könnte. Bei der Unterzeichnung des Gesetzes warf der venezolanische Präsident seinem Amtskollegen seinerseits vor, eine Eskalation zu provozieren, indem er die Errichtung von US-Militärstützpunkten zuliesse:

«Wir haben Informationen darüber erhalten, dass auf dem vorübergehend von Guyana verwalteten Territorium Guyana Essequiba geheime Militärstützpunkte des Südkommandos, Militärzentren und CIA-Zentren eingerichtet wurden.»

Die neusten Entwicklungen werden von Expertinnen und Experten mit Besorgnis beobachtet. Carlos Romero, Professor an der School of International Studies der Central University of Venezuela (UCV), sagte gegenüber BBC Mundo:

«Das Gesetz wird nichts dazu beitragen, den bilateralen Konflikt zu lösen und den Frieden in der Region zu garantieren.»

Um welches Gebiet geht es?

Das Gebiet Essequibo (spanisch: Guayana Esequiba, auch Territorio del Esequibo) liegt westlich des Flusses Esequibo und gehört staatsrechtlich zum heutigen Guyana. Mit einer Grösse von rund 159'000 km² macht das Gebiet etwa 62 Prozent des gesamten guyanischen Staatsterritoriums aus.

Hellrosa eingefärbt ist Guyana, pink umrandet ist das betroffene Gebiet Essequibo.watson

Allerdings ist Essequibo im Vergleich extrem dünn besiedelt: 2010 lebten dort 283'000 Menschen, was einer Bevölkerungsdichte von rund 1,77 Einwohnern pro km² entspricht.

Venezuela erhebt seit langem Anspruch auf das rohstoffreiche Gebiet. Die derzeitigen Grenzen wurden 1899 in einem Schiedsspruch eines Tribunals in Paris festgelegt, den die USA und Grossbritannien veranlasst hatten. Venezuela beruft sich auf ein Abkommen mit dem Vereinigten Königreich von 1966 – wenige Monate, bevor die damalige Kolonie Britisch-Guayana unabhängig wurde. Dieses sah eine Verhandlungslösung des Disputs vor.

Der neu entfachte Konflikt dürfte nicht zuletzt mit dem immensen Ölvorkommen zu tun haben, welches 2015 vor Guyanas Küste entdeckt worden war. Dieses bescherte dem englischsprachigen Land – bislang eines der ärmsten Südamerikas – mittlerweile das weltweit grösste Wirtschaftswachstum.

Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA

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90 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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scrum-half
05.04.2024 13:00registriert Oktober 2023
Dieser Titel: „Die Hälfte Guyanas gilt jetzt als Bundesstaat Venezuelas“ - ist falsch. Das tut das Gebiet nämlich nicht, denn dieser Transfer ist nicht völkerrechtlich anerkannt. Es handelt sich um versuchten Landraub, genau so, wie das das Russische Reich in der Ukraine und in Georgien praktiziert.
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Händlmair
05.04.2024 13:11registriert Oktober 2017
Mich würde es wunder nehmen, was Putin Maduro versprochen hat, wenn dieser einen weiteren Konfliktherd öffnet um den Westen und die USA zu destabilisieren.

Hier müsste der UN-Sicherheitsrat bereits eine Resolution vorbereitet haben, das in dem Fall, das Venezuela in das Gebiet von Essequibo Einmarschiert, eine Internationale Schutzmacht, Guyana zur Seite steht und Maduro soll international zur Fahndung ausgeschrieben werden.

Ich bin jedoch sicher, das genau das nicht passieren wird.
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Cotten91
05.04.2024 12:51registriert September 2019
Guyana soll doch abstimmen, ob das Staatsgebiet von Venezuela zu Guyana gehören soll, mal schauen wie Maduro die eigene Medizin schmeckt
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    «Vielleicht hat Trumps absurde Zolltarif-Karte zu einer historischen Wende geführt»
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