Am Sonntag hat die venezolanische Bevölkerung laut Angaben der autoritären Regierung mit grosser Mehrheit den Anspruch Venezuelas auf die Region Essequibo im Nachbarland Guyana unterstützt. Knapp 96 Prozent der Teilnehmer bejahten am Sonntag die Frage, ob ein neuer Bundesstaat namens Guayana Esequiba geschaffen und die dortige Bevölkerung die venezolanische Staatsbürgerschaft bekommen soll, wie die Wahlbehörde CNE am Abend (Ortszeit) mitteilte.
Die Wahlbeteiligung an dem Referendum gab CNE mit rund 51 Prozent an, die Bevölkerung von Essequibo war nicht beteiligt. Welche weiteren Schritte die venezolanische Regierung nun einleiten wird, war zunächst unklar. Präsident Nicolás Maduro feierte vor Hunderten Anhängern das Ergebnis auf der Plaza Bolívar der Hauptstadt Caracas als Sieg für Venezuela.
Das Gebiet Essequibo (spanisch Guayana Esequiba, auch Territorio del Esequibo) liegt westlich des Flusses Esequibo und gehört staatsrechtlich zum heutigen Guyana. Mit einer Grösse von rund 159'000 km² macht das Gebiet etwa 62 Prozent des gesamten guyanischen Staatsterritoriums aus.
Allerdings ist Essequibo im Vergleich extrem dünn besiedelt: 2010 lebten dort 283'000 Menschen, das macht eine Bevölkerungsdichte von rund 1,77 Einwohner pro km².
Esequibo war bereits im 19. Jahrhundert ein umstrittenes Gebiet. Während der Kolonialzeit legte das britische Königreich nach langen Streitigkeiten die Grenzen seiner Kolonie Britisch-Guyana 1814 im Osten mit den Niederländern vertraglich fest. Die Grenze im Westen zum 1830 eigenständig gewordenen Venezuela wurden jedoch erst 1840 durch einen von Grossbritannien beauftragten, deutschen Botaniker festgelegt.
Dessen Grenzziehung bevorteilte das Vereinigte Königreich und griff in das (heutige) venezolanische Staatsgebiet ein. Infolgedessen anerkannte Venezuela diese nicht an. Erst 1897 willigte Venezuela ein, sich einer internationalen Juristenkommission zu unterwerfen. Diese urteilte 1899 weitgehend zugunsten Grossbritanniens.
Seither hat Venezuela immer wieder seine Ansprüche an das Gebiet international erneuert. Mehrmals kam es zu Zwischenfällen. So vergab beispielsweise der damalige venezolanische Präsident Hugo Chávez 2015 eine Konzession zur Exploration der Erdölvorkommen im Meeresgebiet von Essequibo an den US-Konzern ExxonMobil. 2004 hatte er der Guyanischen Regierung noch zugesichert, Venezuela werde sich nicht in die Erdölgeschäfte in Essequibo einmischen.
Im Oktober hatte die Opposition in Venezuela unerwarteten Aufwind erhalten. Die ehemalige Mitte-Rechts-Politikerin Maria Corina Machado hatte Präsident Maduro wegen der weiterhin grassierenden Inflation und der Nahrungsmittelknappheit im Land angegriffen, wie das US-Portal CNN schreibt.
Ein Analyst der International Crisis Group erklärte gegenüber dem Portal: «Eine autoritäre Regierung, die mit einer schwierigen politischen Situation konfrontiert ist, ist immer versucht, sich nach einem patriotischen Thema umzusehen, um sich die Fahne umzuwerfen und um Unterstützung zu werben, und ich denke, das ist ein grosser Teil dessen, was Maduro tut.»
Essequibo ist jedoch nicht nur aus patriotischer Sicht interessant für den autokratischen Herrscher: Die Ölfelder vor der Küste sind äusserst ertragreich. So ist Guyana laut CNN auf dem Weg, der viertgrösste Erdölproduzent der Welt zu werden.
Guyana sieht durch das Referendum seine Sicherheit gefährdet. «Ich habe eine Botschaft für Präsident Maduro: Nichts, was Sie sagen, keine Propaganda oder Lüge wird die Herzen der Guyaner mit Angst erfüllen», sagte Guyanas Präsident Irfaan Ali laut einem Bericht der Zeitung «Guyana Chronicle» während einer Rede im National-Stadion. «Lasst mich sehr klar sein: Auf uns kann man nicht herumtrampeln.»
In einer TV-Ansprache am späten Dienstagabend erklärte Ali den 800'000 Bewohnern Guyanas: «Ich habe mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und mehreren Staatsoberhäuptern gesprochen und sie auf diese gefährlichen Entwicklungen und die verzweifelten Aktionen von Präsident Maduro aufmerksam gemacht.»
Er fügte an, dass er speziell bei der Karibischen Politischen Gemeinschaft, der Caricom, sowie bei den Vereinigten Staaten Unterstützung ersucht habe. Dabei war es Ali wichtig zu betonen, dass sich ausländische Investoren in Guyana keine Sorgen um ihre Kapitalanlagen machen müssen, da die internationale Gemeinschaft auf Seiten Guyanas stehe.
Präsident Ali machte lezte Woche einen Truppenbesuch im Gebiet Essequibo und hisste «dramatisch» eine Guyanische Flagge auf einem Berg, der die Grenze übersieht, so CNN.
Der internationale Gerichtshof hatte bereits vor dem Referendum Venezuela verordnet:
António Guterres, Generalsekretär der vereinten Nationen, hatte bereits im November erklärt, er verfolge die Situation mit grosser Sorge. Brasilien hat derweil seine Truppen im Nordwesten des Landes an den Grenzen zu Venezuela und Guyana verstärkt, so «le monde».
Maduro präsentierte vor den Medien eine neue Landkarte, auf welcher das Gebiet Essequibo bereits als Teil Venezuelas gezeigt wird. Daraufhin ordnete er an, dass diese Karte sofort an alle Schulen und Universitäten des Landes verteilt werde.
Der venezolanische Präsident hat zudem eine Ausarbeitung eines Gesetzes angeordnet, welches das Gebiet Essequibo formell zu einem venezolanischen Bundesstaat machen würde. Darüber hinaus hat er die nationalen Erdölgesellschaften angewiesen, in Essequibo mit der Ölförderung zu beginnen.
Wie es nun tatsächlich weitergeht, ist unklar. Die Aussagen Maduros sorgen für Verunsicherung. Brasilien reagierte und verstärkte zuletzt seine Grenze zu Venezuela mit gepanzerten Fahrzeugen.
Eine militärische Intervention seitens Venezuela würde allerdings sicherlich auf internationalen Widerstand stossen, so CNN.
Die meisten venezolanischen Oppositionellen leben bereits im Ausland. Grund dafür ist unter anderem, dass sie sich in ihrem Heimatland politischer Verfolgung ausgesetzt sehen, dieser Ansicht folgt auch die USA. Gegen 14 Mitglieder der Opposition wurden von Maduros Regierung nun Haftbefehle erlassen. Der Vorwurf lautet Landesverrat und Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Unter den 14 Angeklagten befinden sich auch drei Mitarbeiter der wichtigsten Oppositionellen María Corina Machado. Sie will in den kommenden Wahlen 2024 gegen Präsident Maduro antreten, obwohl ihr das Ausüben eines politischen Amtes im Juli 2023 per Gerichtsentscheid für 15 Jahre verboten wurde.
Der selbst ernannte Interimspräsident Venezuelas Juan Guaidó ist ebenfalls unter den 14 Angeklagten. Er war von 2019 bis 2020 Präsident der venezolanischen Nationalversammlung und bis 2023 Oppositionsführer. Seit dem Frühjahr 2023 befindet er sich mit einem Touristenvisum in Miami, USA.
(Ergänzt mit Material der SDA)