Die USA hatten am Donnerstag überraschend eine Waffenruhe im Nordsyrien-Konflikt verkündet. Die Türkei habe zugesagt, ihren Militäreinsatz gegen kurdische Milizen für fünf Tage zu stoppen, sagte US-Vizepräsident Pence nach Gesprächen in Ankara. Ziel sei, dass die Kämpfer der YPG-Miliz abziehen können. Nach dem vollständigen Abzug der Kurdenmilizen solle die Offensive ganz beendet werden.
Eine hochkarätige US-Delegation unter Führung von Pence hatte das Abkommen am Donnerstag in mehrstündigen Verhandlungen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan erzielt. Unklar ist allerdings, ob alle Parteien von den gleichen Grundvoraussetzungen ausgehen.
Die kurdischen Kräfte im Nordosten Syriens liessen verlauten, sie seien bereit, die zwischen den USA und der Türkei ausgehandelte Feuerpause zu akzeptieren. «Wir werden alles tun, damit die Waffenruhe ein Erfolg wird», sagte der Kommandant der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Maslum Abdi, dem kurdischen Fernsehsender Ronahi TV. Die Vereinbarung beinhalte auch die Rückkehr Vertriebener in ihre Häuser, sagte Abdi. Zehntausende waren zuletzt in der Region auf der Flucht.
Nach Abdis Worten gilt die Vereinbarung nur für das Gebiet zwischen den Städten Ras al-Ain und Tall Abjad. Das wäre nur ein kleiner Teil der sogenannten Sicherheitszone, die die Türkei seit langem entlang der Grenze einrichten will und aus der sie mit ihrer Offensive alle Kurdenmilizen vertreiben wollte. Die gemeinsame Erklärung der USA und der Türkei definiert das Ausmass der betroffenen Zone nicht. Der US-Sonderbeauftragte für die Anti-«IS»-Koalition, James Jeffrey, sagte in einem Pressebriefing, das Abkommen beziehe sich nur auf das Gebiet, in das die Türkei während ihrer Offensive schon vorgedrungen war und wo sie noch kämpfe. Das schien die Sichtweise der Kurden zu unterstützen.
Eher nicht. Der türkische Aussenminister Mevlut Cavusoglu sagte in einer Pressekonferenz am Abend, dass die Türkei nach wie vor danach strebe, «dass in 20 Meilen, also 32 Kilometern Tiefe, und östlich des Euphrats bis zur irakischen Grenze, also auf einer Länge von 444 Kilometern, kein Terrorist übrig bleibt und die gesamte Region als Sicherheitszone etabliert wird». Die türkische Seite sprach zudem ausdrücklich nicht von einer Waffenruhe, sondern von einer Unterbrechung der Offensive.
Laut US-Vize Pence haben sich die Türkei und die USA dazu verpflichtet hätten, den «IS» in Nordostsyrien gemeinsam zu besiegen. Dabei soll es auch um die Koordinierung von Massnahmen zu Gefangenenlagern mit «IS»-Insassen und zu Binnenflüchtlingen in vormals von der Islamistenmiliz kontrollierten Gegenden gehen. Kurdenmilizen hatten bisher auch Lager mit gefangen genommenen «IS»-Kämpfern bewacht. Vor der Einigung hatte es von kurdischer Seite geheissen, angesichts der türkischen Offensive hätten die von Kurden angeführten SDF den Kampf gegen den «IS» ausgesetzt.
Sollte die Waffenruhe halten, würden die USA ihre Sanktionen gegen die Türkei wieder aufheben, kündigte Pence an. Zudem würden vorerst keine weiteren Strafmassnahmen gegen die Türkei verhängt. Die USA hatten wegen der Offensive Sanktionen gegen türkische Minister und Ministerien verhängt sowie die Anhebung von Strafzöllen auf Stahlimporte aus der Türkei und den Abbruch von Gesprächen über ein Handelsabkommen angekündigt. Dieser Schritt hatte allerdings zunächst kaum Wirkung gezeigt.
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich äusserst zurückhaltend geäussert. In einer in der Nacht zum Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel verabschiedeten Erklärung heisst es lediglich, der Europäische Rat nehme die amerikanisch-türkische Ankündigung über eine Unterbrechung aller militärischer Operationen zur Kenntnis. Statt die Einigung zu begrüssen, forderte die EU die Türkei erneut auf, den Militäreinsatz ganz zu beenden und die Truppen zurückziehen.
Nun, der US-Präsident Donald Trump die militärische Auseinandersetzung zwischen der Türkei und Kurdenmilizen in Nordsyrien mit einem Gerangel zwischen zwei Kindern verglichen. «Manchmal muss man sie ein bisschen kämpfen lassen», sagte Trump am Donnerstagabend bei einem Wahlkampfauftritt in Dallas im US-Bundesstaat Texas mit Blick auf den Konflikt. «Wie zwei Kinder [...], und dann zieht man sie auseinander.» (mlu/sda/dpa)
Lass die beiden Staaten wie kleine Kinder raufen, dann auseinanderziehen und die vertragen sich wieder. Nur heisst das in diesem Kontext: Zuerst müssen tausende unschuldig abgeschlachtet werden, bevor man sich wieder ganz soll lieb haben darf (oder sollte).