«Nichts und niemand in Aleppo ist sicher», sagte IKRK-Präsident Peter Maurer. «Ständig gibt es Beschuss, mit Häusern, Schulen und Krankenhäusern in der Schusslinie. Menschen leben in einem Zustand der Angst. Kinder sind traumatisiert. Das Ausmass des Leidens ist immens.»
Daneben fehlt es in der zweitgrössten syrischen Stadt an Wasser, Strom und Medikamenten. Die Truppen des Assad-Regimes halten mit russischer Unterstützung den Westen der Stadt, den Osten kontrollieren mehrheitlich islamistische Rebellen.
Das traurige Schicksal Aleppos erinnert an andere umkämpfte Städte, in denen die Bevölkerung zum Opfer des Krieges wurde.
Nie gab es eine tödlichere Belagerung als jene von Leningrad. Während der 872 Tage dauernden Blockade im Zweiten Weltkrieg kamen in der Stadt schätzungsweise 1,1 Millionen Zivilisten ums Leben – mehr als in Stalingrad, mehr als in Hiroshima und Nagasaki zusammen. Die Blockade von Leningrad war eines der schlimmsten Kriegsverbrechen der Wehrmacht.
Anfang September 1941 rückten 42 deutsche Divisionen von Süden und Osten her auf die zweitgrösste Stadt der Sowjetunion vor, die heute wieder Sankt Petersburg heisst. Im Norden standen die mit der Wehrmacht verbündeten finnischen Truppen. 30 sowjetische Divisionen, unterstützt von hunderttausenden von Zivilisten, verteidigten den «Leningrader Kessel», der nur aus der Luft und im Winter über das Eis des zugefrorenen Ladoga-Sees versorgt werden konnte. Etwa eine Million Einwohner konnte bis 1942 in Sicherheit gebracht werden.
Die ursprünglich geplante Eroberung Leningrads wurde auf Befehl Hitlers abgebrochen. Die Stadt sollte stattdessen ausgehungert werden. In der belagerten und von der deutschen Artillerie und Luftwaffe beschossenen Stadt spielten sich furchtbare Szenen ab. Der Hunger wütete unter den Einwohnern, die Kälte – im Winter 1941 fiel das Thermometer auf eisige minus 40 Grad – gab ihnen den Rest. An den Stadträndern türmten sich die Leichen, die im gefrorenen Boden nicht begraben werden konnten.
Die Lebensmittelrationen, zuerst 450 Gramm Brot täglich, wurden immer kleiner. Die Menschen assen Katzen, Hunde und schliesslich Ratten; das Brot wurde mit Sägemehl gestreckt. Allein im ersten Blockadewinter registrierten die Behörden 1000 Fälle von Kannibalismus. Zehntausende verhungerten jeden Monat. Erst am 18. Januar 1944 gelang es der Roten Armee, den deutschen Belagerungsring zu sprengen.
«Die 900 Tage von Leningrad»: Teil 2 / Teil 3
Höchstwahrscheinlich hatte die Wehrmacht den Krieg gegen die Sowjetunion schon im Dezember 1941 verloren, als der Angriff auf Moskau zurückgeschlagen wurde. Doch die psychologische Wende kam erst mit der Schlacht um Stalingrad, in der Hitlers 6. Armee unterging.
Die 6. Armee erreichte die Industriestadt an der Wolga – heute heisst sie Wolgograd – im September 1942. Schon zuvor war Stalingrad massiv bombardiert worden, dabei kamen über 40'000 Zivilisten ums Leben. Jetzt wurde die geschundene Stadt zum Schauplatz eines erbittert geführten Häuserkampfs. Die Sowjets kämpften um jedes Gebäude, um jede Strassenkreuzung. Als die Deutschen Mitte November etwa 90 Prozent der Stadt erobert hatten, lag sie nahezu vollständig in Ruinen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch etwa 75'000 Zivilisten in der Stadt; sie waren nicht rechtzeitig evakuiert worden. Weder Wehrmacht noch Rote Armee nahmen Rücksicht auf sie. Viele erfroren, viele verhungerten.
Am 19. November begann der sowjetische Zangenangriff auf die 6. Armee. Sie wurde in fünf Tagen eingekesselt. Einen Ausbruch der rund 250'000 Soldaten aus dem Kessel verbot Hitler; ein Entlastungsangriff der 4. Panzerarmee von Westen her blieb stecken. Im Kessel begann das grosse Sterben: Bis Ende Dezember kamen 80'000 Soldaten durch Unterernährung, Erschöpfung und Kälte um. Bis zum 2. Februar dauerte die Agonie der 6. Armee, dann kapitulierten deren letzte Reste.
In Stalingrad starben neben zehntausenden Zivilisten eine halbe Million sowjetische und über 150'000 deutsche Soldaten. Von den 91'000 deutschen Kriegsgefangenen kehrten bis 1956 nur noch 6000 nach Deutschland zurück.
Im Kessel – Trauma Stalingrad (2/2). Die Kapitulation
Am 30. Januar 1968, am Vorabend des vietnamesischen Neujahrsfests Tet Nguyen Dan, griffen der Vietkong und die nordvietnamesische Armee zahlreiche Ziele in Südvietnam an. Die Tet-Offensive überraschte die südvietnamesischen und amerikanischen Truppen völlig. Auch die alte vietnamesische Kaiserstadt Huê, nur etwa 80 Kilometer südlich der entmilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südvietnam gelegen, wurde von nordvietnamesischen Verbänden und Vietkong-Einheiten fast vollständig erobert.
Die Rückeroberung durch die südvietnamesische Armee und US-Marines begann bereits in den nächsten Tagen, doch erst Ende Februar zogen sich die Angreifer endgültig aus der Stadt zurück. Bis zu diesem Zeitpunkt tobten in der Stadt mehr als drei Wochen lang erbitterte Häuser- und Strassenkämpfe. Eine Frau, in deren Haus sich eine Vietkong-Einheit eingerichtet hatte, berichtete: «Sie sprengten Teile der Hausmauern weg, um Schussfeld zu haben, und legten dann in der Nachbarschaft ein Haus nach dem andern nieder.»
Die Schäden in Huê waren schwerwiegend; zahllose Häuser, die Brücke über den Parfüm-Fluss und die meisten Gebäude des Kaiserpalastes wurden zerstört; zehntausende Zivilisten wurden obdachlos. Ein US-Offizier fragte sich angesichts der Ruinen: «Mussten wir die Stadt zerstören, um sie zu retten?» Die Zivilbevölkerung litt nicht nur unter den Kämpfen – die Vietkong ermordeten tatsächliche und vermeintliche Antikommunisten, Behördenmitglieder, Katholiken und andere missliebige Personen. Bis zu 5000 Menschen, darunter Kinder, kamen in diesem Massaker zu Tode. Viele der Toten waren verstümmelt, einige waren lebendig begraben worden.
Die Verluste der Nordvietnamesen und Vietkong in der Tet-Offensive waren so enorm, dass sich zumindest der Vietkong bis zum Ende des Krieges nie mehr vollständig davon erholte. Doch obwohl die Angreifer sämtliche Geländegewinne bald wieder aufgeben mussten, war die Offensive ein Erfolg: Drei Wochen lang flimmerten die Schreckensbilder aus Vietnam über amerikanische Fernsehschirme und zerstörten nachhaltig die Zuversicht der Amerikaner, den Krieg gewinnen zu können. Die öffentliche Meinung in den USA begann sich gegen das Engagement in Vietnam zu kehren.
Seit über fünf Jahren wütet in Syrien der Bürgerkrieg. Weder die Truppen des Assad-Regimes noch die Rebellen nehmen Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Wie brutal das Regime vorgeht, wenn es sich bedroht fühlt, zeigte jedoch bereits das Massaker von Hama im Februar 1982. Die damals etwa 350'000 Einwohner zählende mittelsyrische Stadt war eine Hochburg der oppositionellen islamistischen Muslimbrüder – Feinde des eher säkular ausgerichteten Regimes von Hafis al-Assad, der sich auf die alawitische Minderheit stützte.
Als Armee-Einheiten in der Nacht auf den 2. Februar 1982 Verstecke der Muslimbrüder ausheben wollten, brach ein Aufstand der Islamisten los. Sie erstürmten Regierungsgebäude und ermordeten Parteifunktionäre und Beamte; am nächsten Tag proklamierten sie Hama zur befreiten Stadt. Assad regierte auf diese Provokation mit erbarmungsloser Brutalität: Panzer und schwere Artillerie umstellten die Stadt, die Luftwaffe bombardierte die Ausfallstrassen. Dann begann ein dreiwöchiger Artilleriebeschuss. Häuser stürzten über ihren Bewohnern ein, in den Strassengräben stapelten sich die Toten.
Spezialeinheiten drangen in die Stadt ein und brachten wahllos Menschen um. Ein Beteiligter erinnerte sich: «Wir fragen nicht nach den Namen und Überzeugungen. Egal ob Sunniten, Schiiten, Alawiten, Mädchen, Jungen, Alte – wir töten jeden. Wir gehen von Strasse zu Strasse, treiben die Menschen aus den Häusern und stellen sie am Ende der Strasse auf, um sie zu erschiessen. Manchmal 200, manchmal 400, manchmal 600. Ich sehe das alles noch vor mir.»
Die Grosse Moschee und die historische Altstadt, die zum Unesco-Welterbe gehörte, lagen in Schutt und Asche. Die Zahl der Opfer kann nur geschätzt werden; es waren vermutlich über 20'000. Zehntausende wurden verhaftet. Assads Grausamkeit war von Erfolg gekrönt: Er konnte sein wankendes Regime stabilisieren und den Muslimbrüdern in Syrien das Rückgrat brechen. Sie spielten in diesem Land jahrzehntelang keine Rolle mehr.
«Die Furchteinflössende» – so lautet der Name der Hauptstadt der autonomen russischen Republik Tschetschenien zu deutsch. Die jüngere Geschichte der Stadt ist ihrem Namen gerecht geworden: Zweimal innerhalb weniger Jahre ist Grosny von russischen Truppen eingenommen und verwüstet worden.
1994 entschloss sich der damalige russische Präsident Boris Jelzin, die nach Unabhängigkeit strebende nordkaukasische Republik mit Waffengewalt zu disziplinieren. Im damit entfesselten Ersten Tschetschenienkrieg marschierten rund 40'000 russische Soldaten in Tschetschenien ein. Nach zweimonatiger Belagerung nahmen sie Grosny ein. Dabei richteten die Russen mit Luftangriffen und massivem Artilleriebeschuss enorme Schäden an. Etwa 25'000 Menschen kamen dabei um. Die russischen Truppen hatten allerdings auch hohe Verluste zu beklagen; in den Strassen von Grosny wurden ihre Panzer zur leichten Beute der tschetschenischen Guerillakämpfer. Schon im August 1996 konnten 5000 tschetschenische Kämpfer die Hauptstadt zurückerobern. Die russische Armee war mehr als demoralisiert, sie war geschlagen. Es kam zu einem Waffenstillstand.
Der Zweite Tschetschenienkrieg begann 1999 nach einem Vorstoss islamistischer Kämpfer aus dem faktisch unabhängigen Tschetschenien in die benachbarte russische Republik Dagestan. Dem russischen Regierungschef Wladimir Putin gelang es, Tschetschenien wieder vollständig unter russische Kontrolle zu bringen. Am 25. Dezember begann der Angriff auf Grosny; auch dieses Mal setzten die russischen Truppen Luftangriffe und massiven Artilleriebeschuss ein – bis zu 4000 Granaten pro Stunde gingen auf die Stadt nieder. Doch die Taktik der Russen war diesmal vorsichtiger: Die Soldaten wurden jetzt in kleinen mobilen Einheiten vorgeschickt. Am 1. Februar 2000 zogen sich die tschetschenischen Kämpfer aus Grosny zurück. Die Stadt, in der einst 400'000 Menschen gelebt hatten, war nahezu vollständig zerstört.
Nachdem sich die frühere jugoslawische Teilrepublik Bosnien-Herzegowina in einem – von der serbischen Bevölkerung weitgehend boykottierten – Referendum für die Unabhängigkeit entschieden hatte und international anerkannt wurde, begann im April 1992 der Bosnienkrieg. Sogleich schlossen bosnisch-serbische Einheiten und Verbände der Jugoslawischen Bundesarmee die Hauptstadt Sarajevo ein. Artillerie und Panzer bezogen Stellungen in den Anhöhen um die Stadt. Der bosnisch-serbische General Ratko Mladic befahl seinen Leuten: «Bombardiert sie, bis sie wahnsinnig werden!»
1425 Tage lang dauerte die Belagerung – die längste im gesamten 20. Jahrhundert. Die Serben feuerten unablässig Granaten auf Sarajevo, jeden Tag durchschnittlich 329. Scharfschützen schossen auf alles, was sich bewegte. Besonders berüchtigt war die Hauptstrasse Zmaja od Bosne, die man deshalb «Sniper Alley» nannte. Die Einwohner mussten ständig Deckung suchen; ihr Leben verlagerte sich zusehends in den Keller. Dennoch starben immer wieder Menschen; getötet von Heckenschützen, zerrissen von Granaten. Als im Februar 1994 eine Granate auf einem Marktplatz einschlug, kamen 68 Menschen ums Leben.
Je nach Quelle starben während der gesamten Belagerung zwischen 10'615 und 11'541 Menschen, darunter über 600 Kinder. Etwa 50'000 Personen wurden verletzt. Die Überlebenden hatten mit Versorgungsproblemen zu kämpfen; das Wasser wurde knapp und der Strom fiel immer wieder aus. Die westlichen Staaten richteten im Juli 1992 eine Luftbrücke ein, um die Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen. Sie bestand bis zum Januar 1996 – länger als die Berliner Luftbrücke.
Im Herbst 1993 waren in ganz Sarajevo 35'000 Gebäude zerstört. Fast alle anderen waren beschädigt; die Stadt war ein Trümmerfeld. Erst Luftangriffe der NATO zwangen die bosnischen Serben zum Einlenken – in der Operation «Deliberate Force» wurden in den Hügeln rund um Sarajevo zahlreiche serbische Stellungen bombardiert. Jetzt war die serbische Seite zu einem Waffenstillstand bereit. Im Dezember 1995 wurde der Dayton-Vertrag unterzeichnet, der den Bosnien-Krieg beendete.
«Stadt der Moscheen» wird Falludscha traditionell auch genannt. Etwa 50 Kilometer westlich von Bagdad liegt die Stadt am Euphrat – und im sogenannten «sunnitischen Dreieck». So bezeichneten die Amerikaner jene Region, in der die Baath-Partei von Saddam Hussein einst besonders verwurzelt gewesen war – und in der sie es mit besonders hartnäckigem Widerstand zu tun bekamen.
Nach einer ersten ruhigen Phase kurz nach der Invasion im Irak 2003 kam es vermehrt zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Der irakische Ableger der Al-Kaida fasste in Falludscha Fuss und verübte Anschläge auf irakische und US-Soldaten, bis sich diese aus der Stadt zurückzogen. Um die Rebellen zu vertreiben, führten die US-Streitkräfte ab April 2004 zwei grosse militärische Operationen durch. Im November eroberten sie die Stadt schliesslich in einem verlustreichen Häuserkampf, wobei sie verbotene Streumunition und weissen Phosphor einsetzten. Falludscha wurde schwer zerstört; 65 Prozent der Gebäude wurden zerbombt.
Die US-Soldaten kämpften allerdings mit einem kompromisslosen Gegner: Die Aufständischen trugen – sofern sie nicht schon vor Beginn der Belagerung geflohen waren – keine Uniform, sie schossen gezielt auf Sanitäter und verwundete Kämpfer sprengten sich mit US-Sanitätern in die Luft. Die Verluste der Amerikaner waren im Häuserkampf 20 Prozent höher als bei der Invasion des Landes. Das Ziel der Befriedung der Region und der Zerschlagung der Rebellen wurde letztlich nicht erreicht.
Auch nach dem Abzug der US-Truppen 2011 kam Falludscha nicht zur Ruhe. Die sunnitische Hochburg geriet schnell in Konflikt mit der neuen irakischen Regierung, die streng schiitisch geprägt war. 2013 fiel die Stadt dem sogenannten «Islamischen Staat» («IS») wie eine reife Frucht in die Hände. Bei der Rückeroberung durch die irakische Armee im Frühsommer 2016 kam es erneut zu schweren Zerstörungen in der gebeutelten Stadt.