Charleston, Saint-Quentin-Fallavier, Sousse: drei Terroranschläge gegen westliche Ziele innerhalb von wenigen Tagen. In die Trauer über die Opfer mischt sich einmal mehr Wut darüber, wie die Medien über diese Ereignisse berichten. Dazu dieser Kommentar unter dem watson-Liveticker zu den Anschlägen vom vergangenen Freitag:
Ähnliche Kritik war in den USA nach dem Anschlag auf die Emanuel African Methodist Episcopal Church in Charleston zu hören, wo der Rassist Dylann Roof neun Schwarze erschossen hatte. Dass konservative Medien wie Fox News von einer «Tragödie» sprachen, stiess vielen sauer auf. Unter dem Hashtag #CallItTerrorism («Nenn es Terrorismus») verwiesen sie auf einen verbreiteten Reflex, nur bei Attentätern muslimischen Glaubens von Terrorismus zu sprechen. Weisse Verbrecher hingegen würden als geisteskrank bezeichnet.
#CallitTerrorism > It’s not about mental illness: The big lie that always follows mass shootings by white males http://t.co/e3FzTEBKir
— Elianne Ramos (@ergeekgoddess) 20. Juni 2015
Kritiker erkennen in diesem Gebrauch des Terrorismus-Begriffs die Tendenz, Muslime pauschal als Massenmörder zu verunglimpfen und gleichzeitig Attentäter mit anderem Hintergrund zu verharmlosen.
"Only non-Muslim suffers mental illness. Muslim suffers terroristness" #CallItTerrorism #ChapelHillShooting
— Marco Corleone (@Egytalian) 13. Februar 2015
Die Realität sieht tatsächlich anders aus, wie eine Langzeit-Statistik des Thinktanks New America Foundation zeigt: Demnach wurden in den USA seit 9/11 fast doppelt so viele Menschen bei rassistisch-anarchistisch motivierten Anschlägen (48) getötet wie bei solchen mit islamistischem Hintergrund (26).
Die Öffentlichkeit mag dieser Befund überraschen, amerikanische Polizisten nicht: Laut einer aktuellen Befragung halten drei Viertel von ihnen rechtsgerichtete Extremisten als die grösste Gefahr für die öffentliche Sicherheit.
NYT charts New America Foundation's analysis of domestic terrorism since 9/11: http://t.co/q6W8T0V4FM pic.twitter.com/DDdl6HSYkA
— Christopher Brown (@NB_Chris) 24. Juni 2015
Keinen Eingang in diese Statistik finden Massaker wie der Amoklauf an der Sandy Hook Elementary School, da bei ihnen kein ideologisches Motiv – eine Voraussetzung für den Terrorismus-Begriff – vermutet wird. Allerdings fordern sie mehr Todesopfer als rassistische und islamistische Verbrechen zusammen.
Anders gesagt: Die amerikanische Öffentlichkeit fürchtet sich vor islamistisch motivierten Terroranschlägen, obwohl wesentlich mehr Menschen durch weisse Extremisten (und Amokläufer) sterben. Wie kommt es zu dieser Kluft zwischen Wahrnehmung und Realität?
Die Antwort könnte banaler nicht sein. Es ist die grosse Angst vor dem Unbekannten: «Wir wissen, wie weisse Rassisten ticken», sagt der Terrorismus-Experte William Braniff in der New York Times. «Aber Al Kaida verstehen wir nicht, zu komplex und zu fremdartig.»