Nimrud wird von gewaltigen Lamassu-Statuen bewacht, Löwen- oder Stierkörpern mit Flügeln und Menschenköpfen. Die Lamassu galten in Vorderasien als Schutzmächte, sollten Übel abhalten. Sie stehen an den Eingängen der Paläste, die sich in Nimrud über fast vier Quadratkilometer erstrecken. Einst war der Ort Hauptstadt des Neuassyrischen Reiches. Doch jetzt liegt er im Nordirak – und im Einflussbereich des Islamischen Staates (IS).
Die Lamassu von Nimrud haben rund 3000 Jahre überdauert, Sandstürme, Kriege und unzählige Herrscher. Doch nun ist nicht klar, wie viel von den Statuen und der Palastanlage noch übrig ist. Iraks Behörden bestätigen, dass der Islamische Staat am 5. März mit Bulldozern in der archäologischen Stätte gewütet hat.
Bereits in der vergangenen Woche veröffentlichte der IS Videoaufnahmen von Dschihadisten, die assyrische Statuen im Museum von Mossul zertrümmern. Ein Lamassu, das den Eingang zu den Ruinen des nahe gelegenen Ninive bewacht, wurde mit einem Bohrer beschädigt. Auch Ninive war zeitweilig Hauptstadt des Neuassyrischen Reiches.
Der IS hat der Vergangenheit den Krieg erklärt. Systematisch verwüstet die Terrormiliz jahrtausendealtes kulturelles Erbe einer Zivilisation, die in ihrer Zeit als Weltmacht galt. Das Assyrische Reich erstreckte sich einst über den heutigen Irak und Syrien bis nach Südanatolien.
Unesco bangt um Weltkulturerbe
«Der IS beruft sich auf den Propheten Mohammed», sagt Lutz Martin, Archäologe am vorderasiatischen Museum in Berlin. Demnach seien die archäologischen Schätze «Götzen, die zerstört werden müssen. Aber der IS zerstört ja selbst Moscheen!»
Die Dschihadisten provozieren mit den Verwüstungen ganz gezielt. Aber es geht ihnen um mehr: Sie wollen ihre eigene Geschichte schreiben – und alle Erinnerung an die Zeit davor auslöschen. Sie verwüsten assyrische Stätten, schiitische Heiligtümer, sunnitische Schreine, armenisch-christliche Gedenkstätten und syrisch-orthodoxe Kirchen. Was nicht zu ihrer Ideologie passt, geht unter.
Die Unesco bangt seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 um das Weltkulturerbe im Irak. Plünderungen und zufällige Beschädigungen durch Kämpfe waren bisher ihre grössten Sorgen. Dass eine Miliz absichtlich das Weltkulturerbe vernichten könnte, hatte wohl niemand erwartet.
Manche Artefakte sind in Sicherheit. Im Britischen Museum in London, im Louvre in Paris, im Oriental Institute in Chicago und im Vorderasiatischen Museum in Berlin lagern bedeutende assyrische Sammlungen. Die Berliner Stücke stammen vor allem aus Assur, Hauptstadt des Altassyrischen Reiches. Deutsche Archäologen haben dort in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg die ersten Ausgrabungen unternommen. Nahe Assur kämpfen derzeit immer wieder die Einheiten des IS gegen die irakische Armee.
Vieles jedoch dürfte für immer verloren sein. Dabei waren die meisten archäologischen Stätten im Irak längst nicht vollständig untersucht. «Seit dem Sturz Saddam Husseins haben wegen der Sicherheitslage kaum noch Ausgrabungen stattgefunden», sagt Lutz Martin. In Nimrud werden noch unzählige Schätze unter der Erdoberfläche vermutet.
Mit den detailreichen Wandreliefs der Assyrer in Ninive und im Museum von Mossul verschwinden einzigartige Dokumente, die Auskunft über das Leben vor Tausenden von Jahren geben konnten.
Über die Kriege im Irak und in Syrien sagt der Archäologe Martin: «So etwas kannte man bisher nur aus Erzählungen. Ein solches Ausmass an Zerstörung habe ich noch nicht erlebt.»
Nun meldet das Ministerium für Tourismus und Antike, dass die Terroristen des IS die Zerstörung von antiken Stätten im Irak fortsetzen. Die Reste der über 2000 Jahre alten Stadt Hatra im Norden des Landes seien zerstört worden. Hatra steht als Weltkulturerbe auf der Unesco-Liste.
Entsprechende Berichte habe das Ministerium von Mitarbeitern aus der Islamisten-Hochburg Mossul erhalten, sagte ein Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters. Zuvor hatten Mitarbeiter der Universität von Mossul die Sprengung gemeldet. «Das stellt einen Verlust dar, der nicht aufgewogen werden kann», sagte Hamid al-Dschuburi, Leiter der Abteilung für Altertümer der Universität, der Nachrichtenagentur dpa.
Hatra liegt rund 110 Kilometer südlich der IS-Hochburg Mossul in der irakischen Provinz Ninive. Die Stadt beherbergt gut erhaltene assyrische Ruinen, die bis ins dritte Jahrhundert vor Christus zurück datieren. In ihrem Wert ist Hatra mit den Ruinenstädten des syrischen Palmyra und des libanesischen Baalbek vergleichbar.